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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

11. 10. 2009 - 19:29

Journal '09: 11.10.

Herrschaftswissen. Über die Schuldhaftigkeit der heimischen Medienstruktur.

Es war gestern abend, bei einer Veranstaltung für die sich junge Menschen der 80er angenommen hatten, eine immer zwiespältige Sache (die noch ein weiteres Journal, das morgige nämlich, nach sich wird ziehen müssen). Irgendwann ergab sich da ein kurzer Dialog mit dem aufmerksamen Musik-Beobachter, der zum Retro-Covern nicht nur eine recht radikale Meinung hat, sondern das auch pfiffig begründen kann. Ja, warum er das denn nicht niederschreiben und somit teilen würde, frage ich, und es fällt mir auf, dass unser vorletztes Gespräch vorletzten Freitag zwar ein anderes Thema, aber einen ähnlichen Verlauf hatte. Dass ich nämlich seine Analyse nicht nur privat hören, sondern auch öffentlich lesen möchte.

Nun kann ich ihn (und andere, die ich mit ähnlichem Verlangem verfolge) natürlich so lange triezen, bis er das dann macht - aber diese Veröffentlichung wird nur dann wirklich gut sein, wenn sie aus ihm heraus entsteht, ganz ohne Drängen und Drücken.

Ich kann noch so oft anmerken, dass es einerseits schade und andererseits absurd ist, wenn man seiner Profession, die in unserem Fall ja auch noch eine selbstgewählte (im Vergleich also reiner gelebter Luxus) ist, nicht wirklich nachkommt, und das Wesentliche (nämlich das, was man seiner Umgebung erzählt, also das, was den Filter des persönlichen Interesses durchstößt) außen vor läßt.

Ich habe das (ganz viel früher, in einer Phase größerer Naivität vorhandene) Drängen auf diese Äußerungen aufs Nötigste minimiert, weil es nichts nützt, wenn man missionarisch oder gar lehrerhaft (und vor beidem graut mir, aktiv wie passiv, seit jeher) vorgeht und erfolgreiche Überzeugungsarbeit mit freundlich abgeliefertern Zufriedenstellungs-Alibis verwechselt.

Angehäuftes Herrschaftswissen

Nun stellt sich aber die entscheidende Frage: wo kommt das her? Warum glauben junge, begabte, denkfähige, kreative Medienmenschen, dass sie das, was sie wirklich interessiert, das, was sie im echten Leben bereden, nicht zu thematisieren brauchen?

Gut, bei meinem Eingangsbeispiel könnte man es sich leichtmachen und halt sagen: der hat das beim "Standard", wo er vorher war, nicht anders gelernt. Das ist zwar richtig, greift aber zuwenig weit.
Denn dort wird das auch nur gepflogen, weil ganz Österreich so funktioniert: Das wirklich Wichtige wird - öffentlich - zurückgehalten. Und der Journalismus macht sich in dieser Hinsicht ganz offen zum Kumpanen der Herrschenden, kumuliert Herrschaftswissen und hält das für selbstverständlich.

Das geht soweit, dass auch das Umfeld entsprechend agiert.
Ich bin unlängst neben einem Gespräch zwischen einem Blutsverwandten eines Zeitungs-Chefredakteurs und einem Ernährungs-Lobbyisten gestanden, in dem es darum ging, wie wild es nicht wäre, dass die Dichand-Medien (Krone, Heute) nicht einen Millimeter über die aktuell aufgepoppte Affäre Grasser berichten würde. Es ging dann auch um das Nichteinhalten eines Deals seitens eines der gerade umraunten Medien und um das seltsam anmutende "ihr", mit dem der Lobbyist den Verwandten der anderen Zeitung miteinbezog.
Dort allerdings, im familiär und denkmustermäßig eingegliedertem Medium wird und wurde dieser hier besprochene Fakt der Grasser-Politik der Krone nicht thematisiert.
Das wird als Herrschaftswissen behalten.
Wohl auch damit man sich gegenüber den Trotteln, die das nicht gecheckt haben, besser fühlen kann.

Berufung und Verantwortung

Dass man, also die Medien samt der Zivilgesellschaft, damit die ureigene Pflicht, nämlich die Information der Öffentlichkeit, nicht nur vernachlässigt, sondern nachgerade hintertreibt, dafür gibt es offenbar kein Verständnis.

Und wo das - im Großen - fehlt, kann es auch im Kleinen nicht funktionieren.
Wer jeden Tag vorexerziert bekommt, wie sich die Wichtigen und die scheinbar wichtigen Wichtel, die Verwandten und Partizipanten an ihrem exklusiven Herrschaftswissen delektieren - woher soll man dann ein Gefühl für die eigentliche Verantwortung seines Berufs, nein, seiner Berufung bekommen?

Ich möchte diesen Fehlschluss nicht als Ausrede gelten lassen, aber es ist auch hier so wie im Fall der heuer schwelenden Journalismus-Nachwuchs-Debatte: die Vorwürfe der Generation Rohrer an die bewegungs- und teilnahmslosen Jungen sind obszön, weil es die Alten waren, die die Strukturen geschaffen haben.
Konkret: Jahrzehnte an Küchenkabinetts-Geheimniskrämerei, an Off-Limit-Versprechungen, an Einbeziehung zum Preis des Schweigens und dem Nimbus, dass das, was man "nicht schreiben dürfe" erst das wahrlich Interessante wäre, haben eine unheilvolle Suppe mitzukochen geholfen, eine Suppe, an der die Proponenten in Bälde zu ersticken drohen.

Ich will da einen fast prophetischen Halbsatz des völlig zurecht in die Top 100-Österreicher U40, die The Gap in seiner jüngsten Ausgabe gesammelt hat, berufenen Arthur Einöder zitieren: "... der Gedanke, dass sich die nächste Revolution wohl gegen eine Elite richten wird, der du selber angehörst.", dieser Gedanke macht ihn schlaflos.

Die sich selber zerstörende Elite...

Die Schere zwischen "Elite" (Herrschaftswissen incl.) und den anderen, die womöglich noch - wie pfui - FPÖ-Wähler sind, weswegen man glaubt ihnen auch gleich alles absprechen zu können, geht nämlich auch deswegen immer weiter auseinander, weil die Medien ihre Aufgabe der direkten und nicht nur angedeuteten Wissensvermittlung sowie der offenen Analyse nicht wahrnehmen. Und zwar nicht nur die, die ein (politisches, privates) Süpplein kochen, sondern auch die mit den Verwandten und die dem Philipp alles falsch beigebracht haben, also auch die gern als letzte Refugien des Anstands benannten.

Gerade dort ist das Zurückhalten von Herrschaftswissen, das Sich-Ein-Wenig-Künstlich-Deppert-Stellen unglaublich angesagt.
Gerade dort legt man auf die "Trottel", die man - wenn überhaupt - nur mit der direkten, ich möchte meinen brutal-ehrlichen Ansprache erreichen kann, keinen Wert.
Ein Standard-Cover, dass die von der Verwandtschaft angesprochene Krone-Grasser-Politik thematisiert, also auf die Meta-Ebene geht, kann mehr erreichen, als zehn brave Berichte, wird aber aus Distinktions-Dünkel nicht einmal in Erwägung gezogen. Stattdessen diskutiert man diese Themen lieber im Salon, mit anderen Herrschaftswissern.

Ich darf hier, per Spaß, die Stoßrichtung der inoffiziellen Reaktionen auf dieses Journal antizipieren: sie werden in die Richtung "Des geht doch nicht, des kannst doch nicht öffentlich sagen!" gehen.

Aber auch hier, und da schließt sich der Kreis zu meinem Anfangserlebnis, begnügt sich eine mediale und kulturelle Elite (das ist die, die demnächst weggeschwemmt werden wird, egal ob von der Security-Demokratie oder anderswie...) damit die wirklich wichtigen Dinge ausschließlich im zwergenhaft kleinen und zunehmend enger werdenden kleinen Kreis miteinander zu besprechen. Was natürlich insofern ausstrahlt, als es alle anderen (also die Jungen, die diesen Zirkeln nicht von Geburt an angehören, die Trottel, die Provinzler...) ausschließt und vertreibt.

Von den klassischen Medien und von der klassischen Demokratie, nur als Beispiel.
Weil man - im Ärger über die einem vorgespielte Farce der gefühlten Kumpanei da gleich das Kind mit dem Bade ausschüttet. Und ich könnte da niemandem einen wirklichen Vorwurf machen.

...gefährdet die Demokratie.

Das alles führt dazu, dass sich die meisten nicht einmal mehr in Pimperlbereichen wie etwa Pop oder Fußball trauen, das, was sie interessiert, zu veröffentlichen; Sondern sich damit begnügen, es halt der Peer-Group zu erzählen - wie man's eben gewohnt ist, von den schlechten Vorbildern. Daneben liefert man Alibi-Arbeit ab - die zunehmend und zurecht immer weniger Menschen interessiert, weil sie schlicht und einfach zu wenig interessant ist.
Die Konsumenten, die User, die Leser und Hörer sind nämlich zurecht an mehr interessiert ist, als an gedrosselten und biederen PC-Oberflächlichkeiten. Und sie spüren die Fadesse, die in den meisten Veröffentlichungen drinsteckt.

Mit der Verve, mit der das Herrschaftswissen zirkelhaft beredet wird, wären sie im übrigen durchaus zu fesseln.

Um die aktuelle Grasser-Geschichte da als Beispiel herzunehmen: genauso wichtig wie die Aufdeckergeschichten wäre es die Lobby-Bruchlinien in den Medien aufzuzeigen, so wie das hier prototypisch vorgeführt wird.

Ja, die meisten Menschen (auch die Elite selber, wenn sie einen ehrlichen Moment hat, wird sie es eingestehen...) sind in erster Linie an Gala-Dreck und Aufreger-Müll interessiert - einer halbwegs ehrlichen und vom Dünkel des Herrschaftswissens befreite öffentliche Auseinandersetzung mit den Dingen des Lebens kann und will sich (sobald sie spannend formuliert sind) aber niemand entziehen.

Das ist, sage ich jetzt hier einfach ungeschützt und ungestützt, die primäre Aufgabe des heimischen Journalismus anno 2009 - und nicht die allzu sehr hinter falschen Vorsichten und Rücksichten versteckte Laviererei des Status Quo.

Und, nein, das kann nicht durch Verordnung von oben passieren, mittels Aufforderung durch die Chefredakteure (oder deren Brüder); auch nicht durch das Genörgel der elder Stateswomen oder anderer, die es bislang selber nicht auf die Reihe gekriegt haben. Das kann nur die neue Medien-Generation selber richten. Und zwar ganz ohne dauerndes Getrieze von Stänkerern wie mir.