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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

10. 10. 2009 - 21:52

Explodierende Emotionen

Zumindest das Österreichische Filmmuseum zeigt jetzt Kathryn Bigelows Meisterwerk "The Hurt Locker". Aus diesem Anlass eine Huldigung einer Ausnahmeregisseurin.

Die Politik der Filmverleiher treibt manchmal seltsame Blüten.

Wenn es heuer einen Streifen gab, auf den sich fast alle Kritiker im Vorfeld begeistert stürzten, auch die heimischen, dann war das "The Hurt Locker". In packenden, höchst realistisch wirkenden Handkamera-Aufnahmen erzählt die US-Regisseurin Kathryn Bigelow darin von einer Gruppe amerikanischer Bombenentschärfer in Bagdhad.

Aber hymnische Berichterstattung hin oder her, kurz vor dem Start wurde das vielgelobte Kriegsdrama hierzulande zurückgezogen.

Wahrscheinlich, könnte ich mir die dahinterstehenden Befürchtungen vorstellen, ist da wieder einmal ein Film von Bigelow zwischen alle Stühle gefallen. Zu wenig schematisiertes Tschinn-Bumm-Spektakel für die Actioncrowd, auf die der deutsche Verleihtitel "Tödliches Kommando" eindeutig abzielte. Aber gleichzeitig zu viel Testosteron, Rauheit und Brutalität für die sensiblen Programmkinogeher.

"The Hurt Locker"

Summit Entertainment

Solche Ambivalenzen zeichnen Kathryn Bigelow aber gerade aus. Auf Eindeutigkeiten ließ sich die US-Regisseurin nie festnageln, genauso wenig wie auf die üblichen Geschlechterzuordnungen und ihre vermeintliche weibliche Sensibilität.

Eine leichtfüßige romantische Komödie wird man nicht in ihrem Schaffen finden. Dafür verdanken wir Bigelow moderne Genreklassiker wie "Near Dark", "Blue Steel", "Point Break" oder "Strange Days". Filme voller fiebriger Bilder, roher Gewalt und explodierender Emotionen, die sich auf einem Terrain bewegen, das gemeinhin von Männern dominiert wird.

Von Anfang an pendelt die ehemalige Malerin und Kunststudentin zwischen beinharter Action und großen Gefühlen. Dabei gibt sie sich, wie ihr Ex-Ehemann James Cameron, nie mit formelhaften Ansätzen zufrieden. Bigelow geht es darum, festgefahrene Kinoklischees aufzubrechen.

Besonders mitreißend gelingt ihr das 1986 mit "Near Dark", einer bis heute unerreichten Rundumerneuerung des Vampirfilmgenres. Kathryn Bigelow knüpft an alte Outlaw-Mythen und Rock'n'Roll-Ideale gleichzeitig an und inszeniert ihre Blutsauger als moderne Cowboy-Punks in einem mitreißenden Roadmovie.

Near Dark

Anchor Bay

Auch mit dem Serienkillerstreifen "Blue Steel" und dem Gangdrama "Point Break - Gefährliche Brandung" überschreitet sie die Hollywood-Vorgaben. Da steckt ein rebellischer, wilder Geist in den Figuren, ob es sich nun um einen weiblichen Cop oder eine kriminelle Surferclique handelt.

"Ich mag Leute, die etwas riskieren, egal ob mit Erfolg oder ohne", sagt Bigelow in einem Interview. "Regisseure, die sich neuen Problemen stellen und sich in jungfräuliches Gebiet vorwagen, das bewundere ich wirklich. Wir alle profitieren davon, denn diese Erkundigungen haben etwas Reines, etwas Leidenschaftliches. Kein Mittelmaß, sondern reine Leidenschaft."

Reine Leidenschaft, so könnte man die körperlich spürbaren Filme dieser Frau zusammenfassen. Ihr letzter epochaler Streifen, der Science Fiction-Thriller "Strange Days", entstand 1995, danach folgten ein paar eher vernachlässigbare Flops und eine längere Drehpause. Mit "The Hurt Locker" gelingt Bigelow nun ein fulminantes Comeback.

Am Anfang steht ein entsetzlicher Knall. Der Chef eines Bombenräumkommandos im Irak wird im Einsatz von einer Granate zerrissen. Sein Nachfolger ist ein schwieriger Fall. Ein Einzelkämpfer, der den tödlichen Kitzel zu suchen scheint, ein Hitzkopf, der sein Team in mörderische Gefahr bringt.

"The Hurt Locker"

Summit Entertainment

Man könnte, wie einige Journalisten, diesen Film als unverantwortlich verwerfen, weil Kathryn Bigelow auf jede moralische Wertung verzichtet. Aber "The Hurt Locker" will eben gar kein politisches Statement zum Irakkrieg sein. Es ist ein Film über die Angst. Über Menschen, die freiwillig die Angst suchen, die sich wahnsinnigen Gefahren aussetzen, die sich mit dem Tod konfrontieren.

Und gerade weil die Regisseurin keine abgesicherten Thesen oder gut gemeinten Botschaften in ihren Film packt, weil die Kamera nur aus nächster Nähe beobachtet, gerade deshalb erfährt man in "The Hurt Locker" auch einige Wahrheiten.

Wie in "Near Dark", "Point Break" oder "Strange Days" geht es um die Suche nach rauschhaften Kicks, nach Gewalt als Stimulanz. Der Krieg als Droge. Kathryn Bigelow erzählt wieder einmal von menschlichen Ausnahmezuständen - und mit "The Hurt Locker" ist ihr ein echtes Meisterwerk gelungen.

Das Österreichische Filmmuseum zeigt am 15. und 16.10. "The Hurt Locker" in der Originalfassung.