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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

9. 10. 2009 - 19:12

Fußball-Journal '09-94.

Eine U 20-WM findet nicht statt. Zumindest nicht in Österreich.

Mein ägyptischer Zeitschriftenhändler spielt mir die Matches vor, in der Kurzvariante. Gestern etwa Deutschland - Nigeria, eins der Achtelfinalspiele: die Deutschen liegen hinten, ein Mann weniger, schaffen aber den Ausgleich, Nigeria, an sich überlegen, drückt auf den Sieg vor der Zeit, hat drei hundertprozentige, so nah am Tor (er deutet etwa einen halben Meter) hauen sie so hoch (er deutet Stephanskirchenhöhe) und ballern drüber, der Verzweiflung nahe, dann dritte Minute Nachspielzeit, wieder eine tolle Chance, vergeben, dann ein allerletzter deutscher Konter, in der allerallerletzten Nachspielsekunde, einer geht allein aufs Tor, bum, drinnen. Weinende nigerianische Burschen, jubelnde Deutsche.

Als ich mir später die aufgezeichnete Kurzzusammenfassung des U20-WM-Tages von Sport Plus anschaue, ist das dann nur halb so spannend, aber so ist das immer, wenn man nur die Tore und die sogenannten "entscheidenden" Szenen sieht: unbefriedigend.
Gut ist, wenn mans selber sieht (am besten: vorort, auch okay: in einer guten TV-Übertragung), aber auch super ist es, wenn man's toll nacherzählt kriegt.

Mit Österreich ist nicht ohne Österreich

Gut, die Weltmeisterschaften der Junioren werden ziemlich flächendeckend von Eurosport und Eurosport 2 übertragen, aber es ist grad viel zu tun, und das geht sich mit den 16, 18 oder 20 Uhr-Terminen der Matches, die da in Ägypten abgehen, meistens nicht aus. Damn.
Ich hab also noch nicht viel, um nicht sagen, kaum noch was gesehen, kein einziges ganzes Spiel. Ghana einmal über eine längere Strecke - das sah sehr sehr gut aus. Spanien war toll, sagt auch mein Zeitungsverkäufer, aber gegen Italien im Achtelfinale fanden sie kein Rezept. Sein Favorit nach dem qualvollen Ausscheiden des ägyptischen Heimteams (immer gut dabei, und dann doch meistens abgebissen): Brasilien, denen klebt der Ball am Fuß, Kurzpassspiel, Zungenschnalzen.

Die Rolle der österreichischen Jungs, die letztesmal dabei waren und ins Semifinale gekommen sind, spielen diesmal die Nachbarn aus Ungarn. Die haben die Standard-Teilnehmer Tschechien (sonst noch aus Europa: die diesmal peinlichen Engländer) rausgekegelt, auch, weil die nicht die Klasse von vor 2 Jahren hatten, kein Fenin weit und breit.

Klar, das Sommermärchen der U 20 in Kanada 2007, das der Startschuss für die aktuelle kleinen Hausse im heimischen Kick war, wurde anders begleitet, auch medial, und auch erst nach den ersten Erfolgen. Da gab es dann aber für Spiele mitten in der Nacht hundertausende Zuschauer, immerhin.

Ägypten ist nicht Kanada

Die U 20-WM auf der FIFA-Site, auf Wikipedia laufen alle INfo-Fäden zusammen, eine Facebook-Site hat sie auch, und beim Youtube kann man sich auch x Videos anschaun.

Diesmal ist die Zeitzone ideal, in Kairo, Suez, Ismailia, Alexandria oder Port Said stehen gute Stadien, der Zugriff auf Information geht über zahlreiche Webseiten leicht von der Hand - alles also bereit für eine sympathische moderne Coverage.

Bloß: außer der schon erwähnte ORF-TV-Tageszusammenfassung (die wenigstens im Kurzsport annonciert wird) und einem biederen Ergebnisdienst gibt es nichts, was österreichische Medien dazu anbieten.
Nichts.

Niemand schaut sich die englisch und für die sprachunkundigen der alten Schule eh auch deutsch (sogar ostdeutsch) moderierten Eurosport-Spiele an und macht dann was draus.
Wäre ich ein Fulltime-Fußball-Journo (und ich bin ja gar keiner, oder, wenn schon, dann eben nur zu 10, 15 %, ich hab eben auch anderes zu tun, auch außerhalb dieser täglichen Beschäftigung), dann wär diese WM doch ein Fressen.
Das zeigt doch schon allein mein ägyptischer Zeitungshändler mit seiner Begeisterung. Jeder kriegt gerne eine spannende Geschichte erzählt. Und eine U 20-WM in Ägypten, aber hallo, das ist per se spannend!

Aber es passiert nichts.
Nichts auf den vor sinnlosen Teamtrainingslager-PR-Bla-Pseudo-News überquellenden Sportseiten, nichts auf den Webportalen, nichts in den Magazinen, nichts.
Man putzt sich auf das Eh-live-im-Fernsehen ab und glaubt sich in einer Nicht-Rezeption des (eh nur theoretisch) Gesehenen begnügen zu müssen.

Die Praktikanten-Übung

Klarer deutlich machen, dass man dem Peischlismus verfallen ist, geht nicht. Nur eigener Sud, kein Blick übern Tellerrand.
Womöglich weil da zuviele ausländischsprechende Ausländer beteiligt sind, bei so einer WM ohne österreichische Österreicher. Nicht einmal ein Schiedsrichter ist diesmal dabei.

Das ist armselig.

Dabei könnte man gerade so ein öffentliches Ereignis nutzen um seinen Nachwuchs (und vielleicht auch die älteren Nichtswisser) zu schulen.

Der von mir für seine feige Philosophie gern gescholtene Profi-Coach Huub Stevens etwa weiß, wie das geht: er verlangt von jedem seiner Spieler vor jeder internationalen Begegnung eine schriftliche Zusammenfassung der Beobachtungs-DVDs. Zurecht. Nur wer das, was er sieht, auch als Geschichte erzählen muss, lernt was draus.

Die Idee klau ich mir selber - die nächste Ausschreibung für eine FM4-Workstation wird eine vergleichbare Aufgabe enthalten.

Genauso sinnhaft wäre es, für jedes Sport/Fußball-Medium seine Praktikanten und Jung-Reporter vor die Kiste zu setzen, U 20-WM schauen zu lassen und dann eine gute Match-Reportage zu verlangen. Denn nur dann lernt man was draus.
Es wäre also eine extrem wichtige Übung.

Bei so einer Reportage, so einer Matchbeschreibung kann man sich nämlich nicht in die Auflistung bekannter Spielernamen, alberner Klischees, abgestandener Floskeln und dämlicher Synonyme flüchten, sondern müsste den Spielbericht, die Basis des Fußball-Journalismus, quasi neu definieren, neu lernen.

Das Schweinchen-Haus wegpusten

Womöglich würden sich dann die jüngeren Herren Fußballberichterstatter, wenn sie da zb auf der FIFA-Site nach den Namen der Teilnehmer forschen, auch mit System und Taktik auseinandersetzen, anstatt den alten Zechenkas der Altvorderen zu übernehmen. Und sie wären, nach einer durchgeübten U20-WM, nach sechs, sieben, acht guten Matchberichten auch imstande die alten Redakteure und ihre eingeschlafenen, floskelhaften, langweiligen Fadsack-Berichte wegzupusten wie der Wolf das Haus der drei kleinen Schweinchen.

Grade in diesen Tagen, wo die ganze Woche lang nichts los war im internationalen Kalender, wär das optimal gewesen: üben, am lebenden Objekt. Und vielleicht die erste wirklich lässige Fußball-Reportage des Jahres schreiben.

Hat wieder keiner genützt.
Gut, die alten Sportreporter-Säcke haben natürlich kein Interesse sich guten Konkurrenz-Nachwuchs zu züchten.
Die jungen wissen, dass sie auch mit sehr wenig Anstrengung die schwache Vorgänger-Generation beerben werden - wozu sollten sie also?
Aber auch die Neigungsgruppen "künftige Sportjournalisten" der Publizistikinstitute oder der Journalistik-FHs, die die immer jammern dass sie nicht wüssten wie und was sie tun sollten und könnten, um auf sich aufmerksam zu machen, haben wie immer die Hände in der Schoß gelegt; vielleicht zu sehr drauf gewartet, dass wer anderer was unternimmt, in ihrem Sinn.

Schnarchnasen aller Fraktionen, vereinigt euch in Untätigkeit! Es wird euch noch massiv auf den Kopf fallen.