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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

10. 10. 2009 - 20:00

Riesen in Berlin

...oder wie blöd will der Mensch noch werden?

Das Mauerfalljubiläum am 9.November rückt näher und näher und so langsam schwant einem, was da an Eventkultur und Wiedervereinigungskitsch auf Berlin zukommt. Den Nationalfeiertag am 3. Oktober beging man bereits mit einem Straßentheaterspektakel. Die französische Theatergruppe “Royal de Luxe” ließ tagelang zwei Riesen durch Berlin stapfen. Die sieben und fünfzehn Meter hohen Riesenmarionetten wurden von Flaschenzügen und livrierten Puppenspielern, den "Liliputanern" bewegt , das Ganze sollte an Gullivers Reisen erinnern und folgende Geschichte erzählen:

Riesenmarinette

Christiane Rösinger

Der Onkel aus dem Westen sucht die kleine Riesin

In einem Land vor unserer Zeit, als Berlin noch ein Sumpfgebiet war, haben böse Land- und Meerungeheuer die Stadt entzwei gerissen, aber ein Geysir bringt nun die Mauer zum Bröckeln und die kleine Riesin macht sich vom Osten auf die Suche nach ihrem verlorenen Onkel, der im Westen mit einem Schiff am Spreehafen anlegt, zwischendurch wird noch ein Postsack mit einst von der Stasi abgefangenen Briefe verteilt und natürlich gibt es ein Wiedersehen am Brandenburger Tor.

Angeblich verzauberte diese hanebüchene Geschichte alle, lag Berlin in einem Oktobermärchen, weinten die Menschen vor Rührung angesichts der Riesen, die sich mit 1 km pro Stunde durch die Stadt bewegten und so einen gigantischen Verkehrs- und Menschenstau produzierten. Das Fernsehen berichtete in Liveschaltungen von faszinierten Besuchern die “magische Momente” erlebten, als sie bis in die Nacht bei nur 10 Grad und Nieselregen der schlafenden, aber atmenden Riesin zu schauten.

Riesenmarionette

Christiane Rösinger

Die ganze Stadt war also schwer verzaubert, nur verhärtete Menschen wie die Autorin, die auch gegen Feuerspucker, traurige und lustige Clowns in allen Facetten, Pantomimen, Diabolospieler, Einradfahrer, Stelzenläufer und anderes Hippiezeugs allergisch sind - nur diese harten Menschen konnten die Magie nicht spüren, wurden von der Massenverzauberung verschont und sahen nur eine willenlose Menschenmenge, die absurderweise einem hölzernen Kalb durch die Straßen folgte. Andererseits, schlimmer als die Bands des Einheitskonzerts am Brandenburger Tor - Silbermond, Ich und ich, Juli und die Sportfreunde Stiller waren die Riesen auch nicht.

Riesenmarionette

Christiane Rösinger

Hat Schuhgröße 200 und angeblich ganz Berlin verzaubert: Die kleine Riesin.
Riesenmarionette

Christiane Rösinger

Wie beim Tanz ums goldene Kalb folgten hunderttausende ferngelenkte Besucher dem Spektakel.
Riesenmarionette beim Schlafen

Christiane Rösinger

Vorschag für die Top Ten der sinnlosen Beschäftigungen: Der kleine Riesin beim Schlafen zuschauen

Was wird also noch kommen am 9.November? Natürlich Styropormauern, die von einem west- und ostdeutschen Kinderchor eingerannt werden, der sich anschließend um die Mauerreste herum an den Händen fasst und zusammen ein Lied singt, während auf einer Hebebühne Klaus Meine von den Scorpions nicht ohne sein Lederkäppi aufs Brandenburger Tor gehievt wird und sein berüchtigtes “Wind of Change” anpfeift, worauf das Thema von den Berliner Philharmonikern aufgenommen wird und zur gewaltigen “Ode an die Freude” anschwillt, während sich stellvertretend für die alten und neuen Bundesländer 16 Tänzer der deutschen Oper zu Fuße des Tores auf dem Boden wälzen und so das Ringen um die deutsche Einheit symbolisieren? Es wird herrlich werden.