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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

8. 10. 2009 - 18:50

Journal '09: 8.10.

Die Stimme der Netzvernunft.

Armin Thurnher vom Falter ist ein wenig besorgt, weil ich nicht auf seinen jüngsten, in Community-Kreisen, mit Entsetzen aufgenommenen Sager von den "parasitären Webmedien" reagiert habe und thematisiert das in seinem gestrigen "Seinesgleichen Geschieht"-Leitartikel. Der natürlich nicht im Netz nachlesbar ist...
Da er damit seinen Zugangs-Irrtum zu einem ganzen Themen-Komplex offenlegt - der gleichzeitig ein Irrtum der Medien-Mehrheit ist - erklär ich gern, warum.

Achja, die Stimme der Netzvernunft, das bin ich. Sagt er. Da ich mit der Vernunft nicht spaße, nehme ich das ernst.

Wenn Homer Simpson seiner Rückbankbrut mit der ausgefeilten Kenntnis von 70er-Jahre-Bluesrock-Acts aktuelle Pop-Auskennerschaft suggerieren will, erntet er bloß ein kurzes Augenrollen.

Wenn mein ehemaliger Onkel Englischsprachiges in witzigem Deutsch verballhornte, um so von seiner Sprachunkenntnis abzulenken, bekam er geheucheltes Gekicher.

Wenn Armin Thurnher sich in hochanaloger Denke über Digitales äußert, dann schäumt die Netz-Community.

Wo ist der Unterschied? Was macht er falsch?

Homer und der Onkel sind liebenswerte Amateure, die sich im privaten Umfeld zum Narren machen, wenn sie ihre Schwachpunkte kompensieren wollen.
Thurnher hingegen ist der wichtigste Kolumnist des Landes, also ein Profi, der sich hochöffentlich äußert und ein Recht drauf hat, ernstgenommen zu werden.

Das Problem dabei ist: Er unterliegt dem Zwang, sich zu einem seiner blinden Flecken zu äußern; das muss schiefgehen.

Der blinde Fleck

Thurnher hält (in all seinen Argumentationen) "das Internet", "das Netz" von mir aus auch nur das Web 2.0, per se für ein Medium. Das ist etwa so falsch wie z.B. "Papier" für ein Medium zu halten.

Thurnher misstraut der Audience-Participation, denkt von der Netz-Community primär als Hetz-Community. Er will also, um im Musik-Bereich zu vergleichen, Studio-Tüftlelei und Live-Performance gegeneinander ausspielen.

Thurnher hält, aus seiner Sicht durchaus zurecht, das durch die pure Anwesenheit des Netzes und den Novelty-Effekt seiner immer frischen Erscheinungen dauerflirrende Getöse für eine Kinderei.
Seine Eindrücke aus seiner Redaktion: Menschen schielen während der Sitzungen aufs Handy, lesen Tweets und Facebook-Einträge, suchen das Netz im Minutentakt hysterisch nach Nennungen ihrer Person ab. Suchtverhalten, Narzissmus, Rüpelhaftigkeit sind seine Stichworte, das Netz nennt er demzufolge eine Aufforderung zur Zeitverschwendung.
Alles richtig.
So richtig wie damals auch richtigerweise die neuerfundene Telefonie als sinnloser Zeitverschwender angeprangert wurde - was nicht Zeit für einen Brief hat, ist es ohnehin nicht wert überhaupt behandelt zu werden, lautete eine Maxime des 19. Jahrhunderts. Dem knapp davor erfundenen Morsen wurde ähnlich begegnet. So wie jedem Kommunikationsmedium der Geschichte. Die, die sich mit dem davor wichtigsten abgefunden hatten, bekämpften das jeweils neu heraufdräuende immer mit Proben aus dem Musterkoffer des aktuellen Werte-Kanons. Das der Thurnhers ein derart Ellmayerischer ist, darf als Gag am Rande gelten.

Die waren alle immer deswegen schlecht und blöd, weil sie zu Rüpelhaftigkeit und anderen Lastern (zb dem der Zeitverschwendung) führten.

Schau an, über eine Woche nach seinem Erscheinen schafft es Falter/Thurnher den bewußten "Seinesgleichen geschieht"-Kommentar auch zu verlinken. Bravo!
Das enthebt mich/andere der Mühe hier einen Screenshot (den der Kollege Gröbchen gefertigt hat) reinstellen zu müssen. Gegen dessen Verwendung Thurnher rechtliche Schritte androht. Ob das halten würde, ob ein Zeitungsausriß, also ein Screenshot, rechtlich dasselbe wie ein Abdruck ist - ich bin nicht sicher. Inhaltlich schließe ich mich vollständig Gröbchens sanfter Replik auf diese Kinderei an.

Tugend als Kriterium

Thurnher liegt also, was die historische Linie betrifft, völlig richtig. Dass sich all die historische Technologie-Ablehnung auf der Basis von neuen, und deswegen seltsamen menschlichen Verhaltensmustern, immer innerhalb kürzester Zeit ad absurdum geführt hat, muss ihn nicht stören. Für den Moment kann er sich des Applauses genügend anderer Modernisierungsablehner gewiss sein - und das genügt den Menschen ja meistens.

Es ist aber nicht Thurnher, der schuld ist an der überzogenen Rolle, die er in dieser ritualisierten Übergangsphase einnimmt.

Es ist die Schuld seiner engeren Umgebung, die ihn etwa im Glauben lässt, dass der indiskutable Web-Auftritt des Falter bereits ein sinnhaftes Zugeständnis an die neue Welt wäre.
Und es ist die Schuld einer erweiterten Medien-Umgebung, die immer noch die Kutscher zu den Dampflok-Diskussionen einlädt (was ja selbst den Besten passieren kann) und sich dann an deren logischerweise absurden Aussagen stoßen und aufgeilen.

Ich habe zum Beispiel weder Thurnher auf der Google-Alert-Liste noch ein waches Auge auf die entsprechenden Veranstaltungen, wie die jüngste der ISPA, bei deren Summit Thurnher einen "Skandal"-Sager von parasitären Web-Medien tätigte.

Die Mär von der Lückenlosigkeit

Im übrigen ist das, was Thurnher bei diesem Panel wirklich gesagt har, genauso wahr wie unwahr. Der Satz "Die meisten Webmedien, wie wir sie kennen, sind sehr stark parasitär, verlassen sich doch darauf, was die großen alten Medien für sie recherchieren." stimmt selbstverständlich. In diesem Zusammenhang aber das gesicherte Wissen, dass die großen alten Medien, die aktuell aus morschem Holz gefertigt sind, desgleichen tun, dass 80% der auch dort gebrachten Nachrichten/Geschichten gecopypastet, unüberpüft, pr-mäßig übernommen sind, wegzulassen, ist nicht nur unzulässig, sondern grenzt an die bewusste Lüge.
Alle Medien sind parasitär, redet sich Thurnher jetzt, im Nachhinein auf Michel Serre aus und zitiert Zeit-Herausgeber Josef Joffe, der das auch schon zitiert hatte.
Da war's aber schon zu spät - auch weil Thurnher die Kardinalfehler der Kolumnisten begangen hat, nämlich ein paar gut klingende, flapsige Provo-Sätze rauszuschießen ohne ihre (immanente) gleichzeitige Falschheit zu betonen und zum Zweiten mit einer weitgehend falschen, und seit bereits Jahren nicht mehr überprüften Begrifflichkeit ans Werk zu gehen.

Erstens weil das nämlich komplett wurscht ist.
Und zweitens, weil die bloße Annahme, die Thurnhersche Zuschreibung den Denkfehler bereits in sich trägt.

Er, der alte Analoge, der die Technologie für das Medium hält, glaubt an sowas wie einen geschlossenen Kreis, dem man beitreten würde, wenn man im Web veröffentlicht, einer Social Community beitritt oder sich als Poster herumtreibt. Er hält "das Internet" für ein lückenloses Netzwerk, das alles, was einer reinstellt, automatisch allen anderen gibt.
Er geht davon aus, dass Leute wie Gröbchen, Armin Wolf oder ich von seinem Sager gehört haben müssen, weil der ja vertwittert, verfacebookt und sonstwie vervielfacht wurde.
Besser kann man nicht auf den Punkt bringen, dass man weder "das Internet", noch die "Social Communities", noch die Web-Medien, noch sonst etwas, was die digitale Welt anbietet, in seiner Struktur, in seiner Seele kapiert hat.

Von seinem Sager hab ich z.B., und ich treib mich durchaus ein paar Stunden in der Woche rum, im "Netz", keinen Millimeter, keinen Ton gehört. Auch weil meine Interessens- und Such-Parameter nicht an den vielen oberflächlichen Kutscher-Diskussionen ausgerichtet sind, auch weil mich eine Einengung durch Verstichwortung der eigenen Interessen eben nicht interessiert.

Und genau diese Nutzung, die tendenziell lustbetonte und anarchische, ist die der Mehrheit, der Masse derer, die sich umtut in dem Netz, das Thurnher aufgrund seiner Fehleinschätzung, einer Zuschreibung, die er aus einem engen Umfeld herausnimmt, für eine enge und böse Falle hält.

Wobei ja das genaue Gegenteil der Fall ist.

Die alte Geschichte: Unwissen führt zu Mystifikation

Was jeder, der sich einmal mit der Struktur einer Community-Site befasst hat, natürlich weiß - was aber jemandem, der die Beschäftigung mit dem Dahinter mit den Hinweisen auf die Tugendlosigkeit der User verweigert, nicht erkennen kann.
Dass Unwissen zu Mystifikation, Zuschreibung und somit automatisch zur Groteske führt, zeigt uns dann jede weitere Wortmeldung Thurnhers zum Thema vor.

Da redet dann der Homer-Onkel von Dingen, die er nicht mehr versteht, und versucht mit Ablenkungen aus dem Vorfeld zu kompensieren.
Weil die schmale österreichische Szene allerdings voll ist mit Onkeln und Tanten, die nicht die geringste Ahnung haben, was da in der neuen Welt vorgeht und sie deshalb mit vorhöllenhaften Unfug aufladen, kommt es dazu, dass der beste Kommantator des Landes, Thurnher eben, von dem man gewohnt ist, dass er auch der unabhängigste medienkritische Beobachter ist, auch weiter dazu eingeladen wird, etwas zu seinem blinden Fleck zu sagen.

Thurnhers Weigerung einen Blog zu führen, ist im Übrigen schon rein deshalb eine Unverschämtheit, weil er sich damit um die Weitergabe seiner Wissens/Nachdenkquellen drückt, die er - per Verlinkung - an eine Generation, die derlei auch ganz schön brauchen könnte, weitergeben könnte.
Das ist fast schon widerlich solitär.

Und natürlich hat er was zu sagen. Er kann zu allem was sagen, weil er ein schlauer und ehrenwerter Mann ist, der sich die Dinge gut ansieht, ehe er was äußert. Und weil diese Äußerung dann in jedem Fall meterhoch über dem steht, was andere, die noch enger, noch kolumnistischer, noch unüberlegter und wurschtiger agieren, zu sagen haben.

Den blinden Fleck vor Augen führen?

Dass er den blinden Onkel-Homer-Fleck nicht erkannt hat, ist menschlich, allzu menschlich. Wer gibt sich sowas schon gerne zu (und, ja, ich spreche da aus eigener Erfahrung, mir fällt da zb das hier ein, eine Geschichte, die zu einer Debatte mit der Game-Redaktion geführt hat, die mir den entsprechenden Fleck dann vor Augen geführt hat - welch elegante Metapher by the way...).

Die einzige Chance für Armin Thurnher dem grotesk überhöhten Druck, in dessen Sog er sich - nicht komplett aber natürlich auch durch eigene Schuld - gebracht hat, wieder zu entkommen, wäre wohl, sich nicht mehr als Krokodil missbrauchen zu lassen.

Ich habe zum Thema Thurnher und Web nur einmal inhaltlich, Ende letzten Jahres etwas geäußert - das trifft alles immer noch zu. Die heutige Beschäftigung ist ja eine formale.

Dann muss er sich nicht mehr schrecken, wegen der Prügel, die ihm die unübersehbare Meute der Meerschweinchen zukommen lässt. Und kann sich Wichtigerem widmen als in einer Ecke, in der er nur sehr verschommene Sicht hat, einer sicheren Blamage entgegenzusteuern.
Für dieses Wichtigere - und damit meine ich auch nicht seine nicht unproblematische Simplifizierer-Rolle im Rettet den ORF-Forum, sondern seine Widerständigkeit und Beharrlichkeit, was die politische Kultur und Sprache in diesem Land betrifft - wähle ich ihn, jeden Mittwoch wieder.

Siehe auch kleiner Blog-Service von Walter Gröbchen. Da ist auch Thurnhers Ding in einem Screenshot zu sehen.

In diesem Bereich, der dann auch die politische Kultur der Nischenbereiche befördert, brauche ich einen, nein, zehn, nein hundert Armin Thurnhers. Und deswegen habe ich kein Interesse daran, dass er (unforced, in einem Feld auf einem ihm fernen Denk-Planeten) an seinem Nimbus kratzen lässt.