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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

12. 10. 2009 - 17:45

Where's my punk spirit?

Die Wave Machines liefern mit ihrem Debüt eines der besten Alben des Jahre ab. Ein Geheimtipp aus Liverpool, der keiner sein sollte.

Es gibt sie doch noch. Die weniger bekannten Bands, die man durch Blogs oder sogar noch durch einen MySpace-Eintrag für sich entdecken kann. Sogleich stellt sich eine "missionarische" Euphorie ein, die man vielleicht nur mehr aus seiner Jugend kennt. Nämlich diesen Geheimtipp, den man aus dem riesigen, digitalen Musiksumpf gefischt hat, bekannt zu machen.

Meine erste "Begegnung" mit den Wave Machines aus Liverpool verlief genauso. Zuerst war es nur ein kleiner Song, der nach ein bisschen Nachforschen doch in einigen Playlists steht, dann ein vertiefender Höreindruck und die daraus entstehende Hoffnung, ein großartiges Album gefunden zu haben. Im Fall vom Debüt "Wave If You're Really There" wurde meine Erwartung sogar noch übertroffen.

David A Richardson

Maskiert in Liverpool

In ihrer Heimatstadt sind sie keine Unbekannten mehr. Eigentlich müsste man korrekterweise "Wahlheimat" sagen, denn Sänger Timothy Bruzon ist von London nach Liverpool gezogen, um seiner Geburtsstätte zu entfliehen. Jedoch ohne konkretes Ziel oder musikalische Ambition. Einfach weg von Zuhause war die Devise. Mittlerweile ist die Heimat der Beatles auch seine eigene geworden, in der er zwar nicht ein Studium vorangetrieben hat, dafür aber in einem Studio gelandet ist. Dort hat er dann auch jene Musiker kennengelernt, die mittlerweile unter dem Namen Wave Machines zusammengeschweißt sind. Carl Brown, der für viele gute Arrangementideen verantwortlich ist, Bassist James Walsh, der auch mit einer Klarinette und Bass-Synthesizern umgehen kann, sowie Schlagzeuger Vidar Northeim, der eigentlich aus Norwegen stammt.

Wave Machines

Im guten alten Stil der 1990er Jahre wird zuerst nur eine Single produziert, die unter dem Titel "I Go I Go I Go" auf dem Londoner Label Chess Club Records erscheint. Ihre Radiokompatibilität und der peppige Mix von akustischer Gitarre, elektronischen Grooves, gesampeltem Kinderspielzeug und Minikeyboardsounds, sowie der eingängige Refrain mit Mitsingqualität bringt die nötige Aufmerksamkeit in England. Ein Jahr und viele Konzerte später ist das Debüt fertig, das geschmackvoll zwischen klassischem Indiegitarrenrock, geschmeidigem Elektropop und schrägen Soundexperimenten hin- und herpendelt. Vor allem die Liveauftritte haben den abwechslungsreichen Stilmix der Platte geformt.

Tim: "Das Album ist das Produkt von vielen Gigs. Wir haben oft erst auf der Bühne erkannt, dass manche Songs einfach nicht genügend Energie hatten. Darüber hinaus war es uns wichtig einen Sound zu kreieren, mit dem wir auf diesem sehr hart umkämpften Markt eine Chance haben. Deshalb sind einige Gitarrenballaden weggefallen und mehr Uptempo-Songs gewichen."

Das passt auch gut zum visuellen Eindruck einer Wave Machines-Show. Ursprünglich als Hilfe gegen Lampenfieber gedacht, trug die gesamte Band Masken auf der Bühne. Was jedoch unsinnig war, spielten die vier Engländer doch vor allem zu Beginn vor ihren Freunden. Deshalb klebten sie Fotos von ihren Gesichtern auf die Masken, was einen schrägen und interessanten Effekt ergab und bis heute als kleines Markenzeichen geblieben ist.

Simon Gross

Wave If You're Really There

Das Wave Machines-Debüt besticht nicht nur durch seinen unbeschwerten und frischen Genremix, sondern auch durch die dichte und abwechslungsreiche Atmosphäre. So beginnt der Opener "You Say The Stupidest Things" mit einem entfernten Lo-Fi-Drumcomputergroove, einer Gitarrenakkordzerlegung mit Glöckchensound und einem sich heimlich einschleichenden Synthie-Bass. Währenddessen zählt uns Tim all die dämlichen Sätze auf, die er von Bekannten und Fremden zu später Stunde auf Partys zu hören bekommen hat und die dann auch noch mit vollster Überzeugung des alkoholschwangeren Moments zum Lebensprinzip erhoben werden.

Wave Machines

Es sind oft kleine Geschichten, Beobachtungen oder Momente, die recht abstrakt formuliert eine hohe persönliche Identifikation zulassen. Wer hat nicht schon einmal wie Tim in "The Great Escape" davon taggeträumt, mit der großen Liebe einfach durchzubrennen. Oder sich überlegt, was man braucht, um sich an einem Platz zuhause zu fühlen. Die Antwort findet sich in dem überschwänglichen, folkigen Popstück "Carry Me Back To My Home". Dabei schaffen es die Wave Machines mit Glockenspiel, Gitarren und treibenden Rhythmen einen interessanten Spannungsbogen aufzubauen, der an genau den richtigen Stellen mit kleinen harmonischen Abweichungen überrascht.

Ein Song, der etwas aus dem Grundsound herausfällt, ist das großartige "Dead Houses", eine an The Postal Service erinnernde, hypnotische Elektronummer, bei der ein einfaches Bassriff, Klatschen zu einem geraden, dumpfen Bassdrumbeat und ein paar Keyboardflächen ausreichen, um darin zu versinken. Im Inneren entsteht passend dazu das Bild von heruntergekommenen Häusern, die verlassene Straßen in Liverpool säumen.

Wäre Timothy in London geblieben, hätte er wohl nie eine Band mit derartig breitgefächertem Musikspektrum gegründet. Schließlich haben sich durch die Übersiedelung auch seine Hörgewohnheiten geändert.

Tim: "Früher habe ich fast ausschließlich härtere Gitarrenmusik gehört. Ich glaube, ich habe viel davon hinter mir gelassen und mich erst kürzlich für elektronische und groovige Musik zu interessieren begonnen."

Auf dem Album hat dieser Geschmackswandel sogar soweit geführt, dass mit dem sehr reduzierten "Keep The Lights On" ein Song seinen Platz gefunden hat, der trotz seiner gegenwärtiger Klangästehtik ein gewisses Motown-Feeling erzeugt. Vor dem simplen aber druckvollen Refrain würden wohl selbst die Bee Gees ihre Hüte ziehen.

Magnus Blikeng

I broke the Neck on my Guitar

Mit dieser Textzeile leitet Wave Machines-Sänger Timothy Bruzon den wohl berührendsten und persönlichsten Song des Albums ein. Denn der recht klassisch instrumentierte Song "Punk Spirit", der sich in nur dreieinhalb Minuten zu einer furiosen Hymne aufbaut, erzählt von der Unzulänglichkeit, in belastenden Situationen nicht für seine Überzeugungen eintreten zu können, sondern alles runterzuschlucken.

Tim: "Ich glaube, jeder kennt dieses Gefühl der inneren Aggression, wenn du in einer schwierigen Situation bist und nichts lieber machen würdest, als deine Meinung zu sagen. Aber du hast keinen Mut genau das zu tun. Dieser Song beschreibt dieses ohnmächtige Gefühl, dass ich oft in meinem Leben hatte."

Die sanfte Gitarrenmelodie zu Beginn, der rollende Marschrhythmus, die warme Orgel und der markante Backgroundgesang haken sich unweigerlich fest, sowie die wiederholte Frage, wo in diesen Momenten denn nur unser punk spirit abgeblieben ist. Wenn Musik uns verändern kann, dann dadurch, dass sie uns an wichtige Dinge erinnert. Dieser Song kann uns in heiklen Situationen zumindest an unsere Stärken erinnern. Denn hat man ihn erst einmal gehört, verlässt er sehr lange Zeit nicht mehr den Kopf.