Erstellt am: 7. 10. 2009 - 11:08 Uhr
It's a man's world
Schade. Auch im dritten Anlauf kapitulierte der Schreiber dieser Zeilen an "The Wire" und hat nach ein paar Folgen die DVD-Box wieder weggelegt.
Das ist besonders bedauerlich, sind sich doch führende Experten, von einigen vertrauenswürdigen Freunden über diverse Filmkritikerpäpste bis hin zum amtierenden US-Präsidenten, einig, dass es sich bei dem Drogenhändler-Drama um die beste TV-Serie von überhaupt handelt.
In der Theorie verstehe ich auch sämtliche Vorzüge des vielgelobten HBO-Fernsehwunders, die schlichte, schnörkellose Kameraführung, den Drang zur maximalen Ghetto-Authentizität, die epische Komplexität der Erzählung, die rohen Slang-Dialoge.
Vor dem Bildschirm sitzend bescherte mir all das leider trotzdem keinen Nervenkitzel, saugten mich die ersten Folgen zu wenig ins Geschehen hinein. Was läuft da mit mir falsch, fragte ich mich angesichts der allgemeinen hymnischen Berichterstattung? Ist es bloß der soziale Realismus, der als Antithese zur genreüblichen Plakativität ziemlich spröde und bisweilen ermüdend wirkt?
HBO
Nein, mein Problem mit "The Wire" hat weniger mit dem mangelnden Entertainmentfaktor als meinem persönlichen Blickwinkel zu tun.
Dass in bestimmten Gegenden einer Stadt wie Baltimore das Crackdealen zum Alltag gehört, dass korrupte Polizisten mitverdienen, dass Mord in diesem Geschäft dazugehört, davon gehe ich nämlich aus. Nur das Gegenteil würde mich überraschen.
Die große Enthüllung, auf die diese Serie hinauszulaufen scheint, dass sich zwischen Gut und Böse, Kriminalität und Gesetz keine Trennlinien ziehen lassen, dass es komplexe Vernetzungen von Verbrechen, Politik und Medien gibt, verstörte angeblich den prominenten Fan Obama. Mir kommt sie wie ein alter Hut vor.
Nicht bloß, weil ich seit jeher hartgekochte Autoren wie James Ellroy verschlinge oder einfach die Nachrichten verfolge. Sondern, weil mein Weltbild einfach ganz grundsätzlich verdunkelt ist und vom Schlechteren ausgeht.
In diesem Sinn schockiert mich auch "Mad Men" nicht, die andere bedeutende US-Serie, um die es hier gehen soll, diese von Unmengen krebserregenden Zigarettengepaffe vernebelte Studie des brutalen Machismo, gnadenlosen Kapitalismus und schmierigen Gefummels.
Denn schließlich wird darin der Aufstieg einer New Yorker Werbeagentur in den beginnenden sechziger Jahren geschildert. Und ich bin nicht so naiv, bei dieser unverblümt sexistischen, rassistischen und homophoben Ära an irgendwelche unbeschwerten Swinging-Sixties-Idyllen zu denken.
AMC
Ein bisschen irritierend empfinde ich es trotzdem, wie sehr mich "Mad Men", mit seinen unterdrückten Ehefrauen, mies bezahlten Bürosklaven, degradierend behandelten Sekretärinnen und rücksichtslosen Ellbogentaktiken, tatsächlich begeistert.
Ich denke, diese Faszination, der regelmäßig auch Millionen Amerikaner verfallen und der die Serie etliche Emmys und Golden Globes verdankt, hat verschiedene Gründe. Zum einen ist es die verführerische Verpackung, mit der Serienschöpfer Matthew Weiner die Zuschauer in die Falle lockt.
Das Reich der verrückten Männer rund um die Werbeagentur Sterling Cooper und ihres Vorzeige-Alphatiers Don Draper ist ein Imperium der Eleganz und Genusssucht. Edle Stoffe rascheln, Whiskygläser klirren unentwegt, teures Essen wird aufgetischt. Der blaue Dunst, der fast jede Szene umhüllt, macht nicht bloß Kopfweh, er wirkt manchmal so sexy wie in alten Noir-Streifen.
Dieser wüst zelebrierte Hedonismus - der auch vor dem Arbeitsplatz nicht Halt macht, denn schließlich werden Meetings regelmäßig mit hochprozentigen Drinks beendet - imponiert zugegeben im effizienzbesessenen Hier und Jetzt.
Beeindruckend ist auch das aus unverbrauchten Gesichtern zusammengestellte Darstellerensemble. Jon Hamm legt den erfolgreichen Creative Director Draper so vielschichtig an, dass er sogar in den finstersten Augenblicken zur Identifikation einlädt. Elisabeth Moss und January Jones begeistern mit Frauenfiguren, deren Komplexität im Fernsehen Seltenheitswert hat.
Eingelullt von den grandiosen Akteuren und der glamourösen Fassade wird man in das spießbürgerliche Grauen gezogen. "Mad Men" ist ein Pandämonium des Lügens und Betrügens, der gemeinen Businesstricks und verbotenen außerehelichen Affären.
AMC
Natürlich kokettiert die Serie unentwegt mit dem Köpfeschütteln des heutigen Publikums über all die dreisten Popoklapse, Gehässigkeiten und Finten.
Aber gehören die offensiv ausbeuterischen Arbeitsbedingungen der Frühsechziger wirklich der Vergangenheit an? Haben sich die Geschlechterverhältnisse drastisch zum Besseren verändert? Oder ist nicht längst ein gesellschaftlicher Backlash eingetreten, wo sich unter der Oberflächenpolitur der politischen Korrektheit die alten Abgründe auftun?
Matthew Weiner lässt die Antworten offen. Dass "Mad Men" eher ein verzerrtes Spiegelbild der Gegenwart darstellt als bloß grimmige Nostalgie, liegt aber auf der Hand. In den besten Momenten versucht dieses TV-Ereignis, frei von irgendwelchen Dekaden, ganz grundsätzlich männlichen Defekten auf die Spur zu kommen.
Es gibt da einige besonders eindringliche Einstellungen, die auf Musik und Worte beinahe verzichten und einem dennoch den Boden unter den Füßen wegziehen. Dann lassen Lynch und Hitchcock grüßen, und aus Fernsehen wird ganz große Kunst.
AMC