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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

4. 10. 2009 - 23:01

Journal '09: 4.10.

Brief ans Elevate.

Liebes Elevate-Festival,

1
seit ich vor ein paar Jahren eher zufällig in dich, besser: dein erstes Jahr, hineingestolpert bin, mag ich dich.

Das Elevate-Festival für zeitgenössische Musik, Kunst und politischen Diskurs findet von 21.- 26.10. in Graz statt.

Ich mag dich, weil du ohne Hintersinn und weil du ein Verknüpfer, ein Verbinder bist. Und weil du das seit einiger Zeit durchziehst, ohne da in Fallen zu tappen.

Es gibt ja eine Menge wirklich exzellenter Festivals, die sich in einer einzelnen Dimension genügen.
Es gibt auch eine Menge superprofessionell abgeführte Festivals, die sich mit ihren Nebenreihen eine intellektuelle Existenzberechtigung erkaufen.
Es existieren auch jede Menge Festivals, die sich als rein geschäftlicher Faktor verstehen, drüber hinaus auch gar keine Ansprüche haben.
Und es existieren auch Festivals mit hohen Ansprüchen, die sich dann aber gern übers Abgreifen von Subventions-Budgets definieren.
Und es gibt auch Festivals, die sich darin gar erschöpfen, die nur geschaffen werden, um Budgets zu verbraten.

2
Du, Elevate, tust das alles nicht.
Du kannst das, was sonst kaum einer kann: zwei Welten verbinden.
Dir sind die Diskussions-Reihen und die Workshops genauso wichtig wie das Musik-Programm. Du kannst also den Geist befreien und den Arsch folgen lassen, du weißt um die Gleichwertigkeit von Innovation und Emotion.

Das ist in einer Geistes- und Hochkulturwelt, die am Partymachen elend scheitert, ebenso selten wie in einer Popwelt, die sich vor Ernsthaftigkeit scheut.

Du hast diese Scheu nicht und stellst dein Programm nach bestem Wissen und Gewissen, ohne Rücksichtnahme auf kommerzielle Verwertbarkeit oder auf die Zufriedenstellung von Subentionsgebern zusammen.
Du gehst ohne jeglichen Hintersinn an die Arbeit.

Und das mag ich, sehr.

3
Heuer hab ich mir wieder überlegt dich zu besuchen, zumal es am Donnerstag einen fetten Medienschwerpunkt gibt.
Und es wird so sein, dass ich doch in Wien bleibe.
Weil dieses schöne Gefühl dich zu mögen allein reicht nicht mich zu dir zu locken.

Nicht einmal mit einem "Die Krise der Medien"-Tag.
Ich will dir kurz erklären warum.
Das Strategietreffen um ein BürgerInnen-Journalismus-Projekt loszutreten dient wohl eher einer Status-Quo-Bestimmung und einer Selbstdefinition.
Der zweite Workshop zum "Community Founded Journalism" wird sicher hochinteressant - aber ebenso wie Erich Möchels Vortrag zur Militarisierung des Cyberspace wäre der Erkenntnisgewinn in einem anderen Format ein größerer.

Das hat damit zu tun, dass mir als Freund der konkreten Ansage und Gegner des überlangen basisdemokratischen Einigungsprozesses andere Diskussions-Formen eher entgegenkommen.
Aber dafür gibt es ja ein großes abschließendes Diskussions-Panel.

4
An dem hing es also, und da war ich dann - negativ - erstaunt.
Erstens über den Titel: "Medien und Journalismus: Krise oder Konjunktur?" - eine Parodie auf den "Fluch oder Segen?"-Running Gag, die Nogo-Area des Journalismus.
Da nehmen ein Investigativ-Starreporter der NYT, der ORF-Büroleiter in Brüssel, eine halbpensionierte Doyenne, der einzige Medienjournalist im Print-Bereich und eine Okto-Intendantin teil.
Allesamt unglaublich ehrenwerte Menschen.
Aber ebenso sind das, Elevate, allesamt Vertreter der alten Medien, Print und TV von herkömmlichem Zuschnitt.
Also die Holzklasse.

Das ist ein wenig trüb und hat mich enttäuscht.
Das ist so, als ob man zur Diskussion ums Tempo auf der Dampfbahnstrecke die besten Postkuscher lädt.
Außer ein wenig Gejammer kann da nicht viel dabei herumkommen, Elevate, einfach weil die Analogen das Digitale ja noch gar nicht erfaßt haben.
Hierzulande noch mehr als sonstwo - aber selbst der NYT-Star wird nur die alte Sicht der Dinge vertreten.

Das erwarte ich von den vielen öden Medientagen und -ungen, die die österreichische Medienindustrie abfeiern, Elevate, aber nicht von dir.

5
Dass Interessensvereinigungen wie die VÖZ oder die Privatsender die Einschnitte, die die (unverhinder- und unaufhaltbaren) Strukturveränderungen der Medienentwicklung gern wegschieben und deswegen bei ihren (öffentlichen) Debatten (behind closed doors tun sie es natürlich schon) nicht besprechen, das kann ich ja nachvollziehen.
Dass aber ein extrem unabhängiger Think Tank wie du ins selbe Horn stößt, das verwundert mich dann doch.

Es wird doch, Elevate, nichts mit dem letztjährigen Auftritt des Onkel Lorenz zu tun haben. Habt ihr seine Provokation so ernst genommen, so verinnerlicht, dass das "Scheiß-Internet" jetzt so schön ausgespart wird?
Hast du, Elevate, dem Onkel nicht genau zugehört oder nachher, nach seinem Sager, nicht mit ihm gesprochen?

Denn ein jeder mit einem Gramm Fachkenntnis wusste doch dass dieser Spruch als Ansporn getätigt wurde, dass der Onkel Lorenz damit nicht mehr anstoßen wollte als die seiner Meinung nach zu geringe öffentliche Inbesitznahme von Distinktion und ein forscheres Auftreten von dir, Elevate, und deinen Gesinnungsgenossen.
Er ist nämlich nicht nur ein Anstoßgeber, sondern auch Vater eines E-Workers, der Onkel, er weiß also Bescheid.

6
Hast du, Elevate, das derart in den falschen Hals bekommen, dass du ihn jetzt in etwas, was er ganz anders gemeint hatte, bestätigen musst?

Das heurige Panel der Kutscher jedenfalls hat zu dem, was es an Interessantem und Wichtigem zu besprechen gäbe, recht wenig zu sagen, wird darüber eher nur (wie das seit Jahren so peinlich üblich ist) über die Perspektive ihrer Kinder sprechen können, also ein Missverständnis perpetuieren.
Was für die Zeitungsverleger und andere recht wäre, darf dir, Elevate doch nicht billig sein, oder?

Warum bekomme ich bei dir, Elevate, nur das übliche Medien-Krisen-Podium der alten Schule? Wo wäre das Äquivalent dazu in deinem Musikprogramm oder in deinen Schwerpunkten zu Ökologie und Ökonomie? Dort, Elevate, kann ich das nicht entdecken.

Weil das Elevate sehr lässig ist, hat es mir auch zurückgeschrieben - hier ist die Antwort nachzulesen!

Nun ist so etwas natürlich kein Beinbruch.
Aber gerade weil ich dich so mag, Elevate, muss es auch möglich sein, das anzusprechen. Egal, ob du das verstehst oder nicht.
Ich werde dich weiter sehr mögen, Elevate, auch wenn ich heuer nicht vorbeikommen werde.

Es grüßt dich dein Fan aus Wien.