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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

5. 10. 2009 - 10:44

The Big Beach Massacre

Beim Fantasyfilmfestival von Sitges treffen sich Twi-Hards und Grindhouse-Fans unter Palmen, lachen mit Kobolden und fürchten sich vor Freddy Krueger.

Das hier ist kein Festival wie alle anderen. Das wird jedem klar, der auch nur einen Tag in Sitges verbringt: In der katalanischen Kleinstadt direkt am Meer, das sich die Klippen hochwirft und an die wunderschönen Sandstrände züngelt, zieht sich jedes Jahr für zwei Wochen im Frühherbst die Welt des fantastischen Kinos zusammen auf drei Kinos und über hundert Filme. Das Filmfestival von Sitges ist eines der dienstältesten – und vielleicht deshalb schon legendärsten – Fantasyfilm-Events diesseits des Atlantiks.

Strand

Sitges

Tja, wer würde hier nicht arbeiten wollen? Einer der Strände von Sitges, im Hintergrund erhebt sich die Altstadt. Vielleicht einer der schönsten Orte Europas.
Sitges Poster

Festival Sitges

Das SITGES International Fantastic Film Festival of Catalonia ist eines der wichtigsten Fantasyfilmfestivals der Welt. 1968 noch als 1. Internationale Woche der Fantasy- und Horrorfilme veranstaltet, ist die Veranstaltung das wichtigste kulturelle Ereignis in Katalonien und zieht Tausende Filmfans und Fachbesucher an. Oben: das Sujet 2009 "30th Anniversary of Alien"

Tausende von Connaisseuren, Schlachtplattengenießern, Otaku, Exploitation-Verrückten und insgesamt Film- und Kinoliebhabern bevölkern für diese Zeit den idyllischen Ort, der ohnehin schon zu den vibrierendsten Spaniens zählt. Hier stehen Schwulenbars (Sitges gilt als gay centre des Landes) neben alten Kirchen, alles ist umweht von einem dezenten bis aufdringlichen Gras-Odeur. Wenn man die rosarote oder besser: blutrote Brille abnimmt, weiß man freilich, dass hier nicht alles feist, sauber und lässig ist, dann realisiert man, dass das utopische Sitges von denselben Problemen geplagt wird, wie der große Rest des Kontinents. Es mag sein, dass es die Wirkkraft des Kinos ist, die hier die Wirklichkeit wegschiebt, sie einem aber gleichzeitig bewusster macht (irgendwann muss man ja wieder aufwachen). Es mag sein, dass diese Mischkulanz aus Palmen, Stränden, einem gegenkulturellen Atmo-Überhang und der spanischen Mentalität dieses Trugbild unterstützt.

Ein Festival für Fans

Sitges, heuer immerhin in seiner 42. Ausgabe, ist nicht vergleichbar mit anderen Festivals, da die Besucher das Kino und die Filme, die sie hier zu sehen bekommen bedingungslos lieben und unterstützen. Im sehr gelungenen Dokumentarfilm Best Worst Movie fällt auf einer Fantasy-Convention in den USA der folgende Satz: „You can not compare horror film fans to any other fans out there, just because they are so much more dedicated and loyal.“

Theorie und Praxis: Gleich bei meiner ersten Vorführung (es ist mein drittes Jahr in Sitges) jubilieren die Massen im Kino – kaum eine Vorstellung hier ist nicht ausverkauft oder zumindest gut gefüllt – über den diesjährigen Trailer. Zwei farbige Männer überfallen eine Tankstelle, der Lehrbub schießt einem der beiden in die Brust, bekommt dafür eine Kugel durch den Kopf gejagt. Der zweite Räuber erschießt den vollbärtigen, übergewichtigen Ladenbesitzer, der seinen Mörder wiederum mit einer abgesägten Schrotflinte den Brustkorb aufreißt. Am Ende rinnt eine Blutlacke auf ein am Boden liegendes, aufgeschlagenes Ei zu. Das Publikum schreit und jubiliert wie bei jedem Film, der hier gespielt wird.

Zynismus ist nicht angebracht: Natürlich kann man jetzt einwerfen, dass die Fangirls und -boys verblendet seien, sich von dieser Stimmung mitreißen ließen und ja keinen Kriterienkatalog mehr mitbrächten, um wirklich zu entscheiden, was ein guter und was ein schlechter Film ist. Spießer sind hier eben fehl am Platz: In Sitges werden die unterschiedlichsten Arbeiten von den unterschiedlichsten Regisseuren abgefeiert. Alle Künstler sind dankbar, hier sein zu dürfen. Eine Premiere in Sitges ist ein Erlebnis, das keiner so schnell vergisst. Immerhin ist hier John Carpenter entdeckt worden, bevor er mit Halloween weltbekannt wurde. Auch George A. Romero zählt zu den Stammgästen.

Hey, Mr. Vampire! I like you very much!

Festivaldirektor Angel Salá, ein umgänglicher Typ, scheut sich aber auch nicht davor, in sehr populäre Gefilde vorzustoßen. Wieso auch? Gemeinsam mit einem spanischen Filmverleiher organisierte das Fest am vergangenen Samstag ein Event, vor dem ich mich gefürchtet, dem ich dann aus Neugierde beigewohnt habe und das mich schließlich in seiner ganzen Energetik (fast) umgehauen hat. Zu sehen waren jene Ausschnitte aus dem im November weltweit startenden zweiten „Twilight“-Film New Moon, die bereits auf der Comic-Con vor einem ekstatischen Publikum über die Leinwand gelaufen sind.

nackte Männer

http://www.moviesense.nl/2009/05/ontblote-indianen-op-eerste-twilight-2-poster/

Are you with Team Jacob or Team Edward? Kann mich nicht entscheiden: Yummy? Bäh? Egal: KREISCH!
junger Mann

http://teemix.aufeminin.com/star/photo-509411-jamie-campbell-bower.html

Wer kreischt mit? Jamie Campbell Bower spielt den Caius in "New Moon" und hat Sitges zum Ausrasten gebracht.

Einem Außenstehenden wie mir, der den ersten Film einmal gesehen und gemocht hat, sagt das natürlich alles nichts. Ich habe nicht mal den Schauspieler erkannt, der in „New Moon“ den Caius spielen wird. Sein Name ist Jamie Campbell Bower, er trägt langes, mittelblondes Haar und Glampunk-Klamotten, als er vor die 1.500 (!) Fans – vorwiegend weiblich, aber auch eine sehr tiefe Stimme brüllt während des Q & A’s „Sexy!“ auf die Bühne – tritt und die Fragen des Interviewers brav beantwortet. Dann sieht man noch einige Filmausschnitte (allesamt auf Spanisch), die offizielle Poster-Art und das war’s. Eine junge Frau aus Madrid ist für diese dreißigminütige Veranstaltung hergeflogen, hat 27 (!) Stunden vor dem Kino verbracht und sieht nach der Show unwahrscheinlich glücklich aus: vielleicht auch weil es für jeden – also auch für mich – Besucher ein „Luna Nueva“-Goodybag inklusive T-Shirt – leider in Small -, einem obligatorischen Button und einem sensationellen Schnalzband (Kindheitserinnerung!) gab. Vermutlich aber, weil sich das hier eher angefühlt hat wie eine religiöse Orgie.

Frau, Bad, Krallenhand

http://hurricanebws.hi5.com/friend/105936607--Leaf--Profile-html

Krueger krallt sich Nancy: A Nightmare On Elm Street

The Best is the Worst

Das ist die eine Fankultur, eine der unzähligen anderen sind diejenigen dunkel gewandeten Hard Boileds, die sich in „Grindhouse“-Shirts am Sonntagmorgen vor dem Kino anstellen, um eine Vorführung von Wes Cravens Klassiker A Nightmare On Elm Street in einer gloriosen 35mm-Kopie zu sehen. Einige von ihnen erfreuen meine schlaftrunkenen Augen mit wunderfeinen Fred-Krueger-Kostümen inklusive Plastikmesserhänden. Ich bin im Himmel.

Viele dieser Gesichter habe ich bereits in der Donnerstagnacht gesehen: Um Schlag Mitternacht startet die bereits oben erwähnte Dokumentation „Best Worst Movie“: der Regisseur ist Michael Stephenson und er hat selbst im „schlechtesten Film aller Zeiten“ mitgespielt. Gemeint ist Troll 2, inszeniert vom italienischen Regisseur mit Weltruhmambition Claudio Fregasso. Die Geschichte kreist um eine Kernfamilie, die mit einer anderen Familie aus Nilbog (!) das Haus tauscht und im Urlaub von Goblins (!), die sich in Menschen verwandeln können, terrorisiert und von einer Kräuterhexe im Wald in Pflanzenhumanoide (!) verwunschen werden.

Menschen

Flickr

Fans des „Best Worst Movie“ bei einem Screening in Chicago

„Best Worst Movie“ kreist um den Darsteller des Vaters, George Hardy, der mittlerweile in einer Kleinstadt eine Zahnarztpraxis betreibt, und von seinem Filmsohn Michael Stephenson aufgesucht wird. Die beiden gehen auf eine sehr lustige, spannende und bewegende Erinnerungsreise, trommeln die Cast & Crew (inklusive des ziemlich unsympathischen Regisseurs) zusammen: „Troll 2“ war eine Direct-to-VHS-Produktion, eine Irgendwie-Fortsetzung von John Carl Buechlers außergewöhnlichem Fantasymärchen „Troll“ und hat sich in seinen Jahren in den Videothekenregalen für eine ganze Generation zu einem Kultfilm gemausert. Stephenson besucht Fanabende, ausverkaufte Wiederaufführungen des Films in New York und lässt die Liebhaber erklären, wieso sie den Film so toll finden: „I just don’t see how anyone could not like this movie!“ Durchaus verständlich: denn „Troll 2“ unterscheidet sich von anderen Trash-Filmen dadurch, dass er sehr ernsthaft gedreht worden ist. In „Best Worst Movie“ ist übrigens auch ein in Zwettl ansässiger österreichischer „Troll 2“-Fan zu sehen. Es wird eines meiner Lebensziele 2009 sein, ihn ausfindig zu machen und mit ihm über diese Leidenschaft zu plaudern.

Das erste Sitges-Wochenende geht dem Ende zu, das Festival läuft sich gerade erst warm. Ich melde mich bald wieder mit Eindrücken aus dieser „Twilight Zone"!