Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Song zum Sonntag: Air"

Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

4. 10. 2009 - 11:58

Song zum Sonntag: Air

ElectroNeuSurfVocoderHummelflug: "Be A Bee"

Nicolas Godin: This is a tune that we'd been playing at soundchecks for a while. I love it and I love the sound of it: Be A Bee!
Jean-Benoît Dunckel: It's a crazy instrumental but in a good way. The lyrics don't make any sense but the music is a freakout.

Eine Fingerübung, ein Pausenfüller, ein Soundcheck-Track. Wie schon die andere doofe Air-Nummer für Kinder, die mir gut gefiel, "Alpha Beta Gaga" (allein der Titel) besteht Be A Bee aus ein bis drei kurzen musikalischen Ideen, die nach unten genanntem Verfahren variiert werden. Eine Kalauerzeile, die durch verschiedene Tonhöhen gefiltert wird, ein Link Wray Lick, ein treibender Neu! Beat, und die Spielerei mit dem Pitchregler des Keyboards, der den wilden Flug der Bienen darstellen soll. Einfach und sofort leicht für jedes Kind zu erkennen. Einfach und unmittelbar hingestellt, um wegen seiner Einfachheit und Unmittelbarkeit von jedem Kind - und ich glaube vor allem von denen - geliebt zu werden.

Leute wie ich werden hier vorgeführt. Wir, die wir bei Air immer nur mantraartig "like Punk never happened" murmeln und köpfehängend wähnen, dass die musikalische Reaktion in Gestalt von Barry-Manilow-Arrangements auf eine ähnliche Art gewonnen hat wie Westerwelle (nämlich indem die Menschen das herbeisehnen, was ihnen am direktesten schadet) - wir verstehen Air wohl einfach nicht.

stereogum.com

Wir halten die "Magie", die von Klangteppichen, Drumfills und Analogstudiosounds ausgeht, für das Gegenteil von magisch. Wir denken beim offensiven Ausstellen der möglichst unrebellischsten Attitude als Ausdruck von "Eleganz" an eben genau die unrebellische Attitude, die wir für unelegant befinden. Wir halten die Ironie, die Schulenglisch mit starkem französichen Akzent in die von angloamerikanischer Musik dominierte Popwelt tragen soll, für platt. Und den Zauber, der etwa von mit Orff-Instrumenten hergestelltem Bossa Nova ausgehen soll, für nicht eben besonders zauberhaft.

emimusic.de

Wir haben da etwas nicht verstanden: Dass sich die Musik von Air aus einer konzeptionellen Haltung speist. Das Konzept von Air spielt mit den abgeschmacktesten musikalischen Referenzteilen, die sich allein durch Grenzziehung und Übertreibung zu einem eigenen Stil formieren. Dann wird jedes dieser Teile durch Stille und Pausen noch mehr ausgestellt, bis der letzte Gedanke an "Originärität" oder "Schöpfung" als unzeitgemäß entlarvt wird. Fertig ist ein Meisterkonzept der Postmoderne, das sich auf einer Konstruktionsebene gut mit den nicht unähnlich abeitenden anderen Franzosen, Daft Punk, vergleichen lässt.

Cover von Love 2

Air

Der Song zum Sonntag ist eine Kooperation zwischen FM4 und der Presse am Sonntag und erscheint hier wie dort, wo sich der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar der Kolumne annimmt.

Air ist das ausgedachte und konstruierte Spiel mit musikalischen Versatzstücken aus jener Zwischenepoche, die eben genau für uns Rebellions- und Kunst- und Punkrocknostalgiker das Böse schlechthin darstellt. Ich sage nur: Saga, Eloy, Sky, Barclay James Harvest, Alan Parsons Project, ELO und - keine Air-Besprechung kommt ohne aus - die Teppich-Pink-Floyd der Endsiebziger. Und diese Arbeit mit der reinen, entleerten und hundertfach gehörten Form entlarvt uns Messagefetischisten selbst als überkommene Anbeter einer leeren Form, nur eben der "Anderen" (Geschrei, Agression, Geschwindigkeit, Lärm), die schon lange keine Subversion mehr ausdrückt. Darüber lachen Air und schalten die Echokammer ein. Der Punk und der Hiphop von heute enthalten fast nie mehr als ebendieses inhaltsleere Formenspiel - nur eben unreflektiert und mit den "guten" Markern. Eine Folgerung, die auch Jochen Distelmeyer dazu gebracht hat, möglichst glatte Sounds und möglichst ausgelutschte "Liebe ist"- Schlagerstehsätze zur guten Spätphase von Blumfeld werden zu lassen.