Erstellt am: 3. 10. 2009 - 14:19 Uhr
Die Rache des Papstes
Berlin liegt nach der Wahl in Schockstarre. Gelb-schwarze Koalition und Westerwelle als Außenminister - es ist bitter. Saufen, auswandern, vier Jahre vorspulen waren die ersten Reaktionen am Wahlabend, inzwischen versucht man die Dinge positiver zu sehen. Wurden in der Ära Kohl nicht die besten Protest-Songs geschrieben?
Es geht weiter, Regierungen vergehen, die Jahre vergehen.
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2009 war ja das Jahr der Jubiläen: 40 Jahre Mondlandung, 40 Jahre Woodstock und Steffi Graf und nun am 3. Oktober steht das nächste Jubiläum an: Der Fernsehturm am Alexanderplatz wird 40! Man sagt den Berlinern ja nach, dass sie ihren Gebäuden gerne Spitznamen geben wie "Schwangere Auster" für die Kongresshalle oder "Erichs Lampenladen" für den Palast der Republik. Der von der Regierung forcierte "Telespargel" konnte sich als Spitzname für den Fernsehturm nie richtig durchsetzen. Der Fernsehturm, das höchste Gebäude Berlins sollte 1969 mitten im kalten Krieg als alles überragende "sozialistische Höhendominante" bis in den Westteil Berlins hinein die Überlegenheit des Sozialismus verkünden und auch alle Kirchen übertreffen. Kurioserweise zeigte sich durch die Rundung des Turms auf der silbrig glänzenden Außenfläche eine kreuzförmige Spiegelung, die dann von der Bevölkerung"Die Rache des Papstes " genannt wurde.
Man versuchte mit Säure, durch Stumpf-Schleifen und Überlackieren das unerwünschte Lichtphänomen zu entfernen, aber erfolglos. Das weithin leuchtende Kreuz war ja auch im Westen gut zu sehen und rief Spott und Häme hervor, also wurde es von der Partei als "Plus für den Sozialismus" interpretiert.
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Wollte man in den Achtzigern aber als Westberliner mal in die andere Stadthälfte, musste man Eintritt zahlen: 25 DM Zwangsumtausch, die man bei dem schmalen Ostberliner Warenangebot gar nicht so leicht ausgeben konnte. So stand man am Alex geduldig nicht unter einer Stunde am Aufzug an, um zum Dreh-Restaurant im Fernsehturm zu fahren, wartete oben brav, bis man "platziert " wurde. Nach einer Stunde Umdrehung am Ausgangspunkt angelangt, wurde man zum Gehen aufgefordert.
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Eine Anekdote besagt, dass sich nach dem Mauerfall das Restaurant zur besseren Auslastung doppelt so schnell drehen musste und den Kellnerinnen ganz schwindlig wurde - eine schöne Parabel auf den menschenverachtenden Kapitalismus. In den Neunzigern wurde der Fernsehturm von der Club-Szene als Logo für Flyer und Plattencover benutzt und mit seiner Discokugel ein Symbol des feierfreudigen neuen Berlins und heute ist er als Wahrzeichen viel beliebter als das olle Brandenburger Tor. Denn der Fernsehturm bietet Orientierung, wenn man sich mal wieder verlaufen oder verfahren hat und man freut sich, wenn Besuch von auswärts kommt und man einen Grund hat mal wieder hochzufahren, denn sitzt man abends im drehenden Telecafé, liegt einem das ganze glitzernde Berlin zu Füßen.