Erstellt am: 3. 10. 2009 - 16:08 Uhr
A Void Story
Das Verhalten von Menschen in Extremsituationen variiert stark. Zum einen wirkt der Zwang der unmittelbaren Gefahr auf dich ein, zum anderen ringt die Abwehr um das blanke Überleben. Während manche in Panik verfallen, reagieren andere extrem ruhig und besonnen. Das Protagonisten-Pärchen im Stück "Void Story" der britischen Theaterkompanie Forced Entertainment zählt zu letzteren. 85 Minuten lang sind Kim und Jackson auf der Flucht - und gehen dabei noch ans Telefon.
"What do you know about Jesus?"
"Not much."
"Would you like to hear the story about Jesus and the GPS? I won't continue unless you make a donation. Your credit card number?"
"I don't have a credit card."
Sie haben alles verloren außer einander und ihre Ratio. "Void Story" ist eine düstere Foto-Science-Fiction, die den Schrecken rational kommentiert, bis die Komik für kurze Momente wieder und wieder überhand gewinnt. "I lost skin and some of the bones but it's ok."
Die britischen Theatermacher von Forced Entertainment feiern dieses Jahr ihr 25-jähriges Bestehen. Bekannt und geschätzt sind Tim Etchells und seine Mitstreiter aus Sheffield für ihre so grausamen wie oft grandiosen Produktionen.
Das Spektrum reicht von interaktiven CD-ROMs über Installationen zu vierundzwanzigstündigen Durational Performances.
Theaterkonventionen und Publikumserwartungen brechen und sprengen Forced Entertainment mit Vergnügen.
Das ist kein Theater.
Was der Autor, Regisseur und Forced Entertainment-Mastermind Tim Etchells auf die Bühne des steirischen herbst bringt, ist wie das Festival nicht an eine einzige Kunstsparte gebunden: "Void Story" kombiniert ein Live-Hörspiel mit überarbeiteten Fotos und Bildern, wie man sie aus Graphic Novels kennt.
Die Hauptfiguren Kim und Jackson stehen nicht auf der Bühne. Von der ersten Sekunde an erscheint das junge, plötzlich rastlose Paar in einer Art Storyboard auf der Leinwand über der Bühne. Rechts und links davon sitzen jeweils ein Mann und eine Frau an kleinen Tischen auf der ansonsten leeren Bühne. Sie sind ausgerüstet mit Mikrophonen, Laptops und Lampen, um in der Dunkelheit des Saals das Skript lesen zu können.
Die Ereignisse überschlagen sich zu Beginn. Das junge Paar in seiner Wohnung, ein Klopfen an der Tür. Einmal geöffnet schreit und schießt ein fremder Mann um sich und trifft Kim. Blut gurgelt aus ihrem Bauch, Freund Jackson wendet sich kurz ab, "disgusting!" und keine Pflaster im Haus. Keine Zeit, über die Absurdität der Situation den Kopf zu schütteln, das Paar wird aus seiner Wohnung und seinem Leben geworfen. Ein letzter Blick aus dem Wohnzimmerfenster: auf einen verödeten Spielplatz, die Müllhalde, die toxische Fabrik und den explodierenden Fernsehturm. Verstörend feindlich ist es draußen, und drinnen ist kein Zuhause mehr. Es fühlt sich an, als wäre man in einen Alptraum geschlüpft.
Die Handlung läuft in schwarzweißen Storyboard-Bildern ab, die mit Überblendungen ineinander übergehen. Die seitlich sitzenden Schauspieler leihen Kim und Jackson und allen, die dem Paar begegnen, nicht bloß ihre Stimmen. Sie schreien wie im freien Fall, sie beben vor Erregung, sie werden müde und hungrig und geraten ständig außer Atem.
Throw three knives at a time
Schnell schlage ich mich auf die Seite des Pärchens, das von allem und niemandem gejagt und doch einzig von seiner Vernunft geleitet wird. Das Figurenkabinett einschlägiger Horrorfilme begegnet Kim und Jackson im episodenhaften Verlauf. Das unheimliche Kind dabei glänzt mit quietschend-hoher Stimme als kleines, sadistisches Schlüsselkind Typ Emily the Strange ("My parents are on another schedule."), das weiß, wie es bekommt, was es will ("Or I'll tell you touched me"). Unverwüstlich schlägt sich das Paar mit Rieseninsekten und bedrohlichen Zukunftsprognosen von Wahrsagerinnen, irrt immer weiter durch verlassene Straßen, Psychiatrien und Städte in der Endzeit.

Forced Entertainment
Das Gag-Feuerwerk brilliert in der ersten Hälfte mit nachtschwarzem Humor. Die Zukunftsvision einer Umwelt, die von der Industrie verschlungen wurde, ist weit weniger Fiktion als die unverwüstlichen Hauptfiguren, die wie Super Mario stets ein Extra-Leben zur Hand zu haben scheinen.
Knochen brechen, Blut quillt, Lungen ringen nach Luft. Eingespielte Klangkulissen verdichten die Stimmen zu den Bildern. Das klingt verdammt echt. Die bizarre Schönheit des Schauderns lässt das Pärchen innehalten, Emotionen blitzen auf, als die beiden auf in Flammen stehende Gebäude blicken: "What do you think what they think?" - "Flames don't think". Als sie durch den Zufluss einer Kläranlage auf Treibgut stranden, schauen sie in den Sternenhimmel. Großer Bär, kleiner Bär und "Rambo". Alles wird gut, it's gonna be okay, solange man nur bloß weitermacht, was immer man macht, ja?!
"Void Story" ist noch heute, 3. Oktober, und morgen, 4. Oktober zu erleben (19:30 Uhr, Festivalzentrum steirischer herbst, Orpheumgasse, Graz). In englischer Sprache.
Is there a difference between hope and optimism?
Im letzten Drittel nimmt meine Begeisterung ab. Dem vom Hausgeist heimgesuchten Hotelzimmer können auch Forced Entertainment keine neuen Nachthemdchen-Verkleidungen abringen. Im Publikum wird das Kichern seltener. Die Vernunft widerspricht der Ausnahmesituation vehement und das Ende geht im Weißabgleich unter.
Dennoch: Empfehlung für ein schauriges Vergnügen.
Und: sitzen bleiben, wenn es klopft.