Erstellt am: 2. 10. 2009 - 16:15 Uhr
Härter als Sunn O)))
"Ich geh durch die Straßen ohne Gott und ohne Geld"
Jochen Distelmeyer ist allein, so wie jeder ab und an, und trotzdem möglicherweise wieder einmal jenseits von jedem. Seine Stimme ist nackt, nah und warm, keine Gitarrenwand schützt ihn, kein Schlagzeug gibt ihm Halt. Er steht im Regen, schon lange verlassen von allen guten Ratschlägen aus Indiehausen.
On Air: Das Interview mit Jochen Distelmeyer
"Regen" heißt auch der erste Song von "Heavy", und er lässt in seinem insistierend-manierierten Gesangstil erahnen, dass sich hier jemand exponiert, dass der Apfelmann am Ende gar Ernst machen könnte mit seiner von manchen als gefährliche Drohung verstandenen Version vom "kleinen Lied", wie es im Skandalwerk "Verbotene Früchte", dem Abschiedswerk von Blumfeld von 2006, durch dekliniert wurde. "Heavy", sagt Distelmeyer im Interview, zu dem er gut gelaunt, bewehrt mit weißem Hemd und Sonnenbrille an einem sonnigen Septembermorgen erscheint, sei einfach ein hübsches Wort, schwer und luftig zugleich. Heavy beschreibe die beiden Pole dieser Platte: schwer, geerdet, dunkel, und dann doch auch wieder luftig, sehnsüchtig gar ans Himmlische anklopfend.
Jochen Distelmeyer
Das zweite Stück dann, das schon vorab auf seiner Website veröffentlicht wurde, führt freilich auf andere, von Blumfeld ebenfalls schon sattsam ausgetretene Pfade. "Wohin mit dem Hass?" schält sich aus verstärkerartigem Feedback-Lärm heraus, knüppelt sich mit breiter Brust und breitbeiniger Gitarre den Weg frei ins Rampenlicht. Dort, auf der Bühne, wartet ein Per- und Transformer namens Distelmeyer, der den Energiewandler gibt. Er mobilisiert und kanalisiert, fast schon als (Selbst-)Zitat, die im Pop so zentralen Affekte, das Nicht-Einverstanden-Sein, das Dagegen-Sein, das Anders-Sein bzw. das Anders-Sein-Wollen. All das waren ja schon all die 16 Blumfeld-Jahre beständig durchgearbeitete Motive, musikalisch in Protestsongs der Marke "Die Diktatur der Angepassten", textlich gut versteckt auch in Rührstücken wie "Graue Wolken":
"Ich will sie hassen
und kann's nicht lassen
in allem, was sie ausmacht,
auch ein Stück von mir zu sehen."
"Am Ende ist es nur ein Song"
jochen distelmeyer
Am Ende von "Wohin mit dem Hass?", dem Stück unter dem Einfluss der brennenden Autos in den Banlieues, schlägt Distelmeyer vor, ihm all die Last aufzubürden. Das Sprachrohr, das keines sein will, die Lichtgestalt der Hass-Projektionen, er, der ganz post-postmodern, nicht mehr länger einen Unterschied zwischen diesem Bühnen-Ich und seinem tatsächlichen Ich machen will (das ja schon immer auch der Staat, also Ideologie, gebaut aus falschem Bewusstsein, war), meint das auch tatsächlich genauso. Und wie als Beweis dafür geht's dann bald federleicht swingend weiter mit der Single „Lass uns Liebe sein“, bis am Ende, im Stück „Murmel“, das Versprechen von den gereinigten Empfindungen und den entschlackten Bedürfnissen und die Ahnungen eines Glücks in Form von Kinderaugen warten. Doch Vorsicht: "Am Ende ist es nur ein Song".
Distelmeyer, das zeigt sich nicht erst im Bogen dieser bis auf wenige uninspirierte Rockaussetzer schönen und teils anrührenden Platte, hat längst die ihm lange Zeit attestierte Dylanhaftigkeit verlassen. Es geht ihm, so paradox, ja vielleicht naiv das klingen mag, um ein riskantes, im Grunde unmögliches und deshalb auch leicht belächelbares Unternehmen. Nämlich Worten und Tönen, die verbraucht, klischiert oder zum Genre versteinert erscheinen, eine Lebendigkeit und Wahrhaftigkeit zurückzugeben, die sie nicht mehr haben können.
Funktionieren oder besser funkeln kann das Ganze (und tut es in meinen Ohren auch) in den minimalen Verschiebungen, die da vorgenommen werden: In den Schlagern, die keine sind, in den "Heavy"-Rock-Stücken, die nah am Mainstream gebaut sind und trotzdem den Geist einer Freiheit eines Systems Distelmeyer atmen, das ja zu Pop mit großen Buchstaben sagt und keine Grenzen kennen will. Das mag seltsam klingen, kündet aber möglicherweise von mehr Mut, als routiniert "Optionen zu verwalten", wie Distelmeyer, im Bezug auf die derzeitigen Noise-Götter Sunn O))) und der kulturindustriellen Neigung, auch daraus so etwas wie "Fashion-Icons" zu machen, fest stellt: "Ich kenne da schon Härteres. Härteres, Leiseres."
"Es ist einfach Bob Dylan zu sein"
Während Bob Dylan, der Meister der Maskeraden und Rollenspiele, immer schon nicht da war, geht es Distelmeyer darum, zu sich zu kommen, ohne gleichzeitig an ein naives Ich als Gegensatz zur Welt zu glauben: "Ich glaube, es ist einfach Bob Dylan zu sein. Aber es ist ziemlich schwer, Robert Zimmerman zu sein."
Deshalb wohl heißt Distelmeyer immer noch Distelmeyer. Die Zeit der fast schon hysterischen Authentizitätsabwehr, die Rede vom Tod des Autors und die an solche Identitätszweifel gekoppelte Funktion des Popmusikers als Durchlauferhitzer der Diskurs-Keywords zurzeit, die habe er spätestens seit "Old Nobody" von 1999 hinter sich gelassen: "Das war modisch, das war ein Fehler". Eine Einschätzung, die heute, in Zeiten einer marktkonform durchgesetzten Identitätsfragmentierung und eines im Gefolge souverän agierenden Zitatpops und seiner digitalen Helferleins nicht ohne Pikanterie ist.
Obwohl, um hier kein Missverständnis aufkommen zu lassen, Distelmeyer ist nach wie vor in erster Linie Musiker und Musikfan, begeisterungsfähig, im Sound aufgehend und ohne Häme. Trotzdem aber, so scheint es, hat er für sich persönlich eine Option gewählt, die weniger verwaltet und auch nicht am Ausloten der Grenzen um der Provokation willen interessiert ist, sondern schlicht und einfach an Songs, die heavy und himmlisch zugleich sind:
"Ich glaube nach wie vor an die Kraft und Herrlichkeit der Musik. Alle sind anders, jeder ist für den anderen anders. Wie entwickelt man da eine Balance zwischen Nähe und Distanz? Das ist Liebe, glaube ich."