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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

27. 9. 2009 - 20:33

Journal '09: 27.9.

Aus Oberösterreich lernen. Was eine Einbindung der Strache-FPÖ in die Regierungsverantwortung nach Länder-Vorbild bringen kann: eine Konkordanz-Demokratie. Und was das mit dem gern gepredigten Work-Ethic-Quatsch zu tun hat.

Alles zur OÖ-Wahl hier. Info zur deutschen Bundestagswahl.

Der Trend vernebelt die Sicht auf die Dinge.

Länderdebakel der SPÖ haben mit der Sonntagsfrage wenig zu tun, bundesweit läuft alles auf drei Mittelparteien rund um die 25-32 % und eine kleine grüne 8%-Partei raus, egal wie diverse Landtagswahlen ausgehen.

Aber natürlich ist der systematische Zusammenbruch der sozialdemokratischen Landesorganisationen ein Warn- und Krisen-Signal. Vor allem in Hinblick auf die Wien-Wahl 2010.

Beispiele für das mediale Sich-am-Verlierer-Abputzen: das Profil kennt die fünf Kardinalfehler Faymanns, Blogger Michel Reimon macht die Krise an einem europaweiten SD-Problem fest.

Im übrigen haben heute die Sozialdemokraten die Parlamentswahlen in Portugal gewonnen. Es gibt also keinen General-Trend.

Akut problematisch ist etwas anderes: dass nämlich nicht nur die Mitbewerber der strategisch zunehmend hilfloseren SPÖ, sondern auch praktisch alle Analytiker davon ausgehen, dass es genügt, sich mit der Krise der Sozialdemokratie auseinanderzusetzen, um der Gesamtlage inhaltlich Herr zu werden.

Das ist allerdings ein grandioser Irrtum.

Das Konstrukt des Work-Ethic

Ein Irrtum, der mittlerweile zu seltsamen Konstrukten führt, zum Beispiel zu etwas, was ich eine Abart des Puritan Work Ethic nennen möchte.
Alles würde gut werden, wird da postuliert, wenn man sich nur gut und intensiv und genau (und das alles sich hart erarbeitend) um den kleinen Mann, den einzelnen Bürger kümmern würde.
In der aktuell als vorbildlich herumgereichten Standard-Analyse von Anita Zielina unter dem Titel "Das Ende einer Volkspartei" finden sich diesbezügliche, messianische Zeilen wie "Jeder einzelne kleine Bezirksrat und jeder sozialistische Gewerkschafter muss sich wohl oder übel anhören, was die Wähler wollen und dann nach Lösungen suchen - und zwar nicht ein paar Wochen vor der Wahl sondern täglich. Das ist unangenehm, unbequem, vielleicht demütigend und sicher eine schweißtreibende Angelegenheit."

Das erinnert frappant an das allwöchentliche Phrasengedresche, das von nichtshinterfragenden Fußball-Journalisten aus geknickten Coaches, die gerade verloren haben, und dazu Stellung nehmen müssen, rausgekitzelt wird: Ärmel aufkrempeln und arbeiten! Als ob man das bis dato nicht gemacht hatte. Als ob das eine Lösung wäre, wenn die Probleme anderswo liegen.

Genauso wie man im Fußball nicht an die Wurzeln der Probleme (System, Struktur, Taktik...) geht, sondern "work ethic"-Luftblasen loslässt, genauso wird zunehmend auch der Politik-Bereich mit diesem Quatsch verseucht. "Fleißig arbeiten!" abnicken, anstatt sich mit den Hintergründen, den Strukturveränderungen, den veränderten Kommunikationsstrukturen etc zu befassen.

Oberflächengekitzel

Das ist also kein Arbeitsauftrag, nach dessen Erstellung sich ein Analyst zufrieden zurückziehen kann, das ist nur Oberflächengekitzel der untersten Sorte - und zeigt nur, dass Österreich in den meisten Genres durchaus identisch funktioniert (wurscht ob das Politik, Fußball oder Kultur ist).

Klar ist es schwer, den aufgelegten Dauer-Elfmeter gegen die alles so hilflos weggrinsende SPÖ nicht als Anlass für einen simplen Torschuss und die daraus resultzierende Zufriedenheit zu nehmen.
Es ist aber zuwenig.

Denn auch die Stagnation der Grünen, die sich jüngst in zwei ihrer besseren Länder nicht bewegen konnte, ist ebenso alarmierend. Und die paar guten lokalen VP-Ergebnisse (neben V und OÖ können sie maximal noch in Tirol und NÖ mit solchen Erfolgen rechnen) bringen der Bundes-VP gar nichts - der wird auf Bundesebene nämlich seit Jahren genau gar nichts mehr zugetraut, was ihr im Schnitt stabiler 2. Rang über die letzten Jahrzehnte deutlich zeigt.
Sich nur als gefühlter Sieger betrachten allein genügt nicht.

Worauf ich hinauswill: sich deswegen zu beglückwünschen, weil es einem nicht ganz so schlecht geht wie den anderen - das ist von fataler Gefährlichkeit.

Das Konstrukt der Auswegslosigkeit

Zumindest genauso planlos sind die aktuellen Medienreaktionen. Die TV-Journalistenrunden etwa, die von "keiner Alternative zur Großen Koaltion" sprechen, die Experten und Chefredakteure, die sich, laut denkend, "nicht vorstellen können, dass so jemand in der Regierung sitzen könnte."

Man mauert sich also ein, gegen einen Popanz, den man selber mit aufgebaut hat. Wie die SPÖ, die auf Ausgrenzung setzt, die auch da wieder als Unklügste vorangehen.

Komplett off topic, aber dieser gewitzte Ansatz über das heutige OÖ-Derby zu berichten, verdient, finde ich, Beachtung.

Nun, stimmt alles nicht.
Natürlich kann so jemand, also die FPÖ regieren.
Sie tut es ja auch.
In Niederösterreich etwa, in Vorarlberg und demnächst auch in Oberösterreich. Früher, als man noch beinander war, auch in Kärnten.
Weil einige der Länder nämlich ihre Regierungen im Proporzsystem aufstellen. Wer bei der Landtagswahl eine kritische Größe erreicht, der kriegt einen Landesrat. Und ein Landesrat arbeitet, hat Verantwortung, regiert.

Ausnahme: zb Wien. Dort leistet man sich Stadträte ohne Portefeuille, ein Hirnriss sondergleichen.

Die Doppelstrategie der FPÖ richtet sich ja genau danach: wo's konkret wird, fügt man sich der "work-ethic"-Denke, wird konstruktiv; dort, wo's nicht nötig ist, weil die Oppositionsarbeit keine Veranwortlichkeit benötigt, kann man sich unglaublich lässig, jugendnahe, politisch unkorrekt und manchmal auch bewusst unethisch präsentieren, ohne damit seine Rolle (die des gagschleudernden Hecklers) zu verlassen.

Und: es ist kein Problem.
Weil sich die Landespolitiker, wie zb der OÖ-FP-Obmann dann auch gleich als Pragmatiker outet und neben "klaren Ansagen" auch gleich "Lösungen" hinterherschickt. Weil er weiß, dass es sie liefern wird müssen.

Die FP-Leute, die in Regierungsverantwortung stehen, haben sich bislang nicht einmal ansatzweise durch Scharfmacherei profiliert. Barbara Rosenkranz etwa, die als Landesrätin für Baurecht und Tierschutz zuständig ist.
Wie auch?
Wer in der Verantwortung steht, kann es sich nicht leisten großartig daherzureden und keine Taten folgen zu lassen.

Das Schüssel-Experiment

Nun hat sich ja schon einmal einer drauf eingelassen, die Rechtspopulisten durch die Hereinnahme in die Verantwortung zu zähmen: Wolfgang Schüssel.

Sein Experiment ist nicht völlig gescheitert.
Die damalige FPÖ hat es genau deswegen zerrissen: in eine Partie, die die Macht sichern wollte (was mit der Akzeptanz der Verantwortung einhergeht) und in eine Partie, die wieder in die oppositionelle Rolle des puren Matschkerns und Gscheitdaherredens schlüpfen wollte. Was direkt zum Wechsel Haider-Strache führte, bei der gleichzeitigen Komplett-Übernahme alles Mechanismen der Volkstribunen-Strategie, die keine Rücksichtgen nehmen muss.
Haiders schlussendliche Landesvater-Rolle war eine konservative, bewahrende, zunehmend bäuerliche, die sich nur noch nach dem Muster seines Vobilds Gaddafi, also in einer Art populistischem Absolutismus, gestalten ließe.

Das Problem des Schüssel-Experiments, der Zähmung der Rechtspopulisten mittels Verantwortung war, dass der große Partner ÖVP die Sacharbeit für den recht wenig kompetenten kleinen Partner mitmachen musste (zb im Finanzbereich), aber auch, dass sich der von Schüssel mehr als nur geduldete Scharfmacher-Flügel vor allem auf Umfärbung, Umverteilung von Macht, Zerstörung von gewerkschaftlichen Strukturen und andere Politik der verbrannten Erde versteifte, also zugleich auch die sozialdemokratische Basis in den Boden stampfen wollte.
Eine Kollision der Interessen also.
Der Entweder-Oder-Politik einer "Mehrheits"-Suche geschuldet.

Die neue Denk-Option: Konkordanzdemokratie, mit der FPÖ

Würde die Bundesregierung so berifen werden wie die (meisten) Landesregierungen, fiele eine Menge Druck weg.
Und: jede Partei die eine gewisse kritische Größe übersteigt (8-10 Prozent müssten das schon sein) wird in die "Macht", aber auch in die Verantwortung gezwungen.
Nur Opposition sein, wäre da zuwenig.

Politik ist unter anderem die Kunst, sich auch mit jemandem, der diametral anderer Meinung ist, zusammenzusetzen und etwas auszuhandeln.

Ein Kompromiss ist nicht per se schmutzig.

Und: warum sollte das, was in Parlament eh tagtäglich in hohen Mengen gut klappt - nämlich Einigung über einen Großteil der Gesetze - nicht auch in einer Proporz-Regierung funktionieren? Warum sollte es schlechter als in der GroKo klappen?

Letztlich ist die Koalition der kritischen Größe näher dran am Kabinett der besten Köpfe als alles, was sich bislang in der 2. Republik drum bemüht hat; und damit auch näher dran an einem Politik-Verständnis des 21. Jahrhunderts, also einem der Jungen, die nicht mehr mit den teilweise vergifteten Begrifflichkeiten der 70/80/90er operieren wollen.

Komischerweise wird ja, wenn es um eine Wahlrechts-Reform geht immer nur das Mehrheits-Wahlrecht, das als Alternative zum Verhältnis-Wahlrecht aufgestellt wird, also um das "Winner takes it all"-System.

Von einer Konkordanz-Demokratie nach schweizerischem oder luxemburgerischem Vorbild, von einer Konzentration der Kräfte wie in den Ländern ist so gut wie nie die Rede.

Wie so oft: Krise als Chance...

Gute Anmerkung via Twitter:
freidenker: Was @martinblumenau da fordert ist nichts anderes, als dass "die legendäre Parlamentsnacht" zum Normalzustand wird.
Gemeint: der 24. 9. 2008, letzter Parlamentstag vor den Neuwahlen - seltsame Koalitionen einigen sich inhaltlich, ohne klassischen Parteihader.

Das ist in weiten Kreisen von Politik und Ökonomie nicht gut angeschrieben, gilt als Notmaßnahme in Krisenzeiten.
Das ist einerseits Quatsch, andererseits... Gibts nicht gerade eine Krise, sogar zwei, eine der Weltwirtschaft, eine im demokratischen System Österreichs?

Und: welche Strategie haben die mittelgroßen Volksparteien ÖVP und SPÖ denn um einen Kanzler Strache im Jahr 2016 zu verhindern? Bis dahin hat der HC der Herzen durch pure Negation, klassische Opposition, fix installiertes Dagegensein und vor allem das komplette Aufsammeln aller Unterprivilegierten genug Sympathie angehäuft, um absolut zu regieren. Um sich da, wegen mangelnder Erfahrung, dann womöglich deutlich zu überheben.

Es liegt also in einem übergreifenden demokratischen Interesse die FPÖ nicht an ihren Versen und Ankündigungen zu messen, sondern an den inhaltlichen Hörnern zu packen und einzubeziehen, sie mit konkreten Problemen zu betrauen und probieren zu lassen. Das würde dann nämlich wirklich zeigen was sie leisten könnte. Ihr selber und auch ihrer potentiellen Wählerschaft.