Erstellt am: 26. 9. 2009 - 23:12 Uhr
Something in the Air
Schon wieder die verdammten Beatles. Wieso sitze ich hier und höre Beatles-Remasters?
"Because the world is round"
Was sowohl Grund als auch Ergebnis dessen ist, dass sie sich ständig weiterdreht und die Welt schon lange nicht mehr dieselbe ist wie vor vierzig Jahren.
"It blows my mind."
Weil sich in diesen Klängen auch mein eigenes kleines bisschen Geschichte konzentriert. Und das ist ja in Wahrheit der Hauptgrund, warum wir, die schwatzhaften alten Ärsche (ich bin jetzt zehn Jahre älter als John Lennon zu der Zeit, da er in meinem Geburtsjahr zitierte Nummer schrieb – also ungefähr so alt wie er zu seiner Ermordung), dann nicht anders können, als uns zur großen Ermüdung unserer Nachgeborenen endlos über diese Remasters auszulassen.

EMI
Egal. Ich traue niemand, der/die seine/ihre Nostalgie oder Sentimentalität leugnet. Und um sie zu bändigen, muss man sie erkennen und manchmal auch umarmen.
"Love is old, love is new."
Diese Woche haben Muse auf Nummer eins der britischen Album-Charts verbracht, aber letzte Woche war dieselbe Verkaufsliste noch ein beinahe exklusiver Tummelplatz derer, die den Kindern vom Krieg erzählen. Die Beatles-Reissues dominierten geballt die Top Twenty, auf Platz eins thronte dagegen die Greatest Hits-Sammlung jener 92-jährigen Vera Lynn, die einst im Zweiten Weltkrieg den britischen Soldaten an der Front Mut zusang.
„We’ll Meet Again“ ist nicht nur der Titel ihrer Compilation, sondern auch der ihres größten, von den Sweethearts an die Tommys in den Schützengraben gerichteten Hits, der noch dazu am Ende von Stanley Kubrick’s „Dr Strangelove“ die nukleare Apokalypse begleitet.
"Keep smiling through, just like you always do."
Trefflicher könnte der Soundtrack zum Tod der Album-Charts nicht klingen.
Deutlicher ließe sich nicht belegen, dass das junge Publikum in Großbritannien einfach keine nennenswerten Mengen an Tonträgern mehr kauft (zugegebenermaßen übrigens abgesehen von denen, die bei Gigs abgesetzt werden und somit nicht zu den Charts zählen - ein immer noch kleiner, angesichts geschwundener Geschäftsverkäufe aber proportional nicht mehr zu vernachlässigender Faktor).
"You never give me your money"
Singt Paul McCartney gerade – jetzt kristallklarer denn je zuvor. Die Ironie. Wie oft hab ich ihm schon mein Geld für dieselbe Musik gegeben.
And in the end...
Wenn ich mich nun gerade am restaurierten Sound von „Abbey Road“ labe (diese Basslines!), dann in der Gewissheit, dass es sowas nie wieder geben wird.
Ich höre hier das Produkt einer einmaligen historischen Anomalie, einer Zeit, wo Popbands – und es waren damals schon nicht viele – ihre Platten mit dem Aufwand einer Hollywood-Filmproduktion produzieren konnten.
Jede Behauptung, man könne dasselbe heute eben auch per Plug-In zu Hause herstellen, ist ungefähr so glaubhaft wie der Vergleich irgendeines CGI-generierten Dutzendfeuerballs mit, sagen wir, der Explosionsszene in „Zabriskie Point“.
....the love you take
Die Studios, in denen solche Sounds in großen Aufnahmeräumen mit guter Akustik erzeugt werden können, sind heute längst nicht mehr rentabel. Erst diesen Februar schlossen die (1987 nach ihrer Übernahme durch Virgin in der ersten Welle digitaler Hybris schon beinahe zu Tode renovierten) Olympic Studios im Londoner Themsenvorort Barnes.
Neben den Abbey Road Studios, die stets am Rand zur Umwandlung in ein reines Museum taumeln, ist von den großen Londoner Kathedralen der Soundverewigung eigentlich nur mehr Air Studios übrig, eine alte Kirche zwischen Belsize Park und Hampstead, die George Martin einst in den Siebzigern mit seinem Beatles-Geld – schön metaphorisch, schließlich waren die ja populärer als Jesus – zu einem Tempel der avancierten Magnetaufzeichnung ausbauen ließ.
Genau dort fand sich nun am Donnerstagabend die Featured Artists Coalition zu einem außerordentlichen Meeting zusammen.
Die Vorgeschichte dazu begann im August mit einer Initiative des britischen Wirtschaftsministers (business secretary) Lord Peter Mandelson, der kurz nach einem Dinner mit David Geffen (er sollte später jeglichen Zusammenhang damit leugnen) den Vorschlag anbrachte, beharrlichen FilesharerInnen den Internetzugang abzudrehen. Mandelson wurde dafür nicht nur von der Blogosphäre und eigenen Parteikollegen, sondern auch von der – seit ihrer Gründung gegen Kriminalisierung der KonsumentInnen illegaler Downloads eingetretenen – Featured Artists Coalition (FAC) scharf kritisiert.
Der Tenor dieser Empörung inspirierte wiederum die um Meinungsäußerungen nie verlegene Lily Allen zu einem viel publizierten Blog unter dem Titel „It’s Not Alright“. Darin verbalisierte sie ihre Frustration über die in anarcho-neoliberalen Kreisen so beliebte Rhetorik von der Musikindustrie versus den edelmütigen Piraten, die eine neue Freiheit erkämpfen, und über die von dieser Logik eingenommene FAC, die mutmaßlich durch Filesharing gesunkenen Verkaufserträge, die dadurch verlorenen Jobs in der Musikindustrie, die verschwundenen Aufbaubudgets für junge Bands und den Mythos des goldenen Live-Geschäfts.
Sie angelte sich damit schnell die Unterstützung von so grundverschiedenen Figuren wie Patrick Wolf, Mark Ronson, Natasha Khan alias Bat For Lashes, James Blunt, Elton John, Muse, James Allan von Glasvegas, Tim Rice-Oxley von Keane und Gary Barlow.
is equal to the love...
Nicht alles, was diese Leute von sich gaben, war kohärent, manches eher wehleidig, anderes etwas boshaft („you tight fuckers“, nannte James Allan die Leute, die nicht einmal 79 Pence für einen Song seiner Band bezahlen wollen), einiges schlicht die Wahrheit aus dem Leben von prekär existierenden VollzeitmusikerInnen.
Wie etwa Patrick Wolfs Äußerung, dass er vor der Wahl steht, die Streicher für seine nächste Platte oder die nächste Miete zu bezahlen. Oder Joe Stretch von (We Are) Performance, der lakonisch beobachtete, dass es wohl einen Grund hat, wenn man in der un- bis unterbezahlten britischen Musikszene backstage nur mehr den gewählten Zungenschlag von Kindern aus gutem Hause vernimmt, die sich ihre narzisstische Popkarriere leisten können.
Auch die Futureheads, selbst Mitglieder der FAC und immerhin eine Band, die sich seit ihrem Rauswurf von einem Major-Label dem Ruf der neuen Zeiten folgend selbständig gemacht hat, setzten sich mit dem Anti-Filesharing-Kurs Lily Allens auseinander und fanden gemeinsamen Boden. Das signalisierte nicht nur eine Aufweichung der Fronten, sondern auch den möglichen Beginn dessen, wovon sonst immer nur groß gelabert wird: Einer echten Diskussion.

Blogger
Ich kann hier leider nur aus dem Gedächtnis paraphrasieren, zumal Lily Allen ihren Blog gleich danach leider wieder abgedreht hat. Weil sie, wie sie seither getwittert hat, mit der „abuse“, die sie von den UserInnen im Forum abbekam, nicht mehr leben konnte.
Just an jenem Tag, wo It’s Not Alright verstummte, traf sich also die FAC in den Air Studios und gelangte per Abstimmung zu folgendem überraschenden Statement:
“We the undersigned wish to express our support for Lily Allen in her campaign to alert music lovers to the threat that illegal downloading presents to our industry and to condemn the vitriol that has been directed at her in recent days.
Our meeting also voted overwhelmingly to support a three-strike sanction on those who persistently download illegal files, sanctions to consist of the restriction of the infringer’s bandwidth to a level which would render file-sharing of media files impractical while leaving basic email and web access functional.”
Signed:
Tim Rice-Oxley (Keane)
Billy Bragg
Ben Ward
Howard Jones
Tjinder Singh (Cornershop)
Steve Jones
Sandie Shaw (via phone)
Dave Rowntree (Blur)
Ed O'Brien (Radiohead)
Guy Chambers
Patrick Wolf
Sam Duckworth (Get Cape Wear Cape Fly)
Ross Millard (The Futureheads)
Fran Healy (Travis)
David Arnold
Annie Lennox (via phone)
Lily Allen (not a member of the FAC)
George Michael
Nick Mason (Pink Floyd)
u.v.a.

Featured Artists Coaliton
In anderen Worten: Die Lily Allen-Fraktion hat die Diskussion unter den MusikerInnen offenbar gewonnen und de facto eine 180-Grad-Wendung in der Position der FAC erreicht. Keine schlechte Leistung angesichts von Kalibern wie Billy Bragg oder Dave Rowntree, die bisher nie auch im Entferntesten solche Töne angeschlagen haben und aus ihren politischen Tätigkeiten das Debattenführen gewöhnt sind.
Und mit dieser erstaunlichen Pointe wäre die Geschichte eigentlich schon geschrieben und das Forum eingeladen, mit der als neue Freunde des Bösen entlarvten FAC als Punchbag die üblichen Allgemeinplätze abzulassen, über die Industrie, die’s nicht kapiert hat/nicht anders verdient, den Markt, der gesprochen hat, die Realität, der man sich stellen muss, die FilesharerInnen, die die wahren MusikliebhaberInnen sind und angeblich massenhaft Musik kaufen, die sie durch Filesharing entdeckt haben (Vera Lynn zum Beispiel?), die KünstlerInnen, die sich durch Werbung, Verkauf in Kinderarbeit billig fabrizierter Band-T-Shirts, Sponsoring oder – noch besser – das Finden mysteriöser „neuer Geldquellen“ übers Wasser halten bzw. einfach froh sein sollen, dass man ihnen überhaupt bei ihrer Selbstdarstellung zuhört, undsoweiter ad infinitum.
Aber seien wir uns ehrlich.
Diese Phrasen haben wir nun alle schon gehört. Ersparen wir sie einander.
Vor allem, meine Bitte, die alte Keule von der Logik des Markts, die übrigens von der anderen Seite her kommend auch Peter Mandelson in seinem Gastkommentar in der Times geschwungen hat.
...you make
Wer die Existenzberechtigung von Bands oder Labels mit den Gegebenheiten des Marktes argumentiert, führt nämlich bloß dieselbe alte Heuchelei der Musikindustrie fort.
Die wollte uns in ihren goldenen Zeiten auch immer einreden, dass sie den Markt bedient, indem sie ihm nächste Woche noch mehr davon gibt, was er letzte Woche gerade verlangt hat. Bis ihr hin und wieder ein Versehen passiert ist, das dann einen neuen Markt geschaffen hat. Oft erst mit Jahrzehnten Verspätung.
Es gab keinen Markt für The Velvet Underground, keinen Markt für Nick Drake, keinen nennenswerten Markt für Punk, keinen Markt für Randy Newman, keinen Markt für Judee Sill, keinen Markt für Tim Hardin, keinen Markt für die späten Talk Talk, vermutlich gäbe es auch für diese Kolumne keinen Markt, hätten wir nicht den Luxus eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der es mir außerdem noch ermöglicht, alle zwei Wochen Platten zu spielen, für die es in Österreich nach objektiven Kriterien eigentlich keinen Markt gibt, obwohl sie unser aller Welt bereichern.
Der Grund, warum die Marktlogik in der Popmusik traditionell Teil ihres Integritätsanspruches ist, liegt einzig darin, dass sie sich durch ihr massenhaftes, industrielles Billigsein eine politische Unabhängigkeit und somit - scheinbare - moralische Überlegenheit gegenüber der ihren Gönnern verpflichteten Hochkultur erwarb.
Scheinbar, weil die Verwaltung des so erworbenen Vermögens inklusive der Auswahl jener, die in die Kathedralen der Klangverewigung zugelassen wurden, zum überwiegenden Teil in den Händen korrupter Mittelsmänner landete.
Wenn ausgerechnet jetzt, wo die historische Chance zur Demokratisierung dieser Strukturen besteht, die KonsumentInnen nicht den moralischen Willen finden sollten, ihren Beitrag zur Produktion jener Popmusik zu leisten, die sie hören wollen, dann wäre das nicht nur eine verpasste Chance.
Es würde auch Machtmenschen in hohen Positionen wie Lord Mandelson den nötigen politischen Vorwand geben, das technologische Kontrollpotenzial des Internets zu nützen und die Illusion der Freiheit im Netz in ihr Gegenteil umzukehren. So zu tun als wäre die eigene Annehmlichkeit automatisch der ultimative Ausdruck des revolutionären Geists, ist dagegen jedenfalls keine Strategie.
Die Beatles und ihre alten Hippie-FreundInnen, die es bis in den repressiven Backlash der Achtziger geschafft haben, können euch genau davon ein Lied singen.
"And in the end..."
Dideldum, dideldum...
"The love you take is equal to the love you make"