Erstellt am: 26. 9. 2009 - 10:57 Uhr
Der Greif
Als ich letzten Dienstag meinen ersten Tag bei der Schmiede 09 verbrachte, habe ich mir doch glatt gedacht, dass ich hier ohne Computer überleben könnte. Ein Notizblock, ein Bleistift und ein Fotoapparat sollten mir reichen, um über diesen Post-Sommer-Kreativ-Pool berichten zu können. Denkste. Jede(r) hier hat einen! Du bist nackt ohne Laptop und unpraktisch war es auch. Am Nachmittag holte ich mir dann mein elektronisches Notizbuch aus dem Hotel Mama.

DER GREIF
Mit dieser Erfahrung liest sich das Konzept von "Der Greif" als ironischer Bruch. Es ist ein unbeachtetes "Eh klar, aber ..." oder die letzte Form von Widerstand. In "Der Greif" wird versucht, der Flut von digitalem Bildmaterial Herr zu werden. Man geht daran, es in einem Mattpapier-Magazin auszuwählen. Es wird arrangiert und in kleiner Auflage gedruckt. "Den Wert durch Mangel generieren." Es ist eine mögliche Antwort auf das Paradoxon der digitalen Kopie: Diese ist eben keine Kopie, sondern ein Duplikat. Weder in Qualität noch Nutzen minderwertig oder beschädigt und damit sogleich der Tod kapitalistischer Bewertung. Diese benötigt zum Berechnen von Wert irgendeine Form von Mangel.
Wenn man sein ganzes Leben auf Video aufzeichnet, bräuchte man ein weiteres Leben, um sich das Video anzusehen.

DER GREIF
Jeder, der digitale Online-Bilder-Dienste nutzt, wie z.B. Flickr, weiß wohl von dem Phänomen der schleichenden Wertlosigkeit von Bildmaterial: Nach dem dritten Urlaub gleichen die Bilder immer mehr denen vom Urlaub davor. Irgendwann, wenn man sich die Urlaubsbilder anderer UserInnen betrachtet, kommt man an den Punkt, an dem man sich fragt, ob es überhaupt noch Sinn macht, Fotos zu schießen. Sie verstauben auf der Festplatte.
Der Schritt zurück verspricht Erholung und neues Glück. "Der Greif" funktioniert, weil er Fotografie wieder auf das Maß menschlicher Größe hievt. Er schafft Bildern, egal ob schön, belanglos, tragisch oder spannend, wieder Raum und schenkt ihnen Zeit. Das Durchblättern des Magazins, mit seinem großen, matten, rauen Papier ist ein haptischer Genuss. Das ist selten geworden. Das macht das Magazin so besonders.

DER GREIF
FotografInnen und TexterInnen, die auf das Magazin neugierig geworden sind, können sich auf der Homepage informieren, insbesonders über die Kriterien einer potentiellen Einreichung. Ach was! (Ich sag's gleich.) Niederschwellig. Jeder darf! Es gibt nur ein paar kleine technische Voraussetzungen ...
Look!
http://www.dergreif-online.de/
Blatt Eins entstand im Sommer 2008, die zweite Ausgabe erschien im Juli 2009. So unaufgeregt, wie das Tempo der Redaktion, ist der Geist der MacherInnen selber. Freunde sind sie. Spaß macht es ihnen. Es geht um Lust an der Freude. Um die Freude an der Präsentation der Bilder von FreundInnen und Unbekannten. Vertrieb heißt herumreisen. Buchhändler ansprechen. Netzwerke aufbauen. Redaktionssitzung bedeutet einteilen. Jeder macht das, was er am besten kann. Es gibt keine Werbung. Der Druck wird mit Sponsoren finanziert. Klinkenputzen für die nächsten 1000 Stück greifbarer Fotografien und Texte.
Die Berufung auf den Wert menschlicher Größe ist sympathisch, weil sie ohne Dogma ausgesprochen wird. Es wird gemacht und dies auffällig gut. "Der Greif" darf jetzt nur nicht wachsen. Wenn die Auswahl der Bilder von 600 auf 60.000 anwächst, womöglich zwei oder vier mal pro Jahr, dann haben wir den Anfang der gleichen - eingangs erwähnten - Misere. Der Raubvogel ist lieb, solange er ein Kind ist, ich hoffe sehr, dass er seine Pubertät überleben wird.

DER GREIF
Kleiner Exkurs
Eine Geschichte aus dem Schmiede - Tagebuch.
Was bisher geschah:
CHUKWA'S APPROACH | DEPART
THE NOMADIC VILLAGE
SARUGAKU
Am Samstag, 26. 09. 2009 ab 19:00 Uhr findet der offzielle Abschluss der Schmiede 09 in den Hallen der Alten Saline Hallein statt. Diesmal ist das Gebäude für jeden Besucher frei zugänglich und es gibt eine Präsentation aller heuer entstandenen Projekte. Ich habe die letzten Tage ein paar übergreifende, große Dörrtrauben herausgepickt. Diese sind Symptome aber noch lange keine Repräsentation. Es passiert hier so viel, dass die Luft vibriert und ich werde auch in meinem letzten, abschließenden Artikel nur Fragmente anbieten können. Ich freue mich jetzt schon auf das nächste Mal!