Erstellt am: 25. 9. 2009 - 18:53 Uhr
Kolossale Jugend
Romy Madley Croft und Oliver Sim stehen hinter uns und hauchen uns sich sanft umspielende Wehmutsduette in den Nacken. Das Erste, das einem beim Hören des Debütalbums von The xx aus Südlondon als SO noch selten gehört wohlig aufstößt, ist der Sound der Platte, Sound im tatsächlich studiotechnischen Sinne von: Klang. Einerseits ist das alles hier total Lo-Fi und runtergerockt schrottig, auf der anderen Seite erfährt man auf "xx" den glasklarsten, den kristallinsten, den intimsten und unmittelbarsten Wohlklang, den man seit Langem hat erleben dürfen. Wir stehen direkt im Proberaum, mitten unter den vier jungen Menschen von The xx - allesamt gerade mal um die 20 Jahre alt - und wir hören sie atmen und wir hören sie flüstern.
Sound und Musik von The xx bauen auf auf Minimalismus, auf das Platzlassen zwischen den präzise gesetzten Tönen, auf völlige Transparenz. Die Band legt Wert darauf, dass das, was sie da im Studio auf Tonträger bannt, auch mühelos live eins zu eins nachzustellen ist. Nachdem ein paar mit dem heimeigenen 8-Spur-Gerät aufgenommene Demos von The xx schon für ordentlich Buzz gesorgt hatten, waren von XL Records, dem künftigen Label der Band, flugs ein paar Studiotermine mit Worldbeat-Weltmeister Diplo und anderen Mischpultwizards arrangiert, die sich glücklicherweise als nicht sonderlich fruchtbar herausstellen sollten. Es sei zwar höchst lehrreich und inspirierend gewesen von deren Ideen beflügelt zu werden, sagt Sängerin Romy Madley Croft, letztlich hätten die Produzenten aber mit hyperkreativer Tüftelei nur zuviel ihrer eigenen Klangidentität über den Sound von The xx gestülpt. The xx haben ihr Debütalbum selbst aufgenommen, bei The xx geht es um die Essenz.

the xx
Der Versuch, eine betont "atmosphärische" Platte aufzunehmen, ein bedeutungsträchtig düsteres, ein "moody" Album, muss oft scheitern. Da ertrinkt man in dreißig Schichten Strings, melancholisch gemeintem Bar-Jazz und dem pampigsten Gefühlszinnober von TripHop. The xx sind zwei junge Frauen und zwei junge Herren, die bevorzugt schwarz tragen, und sie haben ein Album aufgenommen, in dem die leichteste, die unangestrengteste, die euphorisch machendste Trostlosigkeit ever wohnt, Nachtmusik with a heart. An kargem Bass und Gitarren, einer spartanisch stolpernden Drummachine und mit wie von einem halben Finger gedrückten Synthiefiguren bauen Romy Madley Croft, Baria Qureshi, Oliver Sim und Jamie Smith da eine spröde MUSIK zusammen, so zwingend beiläufig, gerade so wie an einem trüben Sonntagnachmittag auf dem Parkplatz vor dem Einkaufszentrum unachtsam aus dem Kapuzenpullover geschüttelt, auf der anderen Seite so meisterlich streng durchexerziert - man meint eine Band zu hören, eine Band auf der Höhe ihrer Kunst, mit ihrem vierten Album möglicherweise, nach ellenlangem Herumkauen auf Konzepten, Probieren und der hochseriösen Erstellung eines Masterplans. "xx", das zufällige, das geglückte Zusammenfallen von Ideen, ausgedacht kann sich das so ja wohl keiner haben.

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Mit vier unterschiedlichen Menschen in der Band vereinigen sich, so wie das heute eben ist, auch vier unterschiedliche Hörgewohnheiten zu einem neuen Ganzen. Und so kann man dann natürlich, wenn man das denn will, so einiges von den so genannten "Einflüssen", von denen man jetzt immer lesen kann - und die die The xx auch immer gerne bereitwillig zu Protokoll geben - aus "xx" heraushören: Die Basis bildet da bassschwangerer Postpunk im Geiste von, ja eh, Joy Divison und ganz frühen The Cure, zerdehnt in Zeitlupe, verhuschter Dream Pop von Mazzy Star oder Galaxy 500, zusammengedacht mit - nicht angereichert durch - der Schrottplatzvariante von R'n'B, HipHop und Dubstep.
Bei The xx entsteht daraus aber nicht hyperzitatreicher, schlau-postmoderner, üppiger Stil-Overkill, wie in den letzten Jahren bei so vielen Produktionen üblich, sondern das Destillat, nackte Musik, Songs, richtige Songs, abgenagt aufs Skelett. Der zurecht oft bemühte Vergleich mit dem walisischen Trio Young Marble Giants greift da am ehesten: Die Young Marble Giants, die Ende der 70er / Anfang der 80er mit spärlichen Songminiaturen und ihrem einzigen Album "Colossal Youth" gezeigt haben, dass ein höfliches Fauchen und freundliche Zurückhaltung manchmal die ärgere Radikalität darstellen können. Die Young Marble Giants, eine Band, die The xx während der Aufnahmen zu ihrem Album noch nicht bekannt war.

the xx
"xx" von The xx ist bei XL / Beggars / Edel erschienen
Elf Songs, ohne Fehler: Wie ohne Mühe frei gesetzte Melodien, monotoner Singsang hebt an ein Jauchzen zu werden, ein scheppernder Beat, der gar nichts will und alles kann. Romy Madley Croft und Oliver Sim singen, ja, von der Liebe, und dann, man hat sich gerade erst an die Funktionsweise der Stücke gewöhnt, brechen die Songs nach gerade einmal drei Minuten auch schon wieder ab. Schlechtere Bands hätten da den Refrain noch eine Minute lang wiederholt, Streicher druntergepackt und keinem wäre das als übertrieben aufgefallen. The xx wissen was gute Popmusik ausmacht. Sie lassen uns mit dem Wunsch nach mehr zurück. Die Menschen werden kommen und fragen, was denn das ist, das da so einfach und umwerfend klingt. Die simpelste wie gleichsam wunderlich neu tönendste Popmusik ist das. The xx sind das: Unaufdringlich, gigantisch, kolossal.