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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

25. 9. 2009 - 15:45

Journal '09: 25.9.

Musik ist einfach da - und muss deswegen keinesfalls für sich selber stehen. Über das Problem der immer noch definitionsmächtigen Oldies mit heutiger Musik-Rezeption.

Diese Woche ist mir ein Experiment passiert, eines, das gar nicht als solches angelegt war. Am Montag konnte ich mich nicht beherrschen und hab das schöne Video-Essay von "Ja, Panik" embedded, auch weil es viel von dem, was in der mittlerweile schon sattsam bekannten 20-29-Diskussion konterkariert. Weil sich hier nämlich junge Kulturschaffende nicht nur formal sondern auch inhaltlich positionieren, erregen, wüten und das in einer poetischen Strenge.

Ich hab den puren Link zum Youtube-Kanal dann mit dem Vermerk "tollstes video dieser tage:" bei Facebook ausgestellt. Eher einfach so, ganz hintergedankenlos und ohne Hinweis auf mein eigenes Geschreibsel, sondern weil Facebook ja genau für sowas da ist.

Das wurde dann aber plötzlich zur angewandten Feldforschung. Und das war zunächst im Lichte der von Brodnig hier und Lauth da angerissenen "Welche Generation macht auf Facebook eigentlich was?"-Diskussion.
Es ging da nämlich heiß her.
Aber zwischen wem?
Den Oldies: Forcher, Thomas Weber, Gröbchen, Knecht, Vesely und anderen mehr. Einzig Freundin Conny ist unter 30.

Das kleine Facebook-Experiment

Wobei ich nichts gegen ein "Gefällt mir!" habe. Lauth erklärt eh schön, warum: "'Gefällt mir', sagen immer mehr zu den Piraten-Parteien in Europa. Und sie sagen eben nicht nur 'Gefällt mir', sondern reflektieren dabei darüber, dass hier nun endlich eine politische Gruppierung entstehen könnte, die sie versteht. Die nicht links ist und nicht rechts. Die nicht oben ist, und nicht unten. Sondern die alle mitmachen lässt und sei es nur über die Entscheidung 'Gefällt mir'. Und in Wahrheit kann das 'Gefällt mir' auch kein Vorwurf sein."

Unter denen, die den "Gefällt mir!"-Button angeklickt haben, war die Mehrheit hingegen klar U30.

Diese unabsichtliche Umfrage widerspricht also klar dem, was meine Mitdenker angenommen haben: es sind die alten Scheißer, die diskutieren, während die Jüngeren eher nicken oder stumm sind.

Bloß - und das war die zweite Erkenntnis dieses unabsichtlichen Experiments - die Diskussion lief in eine vielsagende Richtung, in eine, die zeigt, wie unterschiedlich die Zuschreibungen an die Wirkung von Musik bereits geworden sind, wie weit da alles auseinander driftet.

Es waren nämlich in der Mehrheit die angesprochenen alten Scheißer, die durch die Tatsache, dass "Ja, Panik" in einer Version ihres Videos ein "Spoken Word"-Traktat mitlieferte, seltsam nervös wurden und das entweder per se oder als unreife Kinderei ablehnten. Dinge, die sie (früher, zu ihrer Zeit, bei ihren Lieblingen) noch eifrig verehrt und gefördert hatten, aber jetzt als doof empfanden. Die Jüngeren, die von solchen Formal-Tricks noch nicht übersättigt waren, hatten damit kein Problem (bis auf eine flüchtige Bekannte, die die Rede als "schwul" bezeichnete, woraufhin ich sie - zero tolerance policy - zur Ex-Bekannten herabstufen musste).

Angst vor Pose, Angst vor Diskurs

Meine Lieblingserkenntnis aus diesem langen Thread ist die von Toni Wemer, die die "Ja, Panik"-Struktur mit dem kirchlichen Konzept "erst predigen, dann singen" verglich.

Mein Argument, dass nämlich genau dieser Extra-Bonus einem ohnehin schon sehr guten Stück noch einen Schuss Unvergänglichkeit verleihen würde, dass Musik allein schließlich keine Aufmerksamkeit erregen könne, wurde mit Angst vor der Pose und mit Ablehnung von "Diskurs-Geschwurbel" gekontert.

Besonders mein Satz "musik allein ändert nämlich nichts, das sollte unsere generation doch gelernt haben..." ging da offensichtlich zu weit.

Ich habe dann zum kürzlich bereits zitierten Eberhard Lauth verlinkt, zu einem Zib21-Blog übers Thema "Musik für Jüngere".

Da schreibt er: "Es gibt in der Musik-Rezeption keine Unterschiede zwischen den Altersgruppen mehr, schon lange. Den meisten Leuten ist Musik wurscht, sie ist einfach da. Ein paar wenigen ist sie wichtig - egal, wie alt sie sind. Die freuen sich dann wie kleine Kinder, wenn sie neue Lieder entdecken, die sie zu Tränen rühren oder Lärm, der ihnen das Hirn durchputzt. Aber dezidierte Musik für Junge gibt’s genau so wenig wie eine für Alte. Wenn das so wäre, käme vielen Menschen ein wichtiges Instrument abhanden, das ihnen trotz fortschreitenden Alters einen Hauch von Jugend erhält."

"Komplexe Abgrenzungsmechanismen in Sachen Musikgeschmack", "Angeben mit ausgefallener Popmusik", Distinktionsgewinn durchs Nachbeten von Spex-Texten oder bei "Im Sumpf" gehörten Thesen, das war mal bzw. ist keine Altersfrage mehr.

Den meisten Leuten ist Musik wurscht, sie ist einfach da.

Weswegen auch die Bedeutung des Songs alleine eine geringe ist - fast wichtiger ist die Begleitmusik. Wie bei bildender Kunst oder Aktionismus: der Beipackzettel hat zunehmend Bedeutung. Das hat die Gruppe der Digital Natives, die zu jeder Musik immer schon alle möglichen Zusatzinfos genützt haben, den alten Scheißern und ihrem "Der Song muß für sich selber stehen"-Purismus voraus.
Ja, für sich selber stehende Songs sind klasse.
Aber das ist längst nicht mehr nötig, weil Information omnipräsent ist. Und weil, siehe Lauth, Musik auch ganz schön viel wurschter ist, als sie früher war. Auch weil - siehe mein Provokation - sie in den letzten Jahren / Jahrzehnten arg wenig bewegt hat.

Und heute schreibt Lauth auf Zib21 übers Ja, Panik-Album.

Wir stehen also zurecht dort wo wir stehen.

Die Generation Ü30, die an den Hebeln sitzt und sie ob der höheren Sprachgewalt (mit der Frank Schirrmacher seinen leider nicht mehr frei zugänglichen Nerd / Piraten-Text beginnt) auch perfekt bedient, nimmt Musik noch nach ihren veralteten Kriterien wahr. Schreibt ihr eine vielleicht '68 einmal wahrgewesene Bedeutung zu, glaubt an ihr Veränderungs-Potential und daran, dass etwas für sich selber stehen muss.

Die unter den Digital Natives, die sich für Musik interessieren, wissen das und wie sie sich mit ein paar Klicks fast jede Deutungshoheit ins Haus holen können, sie nehmen das Umfeld, die Zusatzinfos und all das, was sich unsereiner früher mühsam erarbeiten musste, als Selbstverständlichkeit mit (das als die andere Seite der Medaille zu der hier festgestellten Selbstdefinitions-Unsicherheit). Und wundern sich zurecht über das altvattrische Gehabe der Ü30. Die sie längst nicht mehr wirklich verstehen können. Und das nicht nur hier, in einer Special Interest-Diskussion, sondern auf allen Gebieten.