Erstellt am: 26. 9. 2009 - 10:52 Uhr
Hello Paprika!
Stefan Hantel, alias Shantel, sitzt mir in legerem, sportlich elegantem Outfit gegenüber. Während er hinter seiner dunklen Sonnenbrille hervor lächelt, dreht er den Lautstärkeknopf des Kopfhörers leiser. Wenn man derart viel auf Konzertbühnen unterwegs ist, muss man schließlich auf sein Gehör achten.
Shantel: "Ich weigere mich seit Jahren, einen Gehörtest zu machen. (lacht) Aber immerhin gehe ich einmal im Jahr zu Ohrenarzt und lasse mir die Ohren durchspülen, was sehr aufregend ist. Weil es ist danach wie eine Wiedergeburt, man hört viel viel besser."
Es ist eine beachtliche Leistung, bei einem so dichten Tourplan einen langen Atem zu behalten. Denn die Shantel-Konzerte sind allein schon aufgrund ihrer musikalischen Intensität recht exzessive Erlebnisse.
Shantel: "In gewissem Sinne ist es Hochleistungssport. Das hat sich halt verselbstständigt. Das Ganze ist schon eine Art Rock'n'Roll Partie geworden, mit allen Klischees, die dazu gehören und das wird getragen vom Publikum. Ich gebe da das Heft völlig aus der Hand, mach mich zum Instrument und dann fliegt die Kuh."
Es ist genau diese Verselbstständigung und der große Andrang bei Live-Konzerten, die es dem deutschen Musiker und Produzenten erlauben, sein "Balkanpop-Projekt" nicht nur stetig weiterzuführen, sondern mit jedem Mal ein Stück zu vergrößern. So hat Shantel mit seinem Sound mittlerweile einen eigenen Planeten bevölkert.
Von Bucovina zum Planeten Paprika
Als der in Frankfurt am Main aufgewachsene Stefan Hantel seine familiären Wurzeln im ukrainischen Teil der Bukovina zu erforschen begann, eröffnete sich dem Musiker und DJ ein neuartiges Klanguniversum, dass fortan in sein künstlerisches Tun eingeflossen ist. Klar, bekam er vor allem zu Beginn verbale Prügel, sodass ihm nichts anderes übrig blieb, wieder bei Null anzufangen, sein eigenes Label Essay Recordings zu gründen, das Booking selbst zu übernehmen und musste - wie Stefan es selbst gerne ausdrückt - die Treppe selber hochfallen. Daraus ist ein recht großes, "exterritoriales Gebiet" entstanden, in dem sich mittlerweile viele, verschiedene Künstler tummeln. Wie zum Beispiel Binder & Krieglstein, dessen Album "Alles verloren" Shantel höchst persönlich produzierte. Bis dorthin war es allerdings ein steiniger und langer Weg.
Daniel Woeller
Shantel: "Das ganze Projekt baut ja auf einem Mythos auf. Es fing an mit dem Bucovina Club, da war es vielleicht dieses typische Osteuropa-Balkan-Klischee. Wo es auch Puristen gab, Kritiker und die anderen, die nur Party machen wollten. Mittlerweile hat sich das Genre insofern verselbstständigt, dass es sich jetzt um eine popkulturell relevante Musikrichtung handelt. Für mich ist diese Diskussion um Identität völlig sekundär geworden. Ich sag mittlerweile auch, ich kann nicht besser singen, weil meine Großmutter Rumänin war, oder ich kann nicht besser tanzen, weil ich einen griechischen Großvater habe. Ich möchte niemandem gerecht werden oder den Balkan oder irgendein Land repräsentieren, sondern gute Musik machen. Und Planet Paprika ist ja ein programmatischer Titel und ein bisschen eine provokativ ironische Antwort auf die ganze Debatte: Wo kommst du eigentlich her? Das ist ja die Standardfrage, die mir meistens gestellt wird."
Die Nelkenrevolution im Haifischbecken
Ein Akkordeon eröffnet die neue Platte mit einem "Gutenachtlied", wenn man so will. "Good Night Amanes", eine Referenz auf einen Musikstil mit spannender Geschichte, nimmt auch Bezug auf einen wichtigen Zeitabschnitt für Shantel und sein Projekt:
Denn in der Nacht wird an Songs gearbeitet, meist zwischen Tür und Angel in Hotelzimmern. In nächtlicher Dunkelheit wird auf Bühnen gefeiert, getanzt und den Emotionen freien Lauf gelassen, bis die Sonne aufgeht. Deshalb beendet auch das kurze und wohl ruhigste, intimste Stück "Good Morning Amanes" die neue Platte.
Shantel
Was sich dazwischen abspieltm, wird gleich mit dem zweiten Song, dem Titeltrack "Planet Paprika" mit druckvoller Tuba, fetten Beats, beschwingten Trompetenlinien und dem Willkommensgruß der "Paprikaianer" unmissverständlich transportiert. Planet Paprika ist ein virtueller Platz, wo Nationalitäten keine Rolle spielen, sondern die charakterliche Ebene der Menschen entscheidet. Bei Konzerten wird dieses Konstrukt dann auch zu einer realen, "letzten Bastion der Freiheit", wie Shantel es bezeichnet.
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Überraschungen die schon waren
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Der unüberhörbare Popappeal, der schon mit Disko Partizani Einzug in Shantels Soundwelt gefunden hat, wird hier noch verstärkt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass schon die ersten Zeilen des Titelsongs in ihrer Melodieführung und Rhythmik auf einen großen Hit der Neunziger verweisen, nämlich Dr. Albans "Hello Afrika". Ein Popzitat, das Stefan Hantel zwar nicht unbedingt bewusst war, aber doch einen gewissen "Crossovereffekt" erzielt. Schließlich beschäftigte es den Frankfurter Produzenten schon länger, dass wir in einem "Haifischbecken der Pop und Rockmusik" leben, in dem die Wurzeln der anglo-amerikanischen Musik alles andere überwuchern.
Shantel: "Schon mit "Disko Partizani" habe ich versucht, in Form einer friedlichen Nelkenrevolution dieses Haifischbecken zu zersetzen. In den klassischen Kernländern Deutschland, Österreich und Schweiz ist es zwar noch sehr schwierig, in der Türkei allerdings gab es Platinauszeichnungen und Charterfolge. Leider sind wir in den nordwesteuropäischen Ländern noch immer weit davon entfernt, eine Selbstverständlichkeit zu haben, dass neben dem amerikanischen Singer/Songwriter Modell ein zum Beispiel guter, griechischer Popsong läuft. Nicht im Sinn von Quote, sondern etwas Qualitatives und emotional Bewegendes. Vielleicht gibt es auch noch zu wenig in dieser Richtung, auf jeden Fall ist es für mich immer noch ein großes Abenteuer. "
Ein Magier im Zirkus der Popkultur
Insofern ist "Planet Paprika" auch kein Versuch, etwas Neues zu schaffen, sondern eine konsequente Weiterführung von Sound und Konzept. Songs wie "Wandering Stars", "Citizen Of Planet Paprika" oder "Usti Usti Baba" folgen einem ähnlichen, harmonischen und rhythmischen Strickmuster, das in seinem gut sitzenden Produktionsgewand zwar funktioniert, allerdings auch schon recht abgegriffen ist.
Shantel
Gerade da, wo die "babylonische Sprachverwirrung" einsetzt, die sich bei Shantels Alben in Gesang und Texten niederschlägt, überzeugt "Planet Paprika" mehr. Und da verzeiht man es dem Frankfurter auch, wenn aufgrund aufnahmetechnischer Reproduktionsprobleme der Gesang von "Binaz in Dub" mit Auto-Tune zum Background dazu geschraubt wird.
Shantel: "Es war eher ein Unfall, weil der Sänger die Tonart nicht mehr hinbekommen hat. Wir haben es in Bukarest aufgenommen und ich konnte dann zuhause nicht mehr viel machen. Diese Herausforderung, sich dem Zirkus Popkultur mit all seinen Abartigkeiten auszusetzen, ist notwendig, um weiterzukommen. Das Spannende dabei ist, sich eine Trickkiste zu basteln, aus der man wie ein Magier Dinge hervorzaubert, die Songs zu einer größeren Bandbreite verhelfen, sodass man damit Türen aufstoßen kann, um danach auch einige harmonisch schwierigere Songs auf den Weg zu schicken."
Richtig "schwierig" ist kein Song von "Planet Paprika", eher im Gegenteil. Alles fügt sich fast zu gut ineinander, wobei das Puzzlespiel Shantels liebster Stilrichtungen und musikalischer Einflüsse ein recht schrilles, hedonistisches Partybild ergeben. Denn man mag zu den Alben des Frankfurter Produzenten stehen wie man will, seine Live-Show mit Band überzeugen mit all ihrer Energie und energischen Rhythmik.
Shantel: "Ein Shantel Konzert ist von der Erwartungshaltung her jetzt nicht das gediegene Kammerkonzert, sondern es ist eigentlich schon immer eine sehr brachiale, hedonistische Angelegenheit gewesen."