Erstellt am: 25. 9. 2009 - 11:01 Uhr
Work to do!
"Prekär" lebt, überspitzt gesagt, heute fast jede/r. Die Realöhne sind seit Jahren nicht gestiegen, Arbeitsplätze werden immer rarer und fixe Verträge sowieso. So viel zum allseits Präsenten wie Bekannten. Interessant ist jedoch, dass erst, seit auch früher gut abgesicherte Gesellschaftsschichten wie HochschulabgängerInnen diesen prekären Lebensbedingungen unterworfen sind, diese auf breiter Ebene thematisiert werden. So ist die Diskussion auch in der Kunst angekommen – nicht nur deswegen, weil KünstlerInnen, viele von ihnen seit jeher prekär ohne sicheres Einkommen lebend, mittlerweile als modellhaft für die "neue kreative Selbständigkeit" angerufen werden.
Saskia Holmkvist / Shedhalle
In der Zürcher Kunstinstitution Shedhalle fand von 2007 bis 2008 die Projektreihe "Work to do! Selbstorganisation in prekären Arbeitsbedingungen" statt, die den mittlerweile etablierten Diskurs rund um Prekarisierung als Ausgangspunkt nimmt, dabei aber auf einer Fragestellung fokussiert, die schon seit langem vor allem für alternative Projekte zentral ist: inwieweit kann mit selbst organisierten Strukturen der hierarchisch angelegte Status Quo hinterfragt werden, und ab wann kippt das darin enthaltene Potenzial der Selbstermächtigung in Selbstausbeutung?
Zu dieser Projektreihe, für deren Konzeption es wichtig war, eben nicht die klassischen Mechanismen von Ausstellungen – BesucherInnen betrachten in einem musealen Raum passiv ein fertiges Werk – zu reproduzieren, sondern dieses statische Verständnis zu hinterfragen und das Prozesshafte zu betonen, ist nun eine umfangreiche Dokumentation in Form eines Katalogs erschienen. Die beiden verantworlichen KuratorInnen Sönke Gau und Katharina Schlieben charakterisieren hier Selbstorganisation wie folgt:
"Selbstorganisation lässt sich als ein Prozess verstehen, in dem gleichberechtigte Elemente eines Systems in sich permanent verändernden Konstellationen miteinander vernetzt sind und in dem keine Trennung zwischen organisierenden, gestaltenden oder lenkenden Teilen stattfindet".
So war das Ausstellungsprojekt dann auch unterteilt in (öffentliche) Treffen mit lokalen Initiativen (z.B. für die Rechte von MigrantInnen), dialogische Gesprächsreihen mit ExpertInnen aus Wissenschaft und Praxis, und Skype Meetings, in denen TeilnehmerInnen der beiden vorangegangenen Formate neue GesprächspartnerInnen vorschlugen und die folgenden Diskussionen mit ihnen via Skype dann in der Shedhalle ausgestellt wurden. So ging man gleichzeitig aus den Räumen des Ausstellungsortes hinaus, vernetzte verschiedene Initiativen und ExpertInnen auf "nachhaltige" Weise und bezog das Publikum, das an den öffentlichen Events partizipieren konnte, mit ein.
Andreja Kuluncic / Shedhalle
Im Katalog sind diese verschiedenen Schritte anhand der einzelnen Projekte anschaulich dokumentiert – so kann man sich im Nachhinein z.B. noch einmal über Saskia Holmkvists Arbeit informieren, die ehemalige PraktikantInnen der Shedhalle (die wie die meisten auf Förderungen angewiesenen Institutionen gezwungen ist, diese zum Nulltarif zu beschäftigen) mit einem Psychotherapeuten zusammenbringt, um in Gesprächen den Erwartungen und Erfahrungen der "Generation Praktikum" nachzuspüren und damit gleichzeitig (inner)institutionelle Kritik zu üben.
Sönke Gau und Katharina Schlieben (Hg.): Work to do! Selbstorganisation in prekären Arbeitsbedingungen. Verlag für moderne Kunst Nürnberg, 240 S., ca. 29 EUR
Die Aktion "1 SFR = 1 Stimme" von Andreja Kuluncic dreht hingegen die gesellschaftlichen Annahmen von "armen, bedürftigen" MigrantInnen und "überlegenen" InländerInnen um, indem illegalisierte "Sans-Papiers" und Solidarisierende aufgefordert wurden, einen Schweizer Franken zur Renovierung des Schweizer Bundeshauses (Parlaments) zu spenden und damit auch mehr Mitbestimmung einzufordern.
Auch wenn der Katalog zu "Work to do!" als Katalog zunächst verwirrend wirken mag, weil er mit der stereotypen Annahme, was eine "Ausstellung" und was "Kunst" sei, bricht, ist er genau deswegen Weg weisend: weil es in Zukunft einfach keinen Sinn mehr machen wird, Kunst so restriktiv zu interpretieren und zu zeigen – vom fehlenden gesellschaftlichen Engagement ganz zu schweigen.