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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

24. 9. 2009 - 16:53

Fußball-Journal '09-88.

Mainstream, Lügen und Unwissenheit. Über das Elend des heimischen Fußball-Journalismus. Ein Plädoyer für die Schönheit.

Es war gestern abend, als ein Reporter (Name der Redaktion bekannt) von "Sky" den Rapid-Trainer nach der "neuen" Taktik befragte, vorsichtig kumpelhaft, ob das denn, im Lichte der letzten Erfolge, das neue Ding sei. Eine in sich blöde Frage, weil man darauf nur relativierend antworten kann - im Fußball wie im Leben ist nie irgendetwas exklusiv das neue Ding; aber eine typische Frage des österreichischen Fußball-Journalismus - eine, die keinen anderen Zweck hat als ein "Geständnis" herauszuholen, das man dann mit einer nachfolgenden Frage, in der man einen (scheinbaren) Fakt zitiert, der dem eben gesagten (scheinbar) widerspricht, konterkariert, um so den Interviewten deppert dastehen zu lassen.

Darum geht es nämlich.

Dort entblödete man sich etwa auch nicht die SP-Verluste der letzten 8 Wahlen (also Landeswahlen, EU-, AK-Wahlen etc.) zu addieren, um auf eine "arge" Gesamtzahl zu kommen.

Im übrigen nicht nur im Fußball, wie man anhand einer gestrigen ATV-Polittalksendung sehen konnte, wo man exakt so vorging - es geht um Demütigung und Vorführung.

Im Fußball, wo die Gesprächspartner oft auf einem Level erschreckender Wehrlosigkeit agieren, ist es fast noch halb so wild - da enden die meisten dieser Pseudo-Gespräche dann in einer aufgesetzten Kumpanei. Selbst bei Peter Pacult, der so allergisch gegen die Befragung an sich ist, dass er auch bei Anmerkungen wie "Schönes Wetter heute, oder?" beleidigt reagieren würde.

VIP-Quatsch statt Struktur-Analyse

Aber ich will auf etwas Konkreteres hinaus.
Beim Mainstream, in diesem Fall Sky-Österreich, der TV-Fußball-General-Rechteinhaber für z.B. Bundesliga und Euro-League, ist die Frage der "neuen" Rapid-Strategie also erst genau gestern angekommen.

Dieses nicht neue, aber seit einiger Zeit endlich echt forcierte System brachte die Erfolge in Birmingham und gegen den HSV zustande und präsentierte sich im Meisterschaftsspiel gegen Salzburg in aller augenfälligen Offenheit. Und - wie ich das hier, im FB-Journal 85 überlang ausgeführt habe - es hat eine lange und leidensvolle Geschichte.

Eine Geschichte, die jeder mit Augen im Kopf seit Jahren sehen konnte. Und, wie ich weiß, auch gesehen hat.

Ich bin ja in Kontakt mit dem fußballjournalistischen Mainstream, zwangsläufig.

In aller Kürze, es ist eh hier ausführlicher nachzulesen: Rapids unter Pacult jahrelang angewandtes 4-4-2 litt darunter, dass der nominell rechts aufgestellte Hofmann diese Position nie gehalten hat, weil es ihn immer in die Mitte zog. Das bedeutet dass Rapid rechts verwundbar ist und zudem auch kein Flügelspiel aufziehen konnte - Korkmaz/Drazan und Co, alles lief immer über links. Ein 4-2-3-1 mit zwei echten Flügeln und Hofmann mit allen Freiheiten in der Mitte war immer schon die sinnhafte Option. Über die sich Pacult aber nie recht drübergewagt hat.
Auch, weil die Mainstream-Medien sich immer nur auf das "Wos-nur-1-Stürmer?"-Subthema draufsetzen, wiewohl das genau keinen Einfluß auf den Erfolg des Systems hat.

Und ich werde, auch von dessen Vertretern seit Monaten, wenn nicht Jahren, auf dieses Ceterum Censeo, das hier in den Fußball-Journalen auch der letzten Jahre stattgefunden hat, auf die Schieflage des Rapid-Systems angesprochen.
Es gibt da also durchaus ein Problem-Bewusstsein.

Nur - was kommt dabei raus? Weil ja Medienmenschen das, was sie sehen, eigentlich beschreiben müssten.

Die Medien-Typologie

Im Wesentlichen gibt es da drei Gruppen.

Gruppe 1 besteht aus jenen, die das Problem erkennen, es aber nicht ansprechen, weil es in ihren Medien nicht gewollt wird, oder weil sie das Gefühl haben, dass es zu viel Platz braucht, um erklärt zu werden, was wiederum auf die fehlenden Basics, also das inexistente Wissen großer Teile des Publikums, zurückzuführen ist. Sie sind die "Wir würden ja gern, aber es geht sich nicht aus!"-Fraktion.

Gruppe 2 sind die, die das Problem erkennen könnten, sich aber gar nicht erst drum kümmern, weil sie - im Gegensatz zu Gruppe 1 - am Nichtwissen-System nicht verzweifeln, sondern sich damit arrangiert haben. "Schau, des interessiert de Leut ja gor net. Do kennan sasie eh ned aus." Sie sind die "Is-jo-eh-ois-wurscht."-Fraktion.

Gruppe 3 versteht nicht, wovon die Rede ist, weil sie selber, wie das von den anderen verachtete Publikum, nichts erkennen; weil sie keine wie immer geartete Ausbildung haben.

Das, was jeder Kicker, der ins besserklassige Ausland kommt, in den ersten Interviews als verblüffend raussprudelt, dass sie nämlich in England / Italien / Deutschland / Holland / sonstwo einem umfassenden taktischen Training unterworfen wurden, das sie in dieser Form in Österreich nie kennengelernt hätten, das trifft genauso auch auf die Medien-Berichterstatter zu.

Analytiker oder Phrasendrescher?

Während sich englische Dailies, die italienischen und spanischen Sport-Tageszeitungen, die Massen-Fachblätter in Frankreich oder Deutschland nämlich in Analyse und Rezeption von Systemen, Taktiken und Strategien überbieten, das auch graphisch deppensicher (für alle) nachvollziehbar auflösen, findet das bei uns genau gar nicht statt.

Keines der (eh bemühten) Fachblätter bietet derlei auch nur im Ansatz, auch die immer besser werdenden Webseiten bringen da nichts - vom Tageszeitungs-Mainstream erst gar nicht zu reden. Im TV-Bereich wird das ausgelagert - und zwar an sogenannte Experten, die das wissen sollten, aber leider großteils auch nichts wissen und nur Allgemeinplätze herumkonseln, Phrasen krankln und hinterherschoppen. Damit glaubt man sich dieser Verantwortung entledigt - wobei man sich ihrer immerhin bewusst ist; was im Print gar nicht der Fall ist.

Deshalb zeichne ich in regelmäßigen Abständen (bei den großen Turniere oder auch jüngst bei einer ersten Saisonbilanz mit krakeligen Filzstiften Systeme auf - um Verständnis zu schärfen.

Der geneigte Zuschauer, egal ob im Stadion oder vorm TV-Schirm, weiß erschreckend wenig. Ich bekomme Mails, die mich heimlich fragen was ein Doppel-Sechser eigentlich ist - ein Kollege hat richtig angemerkt, dass man dem etwa im ZDF-EM-Studio eine ganze Stunde gewidmet hatte. Bei uns fühlt sich niemand bemüßigt Fußball über diese - an sich simplen und auch leicht darstellbare - Schiene verständlicher zu machen.

Expertentum als Schlaraffenland

Hier geht es nämlich nicht, wie die Faulpelze, nur um schnelles Abtauchen in der VIP-Lounge bemühten Ex-Kicker und "Experten" darum ein "einfaches Spiel" künstlich zu verkomplizieren, sondern darum ein in seiner scheinbar chaotischen Wuseligkeit so wunderbares Geflecht aus Einzelaktionen und kollektiven Fähigkeiten seiner Schönheit entsprechend auszustellen.
Wer nicht hinter die Systeme und die Taktik schaut, kann den Fußball nicht wirklich lieben, weil sich erst dadurch seine Brillanz, seine Verve, seine atemberaubende Herrlichkeit offenbart.
Wer das nicht tut, will den Weg des geringsten Widerstandes gehen, ist ein Abzocker und Verräter am Spiel.

Nun sind es leider alle drei angesprochenen Gruppen von Journalisten, die das Spiel nach außen präsentieren und die Zuschauer um einen großen Teil der Schönheit des Sports berauben.
Denn es ist letztlich wurscht, warum sie ihren Job nicht so machen, wie sie sollten und können sollten, egal ob aus Verzweiflung, aus Zynismus oder aus Dummheit.

Dieses Nichtstun führt nämlich auch zu einem weiteren Problem: es verdirbt nicht nur den Zuschauer, sondern auch die Proponenten.

Nehmen wir etwa das eingangs zitierte Pacult-Interview, in dem also - oberflächlich, unjournalistisch und viel zu spät - etwas thematisiert wurde, was aktuell ausführlicher zu besprechen wäre, weil es enstcheidend für den "Lauf" von Rapid ist: weil Pacult weiß, dass sein Gesprächspartner kein echtes Interesse an den Hintergründen hat und weil er davon ausgehen kann, dass der ahnungslos gehaltene Zuschauer auch nicht wirklich weiß, wovon die Rede ist, kann er verschleiern und ein bissl schwindeln.

Kleine Notlügen erhalten das System

Pacult sprach in seiner ausweichenden Antwort davon, dass das "neue" System erst jetzt spielbar wäre, weil er erst jetzt wieder auf starke Mittelfeldspieler wie Boskovic oder Kavlak zurückgreifen könne.
Kleine Notlüge: Bosko und Veli waren in den letzten Jahren, als er sich nicht drübertraute, ja auch da. Und in Birmingham oder gegen Salzburg waren sie auch nicht erste Wahl.

Durchaus symptomatisch ist, dass Pacult erst in einer Notlage auf das griffigere System zurückgreift: durch die (absichtlichen?) Notverkäufe von Hoffer und Maierhofer hat er nicht genug Klassestürmer um ein 4-4-2 aufrecht zu erhalten.

Pacult kann sich mit der Verdrehung der Wahrheit um eine Evaluierung der (systemisch unbefriedigend gestalteten) Vergangenheit herumdrücken, weil er weiß, dass es niemanden gibt, der eine Kontroll-Funktion (und das ist, sogar de jure, die Rolle der Medien in einer Demokratie) ausübt.
Solange man sich dort nämlich in tumber Personalisierung erschöpft, wird und kann da nix weitergehen. Solange eine unbeantwortbare Nicht-Frage wie "Wieso spielt Roman Wallner aktuell so gut?" ausführlich behandelt wird, solange die Zeit / Zeilen-Budgets mit bequemen Ablenkungs-Wortblasen geblockt werden, wird der Status Quo (der ein im europäischen Schnitt unwürdig schlechter und ahnungsloser ist) aufrechterhalten.

Das ist vielen recht so.

Den Verwertern, den Medien-Konzernen und natürlich auch den Verantwortlichen, den Playern - also den künftigen Experten, die ja später auch eine ruhige Kugel schieben wollen - allen.

Wer sich also weiterhin vom Fußball-Establishment einreden lassen will, dass eine nähere Beschäftigung mit dem Dahinter, dass systemische Analyse, dass Wahrnehmen von Taktik und Strategie eh nur verschwendete Zeit wäre, der tut dies auf eigene Gefahr. Und hat fürderhin keine Ausrede mehr.