Erstellt am: 25. 9. 2009 - 13:31 Uhr
Nick Hornby ist wieder da
Juliet, Naked von Nick Hornby ist in der Übersetzung von Clara Drechsler und Harald Hellmann Anfang September bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.
Ich wollte aufgeben. Mindestens fünf Mal habe ich mit dem Gedanken gespielt, das Buch vorzeitig wegzulegen. Nicht weil "Juliet, Naked" 1000 Seiten dick wäre, nicht weil die Gedankengänge zu verworren, die Handlungsstränge zu verschlungen oder die Buchstaben zu klein wären. Nein, um es kurz zu machen: "Juliet, Naked" ist langweilig. Stinklangweilig.
Daheim in der Subkultur
Stephen Hyde
Nick Hornby ist in den 90er Jahren berühmt geworden mit Büchern über Fußball und Musik. Er hat es geschafft, seine Geschichten lebensnah und unpeinlich in Subkulturen spielen zu lassen, wo es normalerweise schnell peinlich und anmaßend wird. Er hat das geschafft, weil er nah an der Realität schreibt, nah am Leben. Und genau das wird ihm hier zum Verhängnis.
In "Juliet, Naked" verknüpft Hornby Nerdism mit Erwachsenenleben. Hornbys Helden sind mit ihm gealtert, und sie haben nicht mehr das Problem, dass Kurt Cobain sich erschossen oder Arsenal gegen die Spurs verloren hat. Sie haben sich in seltsamen Beziehungen eingerichtet, die sie 20 Jahre vorher noch bei den ersten Anzeichen der Routine beendet hätten, die aber mittlerweile sogar ihre Obsessionen in angenehm stabile Strukturen integrieren.
Kleinbürgertum und Obsession
Duncan und Annie leben in einem englischen Küstenkaff. Duncan lehrt an der Volkshochschule der Nachbarstadt, Annie schmeißt das lokale Heimatmuseum. Das beherrschende Beziehungsthema aber ist Duncans Obsession: Duncan ist freischaffender Experte für Tucker Crowe, einen fiktiven amerikanischen Singer/Songwriter. Tucker Crowe entstammt wohl wie Dylan und andere den wilden Spät-Sechzigern, hat sich aber, nach Hornby, anno 1986 aus Öffentlichkeit und Musikbusiness zurückgezogen.
Zappologen und Dylanologen versuchen, ihrem Fantum einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben.
Gibt’s das eigentlich auch für nicht ganz so alte Popmenschen? Gibt’s Cobainologen? Beckologen? Lilly Allenologinnen?
Es ist natürlich immer schwierig, fiktive Rockstars in realen Welten herumlaufen zu lassen, noch dazu wenn diese realen Welten auch von realen Popstars nur so wimmeln. Das wäre in etwa so als hätte "Fever Pitch" nicht von einem Fan des FC Arsenal gehandelt, sondern von einem Fan des, sagen wir: Premier League Vereins 1. FC London United, der da gegen Chelsea, Newcastle und Leeds United verlieren muss.
Da bleibt die Begeisterung wenig greifbar.
Während sich jeder unter Dylanologen oder Zappologen was vorstellen kann (irgendein Freund deiner Eltern ist bestimmt sowas) sind Tucker Croweologen schon deshalb eine Fata Morgana, weil es sie außerhalb von Nick Hornbys Buch nicht gibt – und Hornby schafft es auch nicht, sie irgendwie greifbar zu machen.
Leiden mit dem Nerd
Duncans Beziehungskiste Annie leidet also mit ihm, schwankt zwischen Distanz und Besserwisserei, findet die Fixiertheit ihres Gespons total bescheuert, die Musik aber doch irgendwie ganz gut und lässt ihren Schatz seinen kleinen Spleen halt ausleben.
Die Geschichte hätte Stoff für eine Beziehungskomödie oder eine Fernsehserie gegeben, und wahrscheinlich hatte Herr Hornby das auch im Hinterkopf. Nur funktionieren Beziehungskomödien ohne Witz halt genauso wenig wie die Beziehungen, die sie persiflieren, und was im Fernsehen ein Blick erklärt, muss im Buch erst langatmig beschrieben werden.
Kipeneheuer und WItsch
"Juliet, Naked" ist im Buch der Titel eines Albums von Tucker Crowe, das 22 Jahre nach seinem Verschwinden veröffentlicht wird und Demoaufnahmen zu seinem letzten und erfolgreichsten Album "Juliet" enthält.
Ein bisschen schmissiger wird es, als der verschwundene Star selber auftaucht und Details aus seinem versteckten Leben offenbart. Wie Hornby die Beziehung Tuckers zu seinem 6jährigen Sohn beschreibt, das zeigt, dass er das Vater-Kind-Thema immer noch beherrscht. Aber auch Tucker grübelt seitenlang über Ehestreits und verlorene Chancen aus der Vergangenheit, ohne dass eine Tiefe oder ein weiter führender Gedankengang so etwas wie Esprit aufblitzen ließen. Trostlosigkeit allerorten.
Pop vs. Reality
In "High Fidelity" hat die Musik die Welt des Nerds noch geöffnet. In "Juliet, Naked" verengt sie das Leben zu selbstreflexiver Wichtigtuerei. Nick Hornby wollte hier wohl die Verlogenheit der Star/Fan-Beziehung zum Thema seines Buches machen, den Konflikt zwischen realem Leben und imaginierter Sehnsuchtswelt, zwischen den diversen Projektionen und dem, was zu Hause in Küchen und Köpfen von Stars und Fans tatsächlich abgeht. Leider gelingt ihm das nicht ansatzweise, weil er sich verliert in der Ödnis innerer Monologe und serialisierter kleinbürgerlicher Beziehungskisten.
Aus der Gegenüberstellung der Seifenblase Pop mit der Realität hätte wohl so etwas wie revolutionäre Kraft entstehen können, "Juliet, Naked" hätte Pop als Opium fürs Volk entlarven, die Protagonisten zur Veränderung der realen Verhältnisse schreiten können – Action eben. Nicht sehr realistisch, aber wenigstens wäre was passiert.
15jährige Scheinbeziehungen geben einfach keinen guten Stoff für ein flockiges Buch, genauso wenig wie Mittvierziger-Musiknerds, die nicht existierenden, verschwundenen Popstars aus den Sechziger Jahren hinterherforschen.