Erstellt am: 23. 9. 2009 - 11:42 Uhr
Ja, Panik - The Angst and The Money
Da sitzen sie: Fünf blasse, junge Männer mit gelangweilten Gesichtern. Der eine große Dünne da liest ein minutenlanges, kryptisches, scherzhaftes Manifest runter.
"Wir sind die reine Differenz. Die Substanzlosigkeit ist unsere Substanz. Wir werden rauben, stehlen plündern, niedermetzeln. Wir werden nichts erklären, nichts begründen. Wir haben nichts anderes verloren als unser Interesse."
Ein Manifest, an dessen Ende man aufgefordert ist, nicht in stiller Lethargie zu verharren, sondern die Angst als Vorstufe, als zur Panik zu sehen.
"Die Angst kann natürlich auch Motor und Auslöser von Panik sein. Wie in einer Tierherde, in der nichts mehr kontrollierbar ist, die ohne Grund einfach auseinanderrennt. Panik sprengt Grenzen im Kopf. Und da ist auch ein widerständiger Moment in dem Ganzen, im Wesen der Panik.", erzählt Ja, Panik Sänger Andreas Spechtl im Interview.
Widerständig - Genauso beginnt das Stück "Alles hin, hin, hin". Genauso beginnt "The Angst and The Money".
Ink
Ein elendig langatmiges Musikvideo ist das da, in dem die fünf Musiker mit gelangweilter, starrer Miene ihr Lied in dieser
Verweigerungs-Karaokeversion darbieten. Ein Lied, in dem die Rauben-Stehlen-Plündern-Passage sogleich, wie auch in den zehn anderen auf der Platte folgenden Liedern und im Manifest umgesetzt ist.
Geborgt, geklaut, zitiert, neu zusammengestückelt. Eine Collage an Textpassagen, aus dem Kontext gerissen, aus großen Büchern, aneinander gestückelt und eingestreut in eigene Gedankengänge und uns vor die Füße geworfen. Ob aus dem Nachmittagsfernsehen oder aus Wienerliedern wie "Oh, du lieber Augustin" oder Falcos "Ganz Wien". Alles hin, hin, hin!
Oder aus Theaterstücken, die sich selbst aus Zitaten speisen und deren Handlung in sich selbst so lose ist, wie ein Ja, Panik-Lied es ist. Etwa Karl Kraus' dank seiner Länge unaufführbares Stück "Die letzten Tage der Menschheit".
"Es ist das Chaos in den Köpfen, das uns heut' Nacht zusammenbringt. In fremden Zungen, fremden Sprachen. We will turn demons into kings."
(aus: "Pardon")
Alle, die jetzt laut "Alles nur geklaut!" schreien werden nichts als einen diebischen Grinser ernten. Denn natürlich: Die scherzhafte, humoristische Seite der Gruppe Ja, Panik sollte nicht außer Acht gelassen werden. Die, die uns gerne auch verwirrt und an der Nase herumführt.
Und außerdem: Ja, Panik machen auch nur das, was in der Welt der Literatur und Welt der bildenden Künste seit langem gang und gäbe ist:
Was sich bei den psychedelischen, literarischen Drogentrips von Brion Gysin und William S. Burroughs in der windschiefen Welt der Beat Poeten, die sich der "Cut Up" -Technik bedienten - dem Schreiben und Zerschneiden und Neu-Zusammensetzen von Texten manifestiert - findet sich in der Welt der Surrealisten und der Dadaisten genauso, wie auch in David Bowie-Songs, bei den Industrial-Noise-Exorzisten Throbbing Gristle oder Thom Yorke, der bei der Radioheadplatte "Kid A" seine Lyrics zerschnippelt und flott in den Hut geworfen hatte, um sie dann wieder herauszuklauben und neu zusammenzupappen. So geschehen bei "Everything In Its Right Place". Aber nun weiter bei Ja, Panik.
"Unsere Methoden sind umstritten und sind es wiederum auch nicht."
(aus: "Pardon")
Was wurde nicht schon alles über Ja, Panik, die im Moment als die interessanteste, deutschsprachige Band gehandelt werden, geschrieben:
Die "wichtigste deutschsprachige Platte seit Blumfelds L´Etat Et Moi" nannte die Spex das Vorgängeralbum "The Taste and The Money" und stellte die Platte auch gleich auf Platz 3 der 2008er-Jahrescharts. Widmete der Band gleich einige Doppelseiter, ob zum Thema "Kunstsprache" oder in der aktuellen Spex, die Ja, Paniks neues Album neben Ex-Blumfeld Sänger Jochen Distelmeyers neue Platte "Heavy" und dem Album der Goldenen Zitronen "Die Entstehung der Nacht" einreiht.
Unbestritten: Jedes dieser Komplimente und die Aufmerksamkeit haben sich Ja, Panik mehr als verdient!
Franz Aman
"Don't hesitate, join the angst-parade!"
(aus: "1000 Times")
Der deutschsprachige Indierock hat sich in den letzten Jahren bekanntlich in einen seichten, fad schmeckenden Einheitsbrei verdünnt, deren Ursprungsingredienzien darin wohl nicht einmal mehr in homöopatischer Dosis enthalten sind.
Was Anfang der 90er Jahre vielversprechend als Aufschrei, als Protest, als sogenannter Diskurspop begonnen hatte und in Bands wie den Goldenen Zitronen, den Sternen, Blumfeld und Kollosale Jugend zum Ausdruck kam, hat sich verfangen in einer flachen Schleife an leicht verträglicher und gut verkaufbarer Befindlichkeitslyrik, die pickelige Epigonen und altkluge Möchtegerns daher dichten.
Ja, Panik ziehen den Karren endlich aus den Dreck und machen deutschsprachigen Rock, wie er 2009 sein soll:
Klug, wild, laut, zornig, ironisch, clever. Mit einer fetten Portion Wahnwitz und Ironie versehen, der all den anderen, die nebenherreimen und sich selbst zu wichtig nehmen, automatisch den pseudointellektuellen Wind aus den Segeln nimmt. Und dabei ist jeder Satz, den Andreas Spechtl daher singt, so großartig, dass man sie sich ALLE mit Post-its an sämtliche Wände pappen und für immer merken will. Wahrscheinlich kein großes Problem, so eingängig wie sie sind.
Vor meinem geistigen Auge sehe ich Samstagabend am Tresen neben mir schon ein - mit rotem Marker - schnell dahin geknalltes
"ICH TRINKE DESTILLIERTEN HASS" auf weißer Baumwolle vor mir stehen.
Julia Spitzner
Termine:
25.09. Graz/ Orpheum
26.09. Klagenfurt/ Volkshaus
30.09. Traun/ Spinnerei
02.10. Wien/ Flex
03.10. Weyer/ Bertholdsaal
19.10. Köln/ Gebäude 9
20.10. Heidelberg/ Karlstorbahnhof
21.10. Stuttgart/ Schocken
22.10. St.Gallen/ Palace
23.10. Timmelkam/ Sakog
24.10. München/ Muffatwerk (FM4-Fest)
25.10. Neusiedl am See/ Bergwerk
29.10. Nürnberg/
K4 Zentralcafé
30.10. Leipzig/ Ilses Erika
05.11. Frankfurt/ Mousonturm
06.11. Jena/ Kassablanca
28.11. Berlin/ Festsaal Kreuzberg
"Jede Idee verkommt mir hier zur Totgeburt, ach meine Worte, meine Worte sind verflucht!"
(aus: "Die Luft ist dünn")
Ach ja, dann wären noch die fabulösen Eckdaten. Die Homerecording-Zeiten sind vorbei. Ja, Panik hat es für das aktuelle Album nach Berlin verschlagen. Im Chez Cherie, dem kreativen Mekka in Neukölln wo schon Tocotronic ihr letztes Album "Kapitulation" und das kommende aufgenommen haben, ist "The Angst and The Money" entstanden. Moses Schneider hatte seine Finger an der Aufnahmetaste. Und wer mit Moses Schneider ins Studio geht kann sich sicher sein, dass das Ergebnis "coole Scheiße" ist, wie der Produzent es wohl selbst laut ausrufen würde.
Nichts da mit Trennwänden zwischen den Musikern und Overdubs. Mit getrennter Aufnahme der Reihe nach, wie beim Zahnarzt, oder nebenher, wie in einer Legebatterie. Alle Musiker waren bei den Aufnahmen zusammen in einem Raum, der mehr an ein riesiges Spielzimmer als an ein cleanes Studio erinnert. Vollgestopft mit Nippes und einem unendlichen Pool an Instrumenten. Zwei Wochen pure Konzentration auf die Arbeit. Eine Atmosphäre, fast wie in einem "Gulag", wie Andreas Spechtl scherzhaft meint. Denn das "Spielgefühl", die Dynamik und Liveatmosphäre stehen bei Moses Schneider an oberster Stelle. Keine Kompromisse. Das hört man, klar. "The Angst and The Money" ist nicht mehr ganz so räudig wie der Vorgänger, aber trotzdem glücklicherweise nicht auf Kosten der nötigen Ecken, Kanten und Ausbrüche. Besser hätt's nicht kommen können.
Fragt man sich nach dem Durchhören nur, was wohl nach "The Taste and The Money" und nach "The Angst and The Money" kommen wird. Aus dem Faible der Band für Konzepte ist zu schließen, dass man sich bestimmt auf ein weiteres Beiwort freuen darf. Welches wird es sein? Wir sind gespannt, da kommt sicher noch einiges nach. Bis dahin bitte die wohl großartigste, deutschsprachige Platte bis dato in Heavy Rotation abspielen!