Erstellt am: 22. 9. 2009 - 16:38 Uhr
Journal '09: 22.9.
"Was machst du denn da", fragt mich der erstaunte Ö3-Kollege, über den ich auf den Stiegen zum Wiener Verkehrsbüro stolpere. Schon er selber würde sich, sagt er, hier extrem fehl am Platze fühlen, aber ich erst...
Er hat recht. Was tu ich hier? Bei einer grotesken Schicki-Präsentation eines ebenso absurden Micki-Buches?
Rückblende.
Die Einladung des Verlags hab ich näher angeschaut, weil ich den Autor kenne; aus einem früheren Leben. Walter Pohl war bei der neuen AZ (in ihrer Post-Parteizeitungs-Phase, mit Robert Hochner als Chef), damals Blutflocki, später hieß das Chefreporter. Ein Blutflocki ist einer, der dauernd "G'schichten" wittert, die sich selten politisch geben, sondern im chronikalen, menschlichen Bereich herumstochern.
In Österreich umweht den Blutflocki ein halbweltlicher Strizzi-Odeur, die meisten sehen aus wie Michael Jeannee und sind ähnlich seriös/ernstzunehmen.
Der junge Walter Pohl wollte all dies nicht sein, sondern ein G'schichtenerzähler, der sich der Wirklichkeit verpflichtet, ganz wie es der damalige AZ, die sich als humanistisch, liberal und weltoffen verstand, entsprochen hat.
Nach 1992 hab ich ihn dann aus den Augen verloren, er ist, wie die meisten Blutflockis, ins Fellner-Imperium abgetaucht. Seitdem sieht man sich selten und zufällig.
Billig-Kolportage im Glückspiel-Alibi-Haus
Das war der eine Grund die Einladung zu Pohls Buchpräsentation wahrzunehmen. Der zweite war der Titel des Unterfangens: "Die schmutzige Emanzipation", das klingt nach saftigem Blut&Beuschel-Gesellschaftsjournalismus, der sich in den Dienst einer clever ausbeuterischen Medien-Maschine stellt - immer ein interessantes Objekt.
Und, als icing on the cake, war dann auch noch der Ort verlockend: das Novomatic-Forum im ehemaligen Wiener Verkehrsbüro gegenüber der Secession. Ein vormals klassischer, nobler Ort, der - nachdem ihn die Glücksspiel-Company übernommen hatte, als Feigenblatt dient - in einer Art Ablasshandel, damit man nicht ins Fegefeuer kommt, wird dort ein bisserl auf Kultur gemacht.
Das alles wollte ich sehen.
Eine Groteske vorweg: das Buch hat eine Co-Autorin, eine gewisse Lara Theiss. Die durfte nicht nur nicht vorlesen, die durfte nicht einmal aufs Podium zur Verbeugung, nein, sie wurde nicht einmal begrüßt oder sonstwie gecredidet.
Die Realität ist immer schrecklicher als die blasse Vorstellung.
Es war tatsächlich eine Mausi-Alfons-Mucha-Ainedter-Veranstaltung, eine Präsentations-Party eines Buchs, bei dem das Erscheinen zählt, maximal noch die Umschlaghülle, nicht der Inhalt. Und es passierten Dinge, die jeder Vorstellung spotten. Die stell ich (ausschnittsweise) einfach an die Seite.
Wichtiger ist, was Pohls Buch sagt und bewirkt.
Er nimmt sich darin des (seiner Meinung nach neuen) Phänomens des Hochschlafens an. Klar kann man da "so what? Hats immer schon gegeben!" sagen, sich umdrehen, Relevantem widmen um seine Zeit nicht mit dem Obviosen zu verschwenden.
Mich, der ich den Autor ja ein Spürchen kenne, hat aber schon interessiert, wie jemand, der ja nicht völlig jeanneesiert ist, in diese Sackgasse geraten kann - ob das freiwillig und bewusst passiert ist, oder doch eher zufällig.
Schamlose Schamlosigkeit
Irgendwann spricht mich ein junger Mann an: "Sie sind doch von FM4, oder? Wir haben da ein Buch, beim selben Verlag, kommt demnächst, vielleicht interessiert Sie das!?". Ich: "Ja, worum gehts denn?" Er: "Naja, um wahre Geschichten, die das Leben geschrieben hat. Die so im Internet stehen." Ich: "Aha, urban legends, urbane Mythen. Und ihre Dekonstruktion? Oder um was anderes?". Er sagt dann minutenlang nichts und ringt unter Hervorbringung von nur noch einzelnen Worten um eine Antwort. Dann sagt er etwas in der Art von, dass man diesen Aspekt nicht bedacht hatte und entschuldigt sich für sein Vorpreschen.
Ich begreife es erst, als er wieder weg ist: er (beim Anklicken der Website finde ich heraus, es war der Autor) wurde offenbar gerade erstmals mit dem Begriff der urbanen Legende konfrontiert.
Weil er schamvoll weggelaufen ist - hier eine Urban Legends-Site, dort eine Sammlung, da die überaus hilfreiche Hoax-Site der TU Berlin. Empfehlenswert auch "Die Spinne in der Yucca-Palme".
Gut, Pohl trug die weißen Schuhe der gut sichtbar anwesenden Blutflocki-Gilde, wirkte sonst aber halbwegs normal. Und begann seine kurze Lesung (nachdem zuvor ein Faymann-Puppen-Imitator ungelenk, hochstimmig und fremdwortestolpern eingeleitet hatte) mit der Frage ob man das denn dürfe: gegen Frauen reden und den Begriff der Emanzipation mit der schamlosen Gesellschaft in der wir leben würden, hochrechnen.
Da bin ich auch schon wieder raus aus dem Saal, weil im dem Moment eh alles (also: das kapitale Missverständnis) klar war.
Ich will's anhand eines Beispiels erklären.
Wenn jetzt ein TV-Sender einem alternden, sich gern zum Kasperl machenden Baumeister an der Hand hat, und dem jetzt (eh nur für die Kamera) ein junges Pupperl kauft, wer ist dann der Dreckspatz?
Oder: wenn eine Sekte mit hohem PR-Anspruch ihrem womöglich schwulen Superstar eine lässige Frau beschafft, um ihm einen coolen Hetero-Anschein zu geben (den er für seinen Job braucht), sie mit einem tollen Vertrag (samt garantierten Aufträgen) versorgt und als Gegenleistung öffentliche Auftritte und die Aufzucht von Retortenkindern verlangt, wer ist dann "schmutzig"?
Die Frau, die in den Deal einwilligt?
Der Typ, der dringend ein Image braucht?
Oder die Organsiation, die das alles checkt?
Richtige Antwort: alle drei, aber mit deutlicher und klarer Abstufung. Zuerst der Verursacher, dann der Anbieter und am Ende dieser klar ausdefinierten Kette kommt erst die Angeheuerte.
Pohls Kolportage-Text, der die Meinung aller Tratschtanten und Gala-Leser widerspiegelt, hält sich aber ausschließlich an der ersten Stufe (also den argen Weibern) auf, bleibt also schon im Vorzimmer stecken.
Schmutzfinken allerorten
Die "Huch, ist das denn möglich!"-Beweislast im Buch tragen nämlich Menschen, die jahrtausendealten Strukturen folgen.
Junge Frauen, die sich an mächtige Männer ranschmeißen; Künstlerinnen, die die Nähe von Politik suchen; Models, die sich Schauspieler krallen; It-Girls, die die Aufmerksamkeit der Medien suchen - alles uralte Modelle, die seit ewigen Zeiten gültig sind.
Und: es sind deshalb meist Frauen, die so vorgehen müssen, weil die Macht eben seit Jahrtausenden bei den Männern liegen. Wär's umgekehrt, wär's umgekehrt. Würde Parität herrschen (das ausgewiesene Ziel der Emanzipations-Bestrebungen des 20. Jahrhunderts) würde es beide Geschlechter gleichermaßen betreffen. Minimum.
Das belegen selbst die Allerweltszahlen, die der Verlag beim Market-Institut in Auftrag gab.
Frage: "Haben Sie schon einmal mit dem Gedanken gespielt, sich mit Vorgesetzten einzulassen um beruflich weiterzukommen?" 8% der österreichischen Frauen sagen "Ja. okay, schon einmal dran gedacht!", 7% der Männer sagen das auch. Allerdings sagen auch 1% der Männer sagt "Ja, häufig!" - Frauenanteil hier: Null.
Im übrigen enthält "Schmutzige Emanzipation" natürlich auch das Absicherungs-Kapitel mit der omnipräsenten Alice Schwarzer, deren schwatzsüchtige und wenig substanzielle letzte Jahre die wichtige Arbeit im letzten Jahrhundert zwar nicht überwuchern können, aber doch beeinträchtigen. Glücklicherweise hat sie ihre Kronzeugen-Rolle nicht komplett angenommen und sagt auf eine Pohl-Frage nach der zunehmenden Schamlosigkeit der Gesellschaft, dass es die Medien und der Kapitalismus (also das General-System, nach dem unsere Gesellschaft aufgebaut ist) sind, die diese Schamlosigkeit (ganz bewusst) befördern.
Und genau das ist der Grund meines Beharrens auf einem scheinbaren "eh klar"-Thema: das Erkennen der Strukturen hinter einer solchen Strategie hilft beim Aufspüren von ebensolchen Mechanismen in schwierigeren Feldern.
Weil sie ein wichtiger Ablenkungs- und Unterhaltungs-Faktor sind.
... und wie oft hilft Frau Schwarzer mit...
Was sie nicht wagt (auch weil sie das fertige Buch nicht kennen konnte) ist es anzumerken, dass es Leute wie Walter Pohl sind, die sich durch ihr Suhlen in der durch ihre Blutflocki-Arbeit mitverursachten Schamlosigkeit der Gesellschaft, ein großer Verbreiter des von ihnen angeprangerten Bösen sind, sein bester Werbeträger.
Was sie nicht wagt ist es die "Aufdecker" als Verhöhner der von ihnen selber mitgeschaffenen Opfer bloßzustellen. Denn ohne die Pohls und Bücher wie die seinen keine Mausis.
Nun habe ich nichts gegen offene Dummheit, pure Naivität und bleiche Geistlosigkeit, sofern sie sich nicht als gesellschaftlicher Maßstab vordrängt oder anderswie zur Herstellung von Regeln instrumentalisiert wird. Wenn Pohl dann was von Werten erzählt, die sich verschoben hätten, dann kann er so naiv sein, wirklich zu glauben, dass es Sandy Meyer-Wöldens Schuld ist, nicht etwa die der Pochers/Beckers und schon gar nicht die der das für ein Unterschicht-Publikum aufkochenden Boulevard-Medien, aber: dann ist genau dieser Punkt überschritten.
Nicht, dass Pohls Buch deshalb gefährlich wäre: niemand, der nicht schon davor derselben Meinung gewesen wäre, wird es lesen oder gar beherzigen. Die meisten Käufer werden es ungelesen hinstellen oder ihrer Mausi-Freundin schenken, die sich dann auch mit dem Waschzettel-Text zufriedengibt, wie es die meisten Medien oder Special Interes-Sites tun.
Die Stabilisierung der Blutflocki-Welt
Allerdings trägt ein Produkt wie dieses nur zur Stabilisierung einer verlogenen und verbogenen Weltsicht bei. Einer Weltsicht, die die Blutflockis brauchen um weiterhin Publikum zu haben. Ein Publikum, das sich auch die anderen Sachbücher der edition a (Schwerpunkt, Zitat "belletristisch erzählte Wirklichkeit") interessiert. Ein Publikum, das sich in einem Kulturverständnis von Novomatic (Türsteher mit deutlichem Sportwettenhütten-Flair, entsprechende Gesamt-Atmosphäre im Foyer und im Saal). Ein Publikum, das sich über die Anwesenheit von Seitenblicke-Prominenz definiert.
Dass sich die Weißbeschuhten in dieser intellektuellen Halbwelt gut eingerichtet haben, ist legitim und auch niemandem zum Vorwurf zu machen. Ich will dann aber nur das Geraunze über die Schattenseiten der eigenen Existenz, das mir dann am Rande immer gebeichtet wird, nicht hören müssen. Und ich will das Wegwischen der Verantwortung, die der publizistische Bereich tatsächlich hat, und die mit Hinweisen wie "Is ja nur Unterhaltung!" erfolgt, nicht schulterklopfend gutheißen müssen. Das machen ohnehin publictysüchtige Verleger, Anwälte und andere vorgeblich seriöse Menschen, die ich seit dem gestrigen Abend leider nie wieder ernstnehmen kann, in ausreichendem Maße.