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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

21. 9. 2009 - 18:48

1992 returning

Die Rezession und die rechten Schläger sind wieder da, und Tjinder Singhs selbstgemachte Gegenwelt auch - die eigenartige Synchronität der Rückkehr von Cornershop

Ich hatte Tjinder zwischendurch gesehen, ein oder zwei Mal, aber unser letztes Treffen muss auch schon wieder Jahre her gewesen sein. Er ist nicht die Sorte Londoner (via Wolverhampton und Leicester), der gern oder oft sein Viertel verlässt. Früher einmal haben wir nicht weit von einander entfernt gewohnt und uns somit fast ständig gesehen. Aber das ist wirklich schon ewig her, da hatten wir noch nicht einmal äh... Handys.

Stoke Newington ist eine im Zusammenspiel ihrer Communities durchaus aufgeschlossene - in ihrem von Imam und Rabbi offensiv betriebenen jüdisch-arabischen Dialog eigentlich sogar richtig erstaunliche - Enklave. Außerdem gibt es da einen auf jungalternative Eltern spezialisierten Einzelhandel und ein paar brauchbare Lokale. Aber wer nicht dort wohnt, hat wenig Gründe hinzufahren.

Mein Grund war letzte Woche eben Tjinder Singh. Weil seine Band Cornershop nach neun Jahren endlich ein neues Album herausgebracht hat. Das meiste auf "Judy Sucks A Lemon For Breakfast" klingt so, als hätte es genauso gut in den Sessions zu ihrem letzten Album "Handcream For A Generation" entstehen können, aber in diesem Fall ist da nichts Verwerfliches dran. Ist ja nicht so, als ob die Welt seither in einer Mischung aus Boogie Funk und Sitar-Klängen erstickt wäre.

Ample Play

Trotzdem war es erstaunlich zu sehen, wie wenig sich seit damals an Tjinder verändert hat. Sein Nadelstreifsakko ist immer noch dasselbe, genauso wie die schwarzen Sta-Prests, sein Gesicht unverändert bis auf die paar einzelnen weißen Härchen in den dichten Koteletten.

Wir kamen bald ins Reden über diese eigenartige Synchronität: Das, was uns an 2009 so ähnlich vorkommt wie damals 1992, als Cornershop zum ersten Mal auftauchten. Damals machten sie noch einen besoffenen, psychedelischen Wall of Sound, man sollte es kaum glauben. Aber in ihrer Musik, die bei weitem nicht so inkompetent klang, wie die britische Presse nie zu behaupten müde wird, steckte vor allem ein leidenschaftlicher autodestruktiver Zorn, der den Shoegazers der Zeit abzugehen schien.

The Roll-off Characteristics...

Es war Großbritanniens letzte große Rezession, das Land fühlte sich gedemütigt, aggressiv, etwas jämmerlich und kalt an. Und Bands waren Rettungsboote. Genau wie der ganz ferne, utopische Gedanke, dass irgendwann einmal beim nächsten Mal, wenn die Leute dann wirklich Labour wählen würden, vielleicht alles anders werden würde.

Beide dieser Strohhalme gibt es jetzt nicht mehr zum Festhalten. Die Bands, so viel besser sie auch objektiv klingen mögen als damals, sind entweder rechtzeitig auf einen anderen Planeten geflüchtet oder hoffnungslose Selbstausbeuter oder ebenso hoffnungslose Narzisse, oder einfach nur pragmatische Hobbyisten, aber sicher keine glaubhafte Verheißung mehr (oder spricht da nur mein Alter?). Und an die Konservativen, die nächstes Jahr die Macht übernehmen werden, glauben nicht einmal ihre eigenen Omas.

Was es dafür heute so wie damals wieder gibt, ist die Mobilisierung der rechten Schläger, die sich neuerdings English Defence League nennen und vom in der Krise wieder aufflammenden Jingoismus profitieren.

Tjinder sieht all diese Parallelen, und er sieht seine Musik immer noch als Gegenentwurf. Aber er ist nicht mehr der junge Störenfried, der er einmal war. Der aus Protest gegen Morrisseys vorgeblichen Flirt mit nationalistischem Gedankengut dessen Poster vor der EMI-Zentrale verbrannte.

...of history repeating?

Im Nachhinein betrachtet lesen sich Morrisseys Texte anders, als aufmerksamer Kommentar, nicht als Aufwiegelung, aber es spielt wenig Rolle, ob Cornershop damals recht hatten oder nicht. Was zählt, ist dass niemand heute was damit anzufangen wüsste, wenn eine unbekannte Band so ein Zeichen setzen würde. Weil weder der Band noch dem zeitgenössischen Gegenstück zu Morrissey irgendeine gesellschaftliche Bedeutung beigemessen würde. Während die EMI irgendeinem Investment-Banker gehört, von dem ohnehin niemand ein politisches Gewissen erwarten dürfte.

"Judy Sucks A Lemon For Breakfast" ist ein Album, das darüber Bescheid weiß und sich in eine Zelebrierung flüchtet. Des Groove, der Soul School, der niedergelegten Werkzeuge, des 11er Busses, der Funken, die sprühen, wenn Jojo eine Platte ins Handschuhfach schiebt, und natürlich des Boogie - so wie einst der von Tjinder so verehrte Marc Bolan vulgo T. Rex im Long Hot Summer vor der Ankunft des Punk.

Manchmal ist das euphorisierend, manchmal ist der Seventies-Rock-Gestus ein bisschen gar dick aufgetragen, und gegen Ende geht der süßliche Gospelchor eindeutig zu weit, aber es gibt nach wie vor niemand, der so überzeugend wie Tjinder an zwei, wenn's hoch kommt drei Akkorde kryptische Botschaften flechten kann, die so unwiderstehlich positiv klingen. Gerade weil seine eigene, in sich selbst vertiefte Persönlichkeit so weit von dieser Leichtigkeit entfernt ist, die er da projiziert.

Ich bin nicht immer mit allem einverstanden was Tjinder sagt. “War ain’t nothing but that technical plip plop”, die mittlerweile recht vieldiskutierte Zeile aus “The Roll-Off Characteristics of History in the Making” ging als zynische Beobachtung der Shock & Awe-Phase des Irak-Kriegs durch, reicht aber jetzt, wo langsam die Schandtaten der Boys da draußen bekannt werden, auch nicht mehr aus.

Aber das instinktive Gemeinschaftsgefühl in seinen Songs wirft trotzdem einen Sonnenstrahl auf das in Richtung des nächsten 1992 oder 1979 (mehr dazu hier demnächst) rutschende Land. Und das kann so eine schlechte Sache nicht sein.

Wie er so schön trocken sagt: "I'm a wog in a rock band, and there ain't many of them."

Die Songs von “Judy Sucks a Lemon for Breakfast” und mein Interview mit Tjinder Singh in einem Straßencafé in Stoke Newington sind am Montag, 21. September, ab 22 Uhr in FM4 Heartbeat zu hören.

PS: Ich weiß, ich hätte ein Foto machen sollen, aber ich hab wieder einmal nicht daran gedacht.