Erstellt am: 20. 9. 2009 - 23:49 Uhr
Journal '09: 20.9.
Man wird wieder allenthalben davon sprechen, morgen, dass die heutige Landtagswahl von Vorarlberg keine überregionale Bedeutung habe - weil lokale Themen vorherrschend waren und weil das kleine Bundesland eine zu spezifische Struktur hätte.
Ich bin da nicht so sicher.
Eher im Gegenteil.
Ich denke, dass die Vberg-Wahl vieles, was davor nicht so genau zu sehen war, geschärft hat.
Punkt 1: Politik ohne affirmativen Charakter hat keine Chance mehr. Wer nur reagiert, ist tot.
Punkt 2: Die Jungen sind nicht schuld, sie sind aber auch nicht nicht schuld.
Punkt 3: Die Unterschiede zwischen Land und Kleinstadt sind verschwunden.
Klar, das für Restösterreich in jeder Hinsicht wenig gut verständliche kleine Land hinter dem Alberg gilt als nicht repräsentativ, auch weil man sich mit den komischen Alemannen nicht wirklich auskennen mag - ich halte die aktuelle Struktur Vorarlbergs aber durchaus für eine Preview zu dem, was in 15, 20 Jahren für ganz Österreich gelten könnte.
Ein Blick hinter den Berg...
Dazu muss man sich das Russland ein bisschen näher anschauen.
Vorarlberg ist vergleichsweise reich, man ist vergleichsweise gut ausgebildet und sieht recht genau, was etwa in der nahen Schweiz abgeht. Und man hat den Umstieg, der vielen strukturschwachen Gebieten des Landes (Kärnten uä) noch bevorsteht, schon hinter sich: das Bewusstsein für das Laptop&Lederhosen-Modell der nördlichen Nachbarn.
In Vorarlberg sind wehrhafte Biobauern, im benachbarzen Ausland Beschäftigte oder Kulturschaffende keine Freaks, sondern Normalität. Die Vorarlberger Jugend fährt nach Zürich, St.Gallen, Ludwigshafen oder München, ohne dabei etwas besonders zu finden. Man hat keine Angst vor den Nachbarn und eine aufgrund der sprachlichen Minderheit sehr spezielles Heimatgefühl.
Die Denkmuster sind also andere.
Dazu kommt, dass die in Rest-Österreich demografisch ultraschwach ausgeprägte Gruppe der 20-29jährigen hier größer ist. Und die multi-kleinstädtische Struktur des Rheintals, wo die Grenze der einen Kommune schon das Entree in die nächste ist, hat das Schluchtenscheißertum, das in anderen Gegenden vorherrscht, weit hinter sich gelassen.
Man weiß hier in Vorarlberg also recht genau was man tut. Man kennt sich aus mit Populisten (weil der Schweizer Blocherismus sich herumgesprochen hat), weiß als Grenzregion wie wichtig übernationale Zusammenarbeit ist und hat die womöglich längste und seriöseste Erfahrung mit Zuwanderung.
... zeigt wie es bald auch davor ausschaun wird.
Wichtig, um seinen Vertretungsanspruch zu manifestieren sind, das zeigte der Wahlkampf, das zeigt das Ergebnis, zwei Dinge: ein zwar diffuses, aber stark nach außen getragenes Heimatgefühl und der Mut zum Affirmativen.
Die Heimat des Kleinstadtbürgertums ist die ÖVP.
Und das Kleinstadtbürgertum stellt - außerhalb Wiens - eine eklatante Mehrheit. Ihr ist nur mit drastischen Ansagen zu begegnen, mit bemerkbaren Absetzbewegungen einer klaren Fundamental-Opposition, die die hoffnungslos Unzufriedenen sammelt. Das sind nicht wie sonst bei der FPÖ mehrheitlich die Modernisierungs-Verlierer, sondern eher die ungeduldigen Aufsteiger und die jungen Nachdränger, also durchaus die Kinder eines reichen und zufriedenen Kleinstadtbürgertums.
Das bestätigt am Montag Politologe Peter Hajek ua mit dem schönen Satz: "Es gibt hier kein sehr ausgeprägtes Gefühl, was geht und was nicht geht in der politischen Debatte."
Die, und das ist eine der überschätzten Erkenntnisse dieser Wahl, sind auch mit ganz klar jenseits des gesellschaftlichen Konsens ansetzenden Sprüchen (wie im Falle Vorarlbergs mit dem offenen Antisemitismus) abzuschrecken. Das hat viele Gründe, hauptsächlich den, dass öffentliche Empörung jenen, die halbprivat auch dauernd andere als Untermenschen abtun, nicht abgenommen werden kann.
Das Affirmations-Prinzip...
Die, die nur reagieren, haben wenig Chancen: die Grünen, die sich aufgrund eines Polarisierungs-Wahlkampfes wesentlich mehr versprochen haben, blieben auf ihren 10% kleben. Klar, wer nicht affirmativ arbeitet, sondern den von anderen (in dem Fall: der FPÖ) gesetzten Themen hinterherhechelt, kann noch so brav und ehrenhaft sein: er wird nur als schwache Figur wahrgenommen.
Schwach wie die Neffen an der Staatsspitze, denen man schon an der Körpersprache ansieht, dass nicht sie es sind, die das Heft in der Hand haben, sondern die Onkel, der Hans, der Erwin und der Christian.
Stark, weil affirmativ, sind der lokale FPÖ-Chef, der es den Juden reinsagt (und vom Strache geechot wird) und der Landeshauptmann, der dem Egger draufhin den Stuhl vor die Tür setzt. Der eine bekommt ein Viertel der Stimmen, der andere die Hälfte - der Rest den Rest. Hat die SPÖ auch kandidiert? Ja, sie hat. Und bekommt grade noch 10,06% der Stimmen. Und zwar nicht, weil sie sich seit Jahrzehnten lächerlich macht in Vorarlberg, sondern weil sie das Prinzip der Affirmation nicht einmal noch buchstabieren kann.
Der Rest stürzt brutal ab: das außerhalb Kärntens immer noch inexistente BZÖ und auch die Gsiberger, ein Haufen von engagierten Freaks, die auch türkischstämmige Kandidaten in ihren Reihen hatten.
Die haben auf lokaler Ebene, mit konkreten Bürgerinitiativen alle Chancen, wenn es aber drum geht in einem größeren Rahmen zu wirken, dann zählen andere Dinge.
Und das kleine Vorarlberg ist nach seinem (auch nach meinem) Selbstverständnis eine größere Einheit.
... lässt die Reaktiven auflaufen.
Letztlich wird das, was heute in Voralberg passiert ist, in ein paar Jahren überall greifen.
Weil die Kleinstädte wichtiger werden und die letzte Kluft (die zur Einöde) schließen. Vberg zeigts vor: die Ergebnisse sind letztlich überall fast gleich, egal ob Bregenzerwald oder Bregenz, Lustenau oder Ludesch.
Dass sich das Wahlverhalten der Jungen (U30) vom Rest nicht ernsthaft unterscheidet, bestätigt am Montag Politologe Peter Hajek in einer ausführlicheren Anaylse.
Und: es ist egal, wie die Jungen abstimmen - die schwimmen mit denen mit, die sich klar positionieren; ganz egal, ob sie einen gesellschaftlichen Konsens verletzen oder nicht. Es geht nur um einfache Muster von Zustimmung und Ablehnung; nicht um Lösungen.
Es ist also auch egal, wer ideologisch wo steht: sobald die diffuse Heimatbegrifflichkeit irgendwie erfüllt wird, passt es. Dabei ist es egal, ob das ein Eishackler oder ein Stelzenfresser oder ein Herrenbauer repräsentiert. Wichtig ist die permanente Affirmation, jenseits von Ideologie oder Inhalt, die Beteuerung dass man's kann (egal was).
Im übrigen meine ich das gar nicht zynisch. Denn auch "Heimat" oder "Sicherheit" läßt sich anders definieren. Was andere zb mit dem Gutmenschen geschafft haben, das kann man damit auch: Umschreiben der Begrifflichkeiten.
Das heißt aber auch, dass letztlich jeder und jede politische Gruppierung eine Chance hat. Denn das, was der VP in Vberg gelingt, schaffen andere auch (nicht im erbhöflichen Umfang von 50%, aber immerhin). Man muss sich halt den vorherrschenden Mainstream-Bedürfnissen unterordnen: Heimat und Sicherheit. Und das mit klaren bestätigenden Botschaften klarmachen.
Wer in einem künftigen Österreich andere Themen durchbringen will, ist gut beraten sich da einzuordnen.