Erstellt am: 19. 9. 2009 - 21:15 Uhr
Journal '09: 19.9.
Wer kann das hier sein?

al-kaida
Ein Maturant im wenig oft getragenen Anzug? Ein Jung-Nationalkicker in der Ausgeh-Uniform für die Gala seines Vereins? Ein Teilnehmer eines "Bewerben. aber richtig!"-Seminars? Ein Talmud-Schüler? Jemand der für den nächsten David-Lynch-Film vorspricht, oder doch eher jemand, der wie die Parodie auf einen drittklassigen Barpianisten aussehen will?
Alles falsch.
Es handelt sich um Bekkay Harrach, 32, lange in Bonn ansässiger Deutsch-Marokkaner, der mittlerweile zum, wenn man so will, Abteilungsleiter Deutschland bei der Al-Kaida aufgestiegen ist und - rechtzeitig zur Bundestags-Wahl nächste Woche - in einem brandneues Drohvideo fordert und auch warnt.
Altbekanntes, allerdings in einem neuen Stil.
Al-Kaida kann seine Botschaften recht problemlos via Youtube auf den Informationsmarkt werfen, und Harrach ist ihr deutschsprachiger Korrespondent.
Was in diesem Video alles gesagt wird, was es von bisherigen, den deutschsprachigen Raum betreffenden anderen Videos (in denen Harrach bislang nur vermummt zu sehen war) unterscheidet, wird aktuell in Deutschland breit diskutiert und ordentlich analysiert/hinterfragt.
Ein Sproß der Harrachs?
Mir sind nur ein paar über die Fakten hinausgehende Dinge aufgefallen.
Zum einen, dass die Familie Harrach, die auch das gleichnamige Wiener Palais mit ihrem Namen versorgt hat, sich jetzt vielleicht gerade wundert.
Zum anderen, dass zynisches Abtun, wie das zb hier passiert, ebenso gefährlich ist wie Panik.
Und zum dritten natürlich die unglaublich vielsagende, und auch ganz neue Optik des Propagando-Tools.
Denn das ist, klarerweise, ein Werbemittel in einer Schlacht der Bilder und Images, deren Wirkung klar kalkuliert ist.
Wieso also sieht der Bursche dann aus wie ein Cherub, den man in ein Symbol der glatten Hochherzigkeit, in einen ubertrieben glänzenden Anzug gesteckt hat? Warum die ausgestellte Lockenpracht, die Konzentration auf das eindrückliche Gesicht Harrachs?
Bislang fiel Al-Kaida, fiel jegliche Drohvideo-Optik vor allem durch zwei Konstanten auf: zum einen war man anonym, meist vermummt, zum zweiten war die Präsentation kriegerisch und waffenstarrend, spielte also mit dem Kitzel der Gewalt.
Eine neue Marketing-Strategie?
Das neue Format könnte tatsächlich klassische Marketing-Gründe haben. Al-Kaida möchte den (öden und alten, abgeschlafften und von zuviel Dauerlächeln bereits zu clownesken Fratzen verzerrten) abgegriffenen deutschen Politikergesichtern bewußt etwas dagegensetzen: einen engelhaft wirkenden jungen Mann, einen, der von jedem Deutschen sofort in eine Bibelfilm-Besetzung reingenommen werden würde.
Noch dazu sind seine Botschaften (so denkt Al-Kaida) vergleichsweise sanft: Harrach appelliert an das Gute in den Menschen, die doch ihre Regierung dazu drängen möge ihre Afghanistan-Präsenz zu beenden. Damit stößt man (nach dem jüngsten fatalen Luftangriff auf afghanische Zivilisten und dem jüngsten italienischem Beispiel) natürlich in die Mitte einer schmerzhaften Debatte, die Deutschland ohnehin seit Jahren spaltet.
Die brave Anzug-Optik, die vergleichsweise inhaltliche Sanftheit von Harrach, seine Verweise auf die Kinder, auch die der Nicht-Islamisten, denen nichts passieren soll, die sichere Stadt Kiel und andere, höchst befremdliche Details mehr, sind so gesetzt, dass sie hängenbleiben sollen.
Und zwar nicht bei der deutschen Mehrheit der Zivilgesellschaft, sondern bei den ohnehin gern zur Seite geschobenen migrantischen Gruppen. Denen signalisiert der Cherub: ich mein's gut, letztlich eh mit allen, die auch gute Menschen sind. Und, seht her, ich zeige mich, ich bin ganz offen.
Die zweite Welle der Rekrutierung
Das ist ein Rekrutierungs-Video der neuen Sorte.
Es ist ein Rekrutierungs-Video der zweiten Welle.
Es geht nicht mehr (nur) darum junge Islamisten aus der Gesellschaft rauszunehmen, in ein pakistanisches Ausbildungslager zu bringen und zu Gotteskriegern auszubilden, so wie das früher mit den Tschinbum-Propaganda-Videos der Al-Kaida der Fall war.
Es geht jetzt darum eine Stimmung zu schaffen, die Sympathie und Unterstützung bringt. Am besten noch mit Identifikations-Potential. Deshalb der Maturanten-Auftritt von Harrach: er wendet sich an die Braven und Stillen, also die Mehrheit, auch die Mehrheit in den migrantischen Seiten-Gesellschaften.
Denn auch dort sind es nicht die paar Radaubrüder und Populisten, die die tatsächliche Stimmung prägen, sondern die vielen braven Mitläufer.
Für die ist das neue Video mit seiner neuen Stoßrichtung das perfekte Rechtfertigungs-Tool. Dafür muß man sich nicht mehr genieren - die peinlichen Macho-Attitüden fallen weg, und das - in unseren Ohren - schreckliche Gesäusel zwischendurch ist für islamische Ohren ganz normal.
Da fällt mir ein, dass es ja auch schon selbsternannte Abteilungsleiter Österreich gab, ein Pärchen, das vor allem dadurch bekannt wurde, dass die Frau sich weigerte ihr Gesicht öffentlich zu zeigen. Wie man sieht: Älteste Schule, völlig überholt...
Achja, Wahlen in Deutschland sind am nächsten Sonntag
und ich weiß nicht wieviele junge Deutsche, deren Eltern aus anderen Kulturkreisen kommen da auch wirklich wählen gehen werden. Und wieviele aus der großen Gruppe derer, die islamischen Glaubens sind.
Der Kampf um die hat mit diesem Video, mit diesem Auftritt, erst so richtig begonnen.