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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

17. 9. 2009 - 15:04

Journal '09: 17.9.

Säcke schlagen, egal wie alt sie sind. Ein Einspruch von Klaus Nüchtern, den ich unterstützen muss.

Es hat damit angefangen, dass im SZ-Magazin vom 14. August nämliche Geschichte erschien, worin eine reflektierte 26jährige Fallen, Fehler und Problemzonen der eigenen Altersgruppe aufzeigte, aufwühlende und diskutable.

Ich hab das im Urlaub gelesen und mich nach meiner Rückkunft über die Null-Reaktion hierzulande gewundert.
Dass keiner liest, dass wenige denken, dass Diskutieren und Replizieren keine Grundtugenden sind, bin ich gewohnt - also hab ich mehr als zwei Wochen später, am 31.8., die erste Erinnerung, die ich ans Thema bekommen habe (es ging um die entsprechende Demoskopie der 20-29jährigen) zum Anlass genommen die 8 Thesen der Meredith Haaf zu thematisieren.

Das nicht unglaublich an- oder untergriffig - ich gehöre nämlich deutlich und sehr öffentlich zu jenen, die nicht in den Chorusdas bejammerte jugendliche Wahlverhaltens einstimmen, sondern die Schuld da deutlich bei den Altvorderen sehen - sondern in einem Haafs Thesen entsprechenden Maß.

Das hat ein paar Tage später Rafael Reisenhofer zu einer Replik veranlasst Robert Rotifer zu einer Begegnungen mit der vorgeblich weltverödenden Generation geführt und Arthur Einöder zu einer Biedermeier-Posse veranlasst.

Mehr als eine Woche später,

fast ein Monat nach der originalen SZ-Geschichte nahm sich dann Falter-Redakteurin Ingrid Brodnig ein Herz und setzte ein Manifest dagegen: Rebelliert halt selbst, ihr alten Säcke! heißt es und schießt, wie der TItel schon sagt, zurück.

Nicht mutig genug, sagte daraufhin Tom Schaffer in Über meine und andere Generationen sprechen.

Und meine Anmerkungen über die Schwachpunkte der Gegenrede Brodnigs sind im Journal '09: 9.9. in fünf kurzen Punkten angeführt.

Auf die wiederum ging Rafael Buchegger in Talking About My Generation: Das hässliche Entlein ein, wo die Reaktion auf Haaf als zu weinerlich klassifiziert wird.

Mir ist dann, an ganz anderer Stelle, anhand einer Tugend-Diskussion des Philosophischen Quartetts ein Teil-Problem der Debatte (wo Werte als Prügel benützt werden) klarer geworden - was ich am Montag in einem weiteren Journal '09: 14.9. Tugend. Und Wehrhaftigkeit thematisiert habe.

Pläydoyers diverster Art

Da gab's dann am Rande ein bisserl Aufgeregtheit, weil ich mich getraut habe die Generationen-Frage (die sich bei FM4 in aller Offenheit - siehe die Beiträge von Arthur oder Rafael - stellt, beim Falter aber seltsamerweise nicht) auch zu personalisieren.
In diesem Zusammenhang hat Armin Thurnher, als Beleg seiner Position einen "Falter"-Leitartikel von Nr. 36/08 vom mitgeschickt, ich hab ihn hier in einem Anhang verlinkt, weil er online nicht verfügbar ist.

Das war eine Reaktion auf eine damals von der "Zeit" aufgebrachte, unendlich dümmlich inszenierte Diskussion, (auf die Nüchtern weiter unten auch Bezuig nehmen wird), die klar zeigte, wie man's nicht macht, bzw. wie es die altvorderen Medien, die sich in einer allgemeinen Verteidigungshaltung verlieren, halt so machen.

Thurnhers Pläydoyer ist von stupender Richtigkeit, das allerdings keine Vaterfigur von Reibungs/Reizpunkten freizuhalten vermag, weil derlei Konflikt gern nicht auf der Meinungs-Ebene, sondern auf der informellen Ebene der Strukturen abläuft. Wenn man eine interne Diskussion nicht zulässt.

Und schlussendlich hat Klaus Nüchtern im aktuellen Falter eine Abwägung verfasst, die im Zusammenhang dieser Geschichten/Analysen/Repliken/Polemiken-Sammlung nicht fehlen darf. Sie ist hier in Brodnigs Blog online zu lesen.

Die Site macht aber gern Mucken - deshalb hier der Volltext:

Ehret das Alter, aber schlagt die Säcke!

"Falter" Nr. 38/09 vom 16.09.2009
Seite: 6
Ressort: Falter & Meinung
Von: Replik: Klaus Nüchtern
Ehret das Alter, aber schlagt die Säcke!

Jungsein ist schwer, aber Altern ist auch kein Vergnügen. Ein Plädoyer für Abrüstung im Generationenkonflikt

Noch nie war die Jugend so daneben wie heute! Dieser Befund wird zurzeit auffallend häufig ausgestellt. Die Presse, einsamer Stachel im Fleisch des gerontokratischen Establishments, beklagte erst unlängst die Duldungsstarre einer Generation, die widerstandslos dabei zusehe, wie ihre Lebenschancen von einer Heerschar lebenslustiger Frühpensionisten verjubelt würden.

Als nun auch noch FM4-Redakteur Martin Blumenau in seinem Webjournal die acht Thesen referierte, in denen Meredith „Alphamädchen“ Haaf im SZ-Magazin die eigene Generation der 25-Jährigen als geschwätzig, unpolitisch, ängstlich und mimosenhaft kritisierte, sprang Ingrid Brodnig der oberste Knopf vom Polo-Shirt. Vergangene Woche verwehrte sie sich an dieser Stelle gegen die Zumutung, ihre Altersgruppe einerseits als unpolitisch und phlegmatisch zu denunzieren, ihr andererseits aber die Lösung sämtlicher gesellschaftlicher Probleme zu delegieren.

Sind die Fronten nun geklärt? Auf die Gefahr hin, als altersmilde (= freundlicher alter Sack) abgestempelt zu werden, möchte ich hier ein paar Abrüstungsvorschläge machen. Es verdient zum Beispiel erwähnt zu werden, dass Blumenau Haafs Thesen zwar zustimmend, aber auch ohne die weitverbreitete frühsenile Selbstgefälligkeit jener vortrug, die auf einmal immer schon ganz wilde Hunde gewesen sein wollen.

Kann man, trotzdem bestehe ich drauf. Ich denke nämlich, dass, wenn das nicht das Selbstbild der 20-29jährigen ist, etwas ganz Grundlegendes nicht stimmt.

Wenn man Blumenau etwas vorwerfen kann, dann ist es noch am ehesten die haltlose Idealisierung der Twentysomethings zur „Kernschicht der Innovation“. Dass sich bei diesen „Wagemut schon mit Lebenserfahrung kreuzen kann“, soll nicht bestritten werden. Es ist dies jedoch weniger eine Frage des Alters als der gesellschaftlichen und ökonomischen Umstände, unter denen Generationen sich formieren. Und die sind, wie Haaf zu Recht feststellt, für viele Junge von der Angst bestimmt, „keinen Platz in dieser Welt zu finden“.

Unlängst habe ich in einem Zug das Gespräch zweier junger Frauen belauscht, die kurz vor bzw. nach der Matura standen. Die Ältere der beiden, die gerne Medizin studieren würde, hatte gerade irgendeine Auszeit in Neuseeland hinter sich (vermutlich verbunden mit einem Eintrag im Lebenslauf, der gut aussieht, aber auf dem Arbeitsmarkt auch nichts bringt) und gab der Jüngeren kundige Hinweise darauf, für welche Praktika sie sich schon frühzeitig anmelden müsse. Einige davon hatte sie schon absolviert – unbezahlt, versteht sich –, und sollte es mit der Aufnahme an eine der zahlreichen Unis, für die sie sich beworben hatte, in absehbarer Zeit nichts werden, würde sie eben weitere Praktika sammeln.

Ich muss leider gestehen, dass meine Erstreaktion so etwas wie Verachtung war für ein dermaßen entwickeltes Ausmaß vermutlich auch noch leerlaufender Lebenstüchtigkeit. Dabei war der Umstand, dass ich und andere privilegierte Angehörige meiner Generation es ganz anders erlebt haben, gewiss nicht unser Verdienst. Für mich war die Uni noch ein Biotop, in dem ich mich – weitgehend suspendiert von den Nützlichkeitsimperativen einer durchkapitalisierten Gesellschaft – mit Ästhetik befassen und um Erkenntnis ringen würde. Ich hatte ziemlich viel Zeit, mich abseits jeglicher Berufspragmatik umzuschauen, mich in der Hochschulpolitik zu engagieren und den Herrgott hin und wieder einen guten Mann sein zu lassen. Aus der Sicht heutiger Twentysomethings muss das als paradiesisch (oder völlig weltfremd) erscheinen.

Gewiss, der Generationenvertrag (den noch nie irgendjemand unterzeichnet hat) ist argen Belastungen ausgesetzt; und gewiss ist der Wohlfahrtsstaat, wie der Sozialforscher Bernd Marin unlängst anmerkte, nicht dazu da, von seinen letzten Nutznießern mit ins Grab genommen zu werden. Dennoch sehe ich keinen Grund für eine Martialisierung des Generationenkonflikts, erst recht nicht, wenn er mit Ressentiments und popkultureller Distinktionshuberei einhergeht, die tatsächliche Interessenkonflikte und Klassengegensätze eher verschleiern als erklären.

Das Generationenspiel muss in Gang gehalten werden, meint der Sozialwissenschaftler Heinz Bude. Soll heißen: Menschen müssen lernen, altersadäquate Rollen und Aufgaben zu übernehmen. Die fallen aber nicht vom Himmel, sondern müssen gesellschaftlich erzeugt werden. Das mit Häme bedachte Berufsjugendlichentum und die Unfähigkeit zu altern sind nur die Schattenseite einer neuen Freiheit, die mit einer gestiegenen Lebenserwartung und einem neuen Lebensabschnittsdesign einhergeht. Früher legten sich Frauen irgendwann einmal eine brettharte Dauerwelle zu und wurden hinfort einer postsexuellen Existenzform zugerechnet; heute bekommen sie in diesem Alter ihr erstes Kind.

Die Grenzen zwischen den Alterskohorten werden nicht zuletzt deswegen diffus, weil langanhaltende Kontinuitäten – hoher Wohlstand, kein Krieg – generationenübergreifend wirksam sind, was wiederum zur Dramatisierung von Lebens stil- und Mediennutzungsdifferenzen führt. Damit muss man umgehen lernen. Wie in so vielen Fällen empfiehlt es sich auch hier, locker zu bleiben und Nachsicht zu üben. Dass die 35-Jährigen ihre Freitag-Taschen abgeben müssen und Leute erst ab 60 zu Bob-Dylan-Konzerten zugelassen werden, kann ja kaum der Weisheit letzter Schluss sein. Und noch eins: Das Schlimme am alten Sack ist nicht das Alter, sondern die Sackhaftigkeit. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war der alte früher mal ein junger Sack.

Der Autor ist Leiter des Falter-Feuilletons und zehn Monate jünger als der Leadsänger der Flaming Lips.