Erstellt am: 16. 9. 2009 - 16:17 Uhr
Journal '09: 16.9.
Ich hatte schon länger nichts mehr von Robert Misik gehört und mir war schnell klar warum, nachdem ich seine Website angesteuert hatte: der Mann hat ja neben den österreichischen Verhältnissen auch ein deutsches Standbein und deshalb beschäftigt er sich klarerweise intensiv mit den dort demnächst anstehenden Wahlen.
Einen politischen Menschen umfasst das, wenn man sich körperlich oder medial in deutschen Gefilden aufhält, eh relativ schnell und dann auch durchaus umfassend, einen auch in Deutschland medial präsenten Mann wie Misik also sowieso.
Kaum wieder daheim nach einem kurzen Berlin-Ausflug ist mein Interesse aber wieder bedenklich abgeflacht - was natürlich mit der ähnlich flachen Wahlbewegung zusammenhängt, aber trotzdem so einfach nicht geht.
Also hab ich mir gestern Besserungs-Arbeit auferlegt und mir zumindest einmal die beiden TV-Duelle angehört. Ja, angehört - ich bin grade mit Aufräumarbeiten befasst, die recht wenig an Geist bedürfen und da kam das Hören der prerecordeten Fernseh-Debatten Merkel - Steinmeier und des kleinen Dreier-Gipfels zwischen Westerwelle - Trittin - Lafontaine gerade recht.
Das "deutsche Wahl-TV-Duelle"-Experiment
Ich kann und will im Zusammenhang mit politischer Debattenkultur nämlich auf die Ablenkung durch eine (ohnehin durchwegs uninteressante) Optik getrost verzichten. Und ich liege damit, so sagt die aktuelle Rezeptionsforschung, gar nicht so daneben. Die Oberfläche, also Aufzug, Mimik, Gestik spielt eine wesenlicht geringere Rolle als man gemeinhin annimmt; vor allem bei Figuren, die man aus dutzenden Auftritten bereits kennt/zu kennen glaubt. Das hat zumindest ein Beitrag (in den ARD-Tagesthemen oder in der 3sat-Kulturzeit, weiß nimmer), der sich ganz aktuell auf die sonntägliche Kanzlerkandidaten-Debatte gestützt hat, exemplarisch erklärt.
Dass die nichts gekonnt hatte, wusste ich schon: ich bin (nach dem FM4-Zimmerservice) direkt in eine After-Show-Diskussion reingstolpert, in der der alte Peymann sich mürrisch, aber glaubhaft über die hohle Leere der beiden Protagonisten ausgelassen hatte - dazu kam eine allgemein konstatierte Lustlosigkeit sich thematisch wirklich zu positionieren.
Der 1. Teil des "TV-Ding rennt im Hintergrund als Tonspur"-Experiments schlug dann also auch fehl. Ich war nach gefühlten drei Minuten draußen aus dem schwachbrüstigen Merkel-Steinmeier-Duell und hab der Räumungsaktion mehr intellektuelle Beachtung geschenkt als sie braucht, was sich sofort im Abspulen eines Kopffilms niedergeschlagen hat.
Nach einer dreiviertel Stunde bin ich draufgekommen und hab die Aufnahme gestoppt.
Der kleine Dreiergipfel als Überraschung
Teil 2 war dann ganz anders. Die ARD hatte am Dienstag das Parteichef-Trio der Mittelmächte (FDP, Grüne, Linke) zusammengeführt und mit ihnen ein klassisches Wahl-Diskussions-Format fabriziert.
Nun sind weder Guido Westerwelle noch Jürgen Trittin noch Oskar Lafontaine unglaubliche Sympathieträger und Entertainer, von denen zu erwarten war, dass sie (wie in dieser zufälligen Versuchsanordnung) ganz ohne Hilfe der bannenden Optik einen reinen Hörer, der sich hauptsächlich mit etwas ganz anderem beschäftigt, reinziehen können.
Sie ist auch allesamt nich authentisch im Peymannschen Sinne: Westerwelles nölendes Streberorgan penetriert, Lafontaine gutsherrenmäßiges "Seen-it-all"-Patronizing nervt und Trittins ungelenker Versuch, mit einer druckvollen Stimme sowas wie gesellschaftlich erwünschte Stärke zu imitieren, ödet an.
Zudem bin ich auch im allermeisten, was da thematisch besprochen wurde, recht gar nicht daheim.
Trotzdem geschah gänzlich Überraschendes: ich habe zugehört, nämlich wirklich.
Und zwar durchgehend.
Politische Debatte - durchhörbar
Das, was mir sonst bei politische Debatten, ganz wurscht, wo, wann und mit wem, unliebgewordener Standard ist - dass ich nämlich irgendwann wegschalten oder den Ton wegnehmen muss, weil ich die Offensichtlichkeit von Lüge, Echtheits-Mangel oder Dummheit nicht ertragen kann - fiel hier komplett aus.
Drei mäßig sympathische und interessante Typen waren nämlich imstande, das was sie vorbringen wollten (grosso modo) so über die Rampe zu bringen, dass es sich nicht in Kleinlichkeiten verhedderte, nicht in purem Schlagzeilen-Populismus erstarrte und sich auch nicht in Attacken auf die anderen verirrte.
Eigentlich, dachte ich, ist das ein Highlight.
Nicht nur politisch, nicht nur medial betrachtet, sondern auch, was den differenzierten Umgang mit Themen betrifft, die sonst so übel holzschnittartig geführt werden.
Es ging da etwa um die Mindestsicherung oder um die übliche Steuerentlastungs-Geschichte, um konkrete Vorschläge, wo Geld für die Bildung herzukriegen wäre. Und da klärten drei Menschen drei unterschiedliche Positionen ohne sich dabei anzupfauchen. Einmal zitierte, ich glaube Lafontaine, einen CDU-Ost-Ministerpräsidenten, um einen sinnvollen Weg aufzuzeigen, und selbst der zu Untergriff-Halbsätzen neigende Westerwelle war imstande, andere Positionen nicht wegen ihrer Urheberschaft zu verdammen.
Auffällige Qualitätsarbeit
Allein die Tatsache, dass diese Dinge so dermaßen die Ausnahme sind, ist ein hochinteressantes Indiz. Und siehe da, die Reaktionen, die ich heute nachgelesen habe, gingen in ebensolcher (nur mäßig hinter Schnoddrigkeit versteckten) Verblüffung recht konform: egal ob in der neoliberalen FTD, der bürgerlichen FAZ, der aktionistisch linken taz oder dem rural-populistischen Stern.
Natürlich war den Dreien bewusst, dass sie sich, wie Trittin es auch offen formulierte "abheben müssen" vom Starrkrampf des Kanzler-Duells am Sonntag.
Aber dazu bedarf es einer ganzen Menge: ein paar klarer Positionen und Inhalten (hinter denen auch die Substanz steckt, die selbst gefinkelte Chefredakteursnachfrage standhält); des Willens, das so authentisch wie möglich nach außen zu tragen ohne sich in pure Floskeln zu verlieren und des Muts der Verlockung zu widerstehen sich übers Abwatschen der anderen zu definieren.
All das wurde erfüllt - nicht glorios und nur teilweise. Aber in so hohem Maße, dass es eben auffällig war.
Einfach, weil man derlei lange nicht gesehen (in meinem Fall: gehört) hatte.
Soweit, so deutsch.
Ich hab mir dann, zwangsläufig die Österreich-Frage gestellt.
Die Österreich-Frage
Dort, Bei Faymann, dem Maschek-Puppentheater im Rabenhof, kommt die Opposition im übrigen nicht vor. Mit großen Recht.
lautet: wie würde das bei uns ausschauen?
Zuerst das Kanzler-Duell Faymann - Pröll, am besten direkt aus dem Rabenhof.
Und dann das Dreier-Ding Strache - Glawischnig - Sonstwer, der jeweilige BZÖler der Stunde halt.
Alle Kriterien, die ich oben angesprochen habe, fielen da weg. Das Spielen auf der Klaviatur der niederen Instinkte, das "Sich über den Angriff auf den Gegner" definieren, das forcierte Ausstellen mangelnder Substanz - das ist es was überbliebe.
Das hat nicht zwangsläufig etwas damit zu tun, dass die FDP halt eine klassisch-liberale Wirtschafts-Partei ist, die es bei uns historisch einfach nicht gibt (das BZÖ außerhalb Kärntens würde ja gerne, aber: gibt es ein BZÖ außerhalb Kärntens?), und auch nicht damit, dass hierzulande die Populisten eben nicht aus der Ex-DDR kommen, sondern aus den alten Alpenfestungen.
Klar ist in Deutschland die Gesamtlage eine offenere, weil ausgewogenere, während sich hierzulande erst eine Streithansl-Fraktion teilen muß, damit eine 5. Kraft entstehen kann.
Klar ist Österreichs Parteien-Landschaft einen gewichtigen Dreh rechts-reaktionärer.
Das aber ist nicht der Punkt.
Die Chance für die Mindergeschätzten
Es gibt in allen Fraktionen, auch in denen, denen man's nicht zutraut, Leute, die das könnerten.
Wenn sie wüsserten, wie's geht.
Die, die über die Grenzen schauen, wissen es auch, die, die im Land bleiben, dann eben nicht. Und damit meine ich nicht nur die üblichen Verdächtigen, sondern auch die sträflich schwach an den deutschen Grünen orientieren österreichischen Grünen.
Was fehlt, ist also gar nicht so sehr das prinzipielle Können. Denn zumindest für eine Mickymaus-Variante des frisch gelobten Dreier-Gipfels wären bestimmte Personal-Konstallationen durchaus gut.
Es geht vielmehr um den Willen zu einer Änderung der Kultur.
Die käme nämlich durchaus an - bei den Medien ebenso wie den Menschen (sofern man beides nicht über die Leserbriefseiten der Kronen Zeitung definiert; aber auch das ist nur eine Frage des Willens); einfach, weil sowohl das Fadgasige als auch das Substanzlos-Polarisierende nichts ist, nicht bedeutet und nichts kann. Und jeder das weiß, und jeder genau dem die Schuld an der eigenen Minderschätzung der politischen Kaste gibt.
Es würde also an ihr, der nämlichen Kaste liegen, sich's zu verbessern.
Wer hat die Definitionsmacht?
Nun mag man anmerken, dass sich etwa die FPÖ bewusst völlig jenseits jeglichen gesellschaftlichen Konsens stellt, egal ob das jetzt Vorarlberger Antisemitismus oder andere Altnazi-Verstrickungen wie den unsäglichen Deserteur-Sager Straches betrifft.
Ja, tut sie.
Nur: ist es für das Fortkommen Österreichs wichtig, sich ununterbrochen von derlei Instrumentalisierungs-Schmähs aufhalten zu lassen, anstatt die relevanten Themen auch als relevant auszuschildern und mit so viel nachvollziehbarer Substanz zu unterfüttern, dass auch der weniger Schlaue gar nicht drum herumkommt sie zu diskutieren zu müssen?
Ist es nicht.
Dafür müsste man (die politische Kaste) halt ihre Hauptbeschäftigung, das Stricken von strategischen Verhinderungen, das Häkeln von persönlichen Befindlichkeiten und Eitelkeiten und das Weben von persönlichem Fortkommenshilfen hintanstellen.
Zumindest solange, bis sich die österreichische Lage so normalisiert, so europäisiert hat, dass man von einer Kultur sprechen kann.
Wer die Definitionsmacht verloren hat, der kann soviel strampeln wie er will. Und dann eben nur neidvoll rüberschauen, zu den Deutschen, wo sie von der Dreier-Runde exemplarisch vorgeführt wurde. Im Bewusstsein, dass ein solches Level hierzulande aufgrund reiner Feigheit vor einem Bekenntnis zur Substanz nicht möglich ist.