Erstellt am: 20. 9. 2009 - 14:57 Uhr
Bollywood (realistic!)
In Panaji stand uns ja schon der Sinn nach Bollywood, weil der Monsun nicht aufhörte, genau das zu machen, wofür er einzig und alleine bekannt ist, nämlich alles nass. Allerdings landeten wir in einem SuperMegaPlexx der übelsten Sorte. Aber nun waren wir eben schon mal da.
Am Eingang zwangen uns uniformierte Inder, anscheinend spontan als verboten Definiertes abzugeben, zum Beispiel Kaugummis, während Zigaretten gebilligt wurden. Angeboten wurden größtenteils Filme, in die man ansonsten bestenfalls Sonntag Nachmittags restalkoholisiert für zehn Minuten hineinzappt. Wir entschieden uns für einen Disney-Film, der von Aliens handelte. Um die Aufführung reinen Gewissens genießen zu dürfen, musste man zwischen Reklame und Film aufstehen und sich zum Anblick einer verpixelten Nationalflagge die dazugehörige Hymne anhören.
Danach las ein Taxifahrer zwei attraktive Jugendliche auf, die eigentlich extraterrestrischer Provenienz waren und im Keller einer Holzhütte irgendwas holen mussten, um die Erde samt eigenem Arsch zu retten, was aber sowohl Amerika als auch irgendein gepanzerter Bösewicht zu unterbinden trachteten, wobei letzterer nicht näher erläutert wurde, der war halt einfach da, weil Menschen alleine für die adoleszenten Aliens keine hinreichende Bedrohung dargestellt hätten. Die Qualität der Dialoge und die Logik der Handlung deuteten darauf hin, dass man während des Autorenstreiks das Drehbuch einfach von zwei nicht muttersprachlichen Buchhaltern hatte schreiben lassen, die obendrein auch gleich noch die Spezialeffekte programmieren durften.
Mitten im Satz brach der Film für ungefähr eine halbe Minute ab, um die Gäste zur Snackbar zu locken.
Sollte das die einzige cineastische Praxis bleiben?
Und schon wird diese Frage in rherorischer Maskerade verneint:
Nach dem Verzehr eines Cordon Bleus (sic[k])!) in einer augenscheinlich angesagten Wirtschaft in Mumbai plagte es nicht nur mich nach einem Schuss Blausäure, gewürzt mit Teer und Nikotin. Da kam ein Männchen des Weges und erkundigte sich, ob wir Interesse hätten, in einem Bollywood-Film mitzuwirken.
Am nächsten Morgen stiegen wir im smoggetrübten Dämmerlicht in einen Bus, wo eine Handvoll Backpacker drinnen saß. Backpacker zu treffen, ist schon in der freien Geographie belastend, weil sie, so angestrengt man auch zur Seite blickt, immer daran interessiert sind, aus which country man denn komme und wie lang man im Land sei und was man noch zu sehen begehre und war man studiere, wobei sie bei der Nichtbeantwortung, weil eigentlichen Verneinung der Frage nach dem akademischen Treiben immer recht verdutzt sind. Titellose Menschen, die einfach nur arbeiten und trotzdem weltoffen genug sind, das eigene Bundesland zu verlassen, übersteigen den schmalen Horizont der meisten 'traveller', den sie durch monatelanges Reisen zu erweitern vorgeben.
Nach zwei Stunden Fahrt durch die… Moment, was steht da im Synonyme-Duden?.... Elendsviertel des Molochs bog der Bus auf eine recht ansehnlich asphaltierte Serpentine ein und führte uns auf einen Berg. Auf dessen Gipfel hatten geschickte Billiglöhner einen großzügig dimensionierten Holzverschlag gezimmert, dessen Inhalt aber noch länger delphisch bleiben sollte. Überhaupt wussten wir noch immer nicht, was genau wir eigentlich an diesem heißen Septembertag tun sollten. Dass wir es nun praktisch tun mussten, was spätestens klar, als wir bei der Abfahrt darauf hingewiesen wurden, dass es "absolut keine Möglichkeit geben wird, zurückzufahren". Dass man auch nicht zurückgehen solle und dürfe, wurde uns erst auf dem unbevölkerten Berg verraten, da die hier heimischen Raubkatzen uns sonst zu Cordon Bleu machen würden.
Dass wir nicht in europäischer Tracht die Darbietung eines Songs tänzerisch unterstützen sollten, wurde klar, als man uns die Kleidung zuteilte. Anscheinend sollten wir keine Badegäste oder Nudisten mimen, das wäre angesichts der Temperaturen eine willkommene Rolle gewesen, sondern irgendwas anderes, denn wir wurden angehalten, Wollpullover, Wintermäntel und dergleichen anzulegen.

sophie landerl
Plötzlich bog eine Statistin blutüberströmt um die Ecke, was aber nicht, wie nach dem ersten Schrecken und vor einem Lächeln ihrerseits vermutet, einem der erwähnten Tiger zuzuschreiben war, sondern der Makeup-Artistin aus Südafrika, die ihre Fähigkeiten nun an unseren schwitzenden Leibern beweisen sollte. Literweise Kunstblut, laut der Artistin selbst auf Marmeladebasis gebraut, leerte man uns in Augen, Ohren und sonstwohin. Mittels Silikonteile wurden Fleischwunden fingiert.
Die eigens eingeflogene Schminkefrau hatte kein besonders ausgeprägtes Faible für sämtliche regionalen Gepflogenheiten. Mit Augenrollen bestritt sie ganze Konversationen mit "Hm, that's India…". Ihre regionalen Gehilfen behandelte sie tendenziell barsch, weil sie mit deren Arbeit so überhaupt nicht zufrieden war. Sämtliche Schminkideen waren ihr zu wenig realistic. Sie referierte ausführlich darüber, in welche Richtung blood fließen würde, wenn man auf diese und jene Weise eine oder etwas in die Goschn kriegt.

sophie landerl

sophie landerl
Im anderen Teil jenes immerhin klimatisierten Busses, in dem man unsere Zugerichtetheit - wofür auch immer - simulierte, wohnten zwei US-amerikanische Darsteller mit klingenden Namen wie Robert Miller oder so, die aussahen und sprachen wie die Schnittmenge sämtlicher B- und C-Movie-Stars, eben auch welche waren und zwei FBI-Agenten gaben.
Zusammen mit den beiden Millers durften wir gegen Mittag endlich das Set betreten. In selbigem war der Bahnhof von Philadelphia nach einem Bombenattentat nachgebaut worden. Während die beiden Millers im Vordergrund, der eine tot, der andere unter dem toten liegend, direkt nach der Katastrophe gezeigt wurden, sollten wir teils dahingeschiedene, teils gerade noch lebendige Passagiere und Passanten mimen, die sich aus dem Gebäude schleppen. Mit wurde die Rolle eines Lebenden zuteil. In den folgenden sieben Stunden wurde die dreißigsekündige Szene unzählige Male wiederholt.
Die unfassbaren Temperaturen in dem mit schwarzen Plastikplanen und riesigen Scheinwerfern dauerbeheizten 'Studio' reichten dem sadistischen Regisseur noch nicht, zusätzliche zündete er alle fünf Minuten neue Spezial-Feuerstellen an, die einen besonders schwarzen und giftigen Rauch entwickelten. Seinem Hinweis, wir sollen auf uns Acht geben, denn man hätte "no insurance", was er unmissverständlich ohne jedes Augenzwinkern darlegte, wurde Nachdruck verliehen, als der Kollege zu meiner Rechten zusätzlich zur bevorstehenden Rauchgasvergiftung auch noch unter die Pappmachésteine gemischte echte aus fünf Metern Höhe auf sich prasseln lassen musste, ohne eine Miene zu verziehen, weil er ja tot war.

sophie landerl
Meine Rolle bestand im Wesentlichen darin, mir vor Schmerzen den Bauch zu halten, zwei toten Komparsen zur Wiederbelegung bzw. Überprüfung der Lebendigkeit die Wangen zu tätscheln und dann mit einer norwegischen Kollegin durch den Ausgang zu flüchten. Dann wieder "Back to position one". Der Schweiß verschmierte nicht nur ständig das Kunstblut, was aber eigentlich eh realistic aussah, sondern sammelte sich, geleitet durch zentimeterdicke Rohre von Hosenbeinen, schließlich in den Schuhen. Nach vier Stunden wurde leiser Protest laut, man möge uns doch wenigstens eine kleine Pause und etwas Wasser gestatten. Stattgegeben.
Am späten Nachmittag waren die beiden Millers, deren Kostüme und Makeup noch das Oscar-reifste waren, trotz einer wahrscheinlich höheren Gage als der unsrigen (500 Rupien) schon etwas angepisst und begannen, Requisiten zu zerstören, was das Komikzentrum des Regisseurs nur bedingt ansprach.
Irgendwann, nach einem Flüssigkeitsverlust einer Badewannenfüllung, der einen oder anderen Schramme und fiesen Verspannungen, endlich, endlich vorbei, keiner hatte mehr damit gerechnet.
Besonders realistic wurde die Szene trotz aller Bemühungen der Artistin wohl nicht, da hatte eine Puppe schon mal zwei rechte Beine oder lachte eine weniger begabte Statistin unbedacht in die Kamera, was aber sämtlichen Beteiligten, die allesamt Atemschutzmasken trugen (no insurance!), eher wurscht zu sein schien.

sophie landerl
Abgeschminkt wurden wir eigentlich weniger, vielmehr wischte uns ein Inder, der den Feierabend herbeisehnte, mit einem bereits roten Schnäuztuch ein paar Mal durchs Gesicht.
Auf der Rückfahrt war niemandem mehr klar, welchen Sinn das Unterfangen für den Einzelnen genau gehabt hatte, doch in der Retrospektive neigt man schließlich dazu, unbequeme Erlebnisse zu verklären, dann wird ein quälender Tag irgendwann zum spannenden Ereignis, und genau davon werden wir unseren Freunden beim DVD-Abend nächstes Jahr berichten, wenn wir uns Kurbaan ansehen und dabei vielleich auch ab und zu vorspulen (Bollywood.)