Erstellt am: 20. 12. 2009 - 11:22 Uhr
Erste Erinnerungen und gepflanzte Bäume
Israel ist so jung und die hier nicht geboren sind, haben eine Geschichte, wie sie hierher kamen.
Die Gekommenen, die meisten davon Juden, sind der Shoa entronnen, wollten ein neues Land mitgestalten, haben sich in die Vorstellung eines Ortes oder eines Menschen verliebt, glauben an Spiritualität oder Politik, suchen sich selbst oder medizinische und wirtschaftliche Möglichkeiten.
Einige unchronologische Lebensfragmente gekommener oder geborener Israelis möchte ich hier erzählen.
Clara Trischler/FM4
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"Erste Erinnerungen sind meistens angstbehaftet oder unangenehm", meint Micka, "sie hinterlassen einen so starken Eindruck, weil sie in deine sanfte, kindliche Welt brechen."
Die Melodie des batteriegefüllten Stoffherzens, das auf einer Wiese in Italien liegt, wenn man seine Eltern zum ersten Mal verliert. Der dungige Stallduft, wenn man den Truthahn kopflos noch ein paar Male im Kreis laufen sieht. Oder der Gummigeruch von Mickas Kindergasmaske.
Etwa die Hälfte der Israelis, die damals kriegsbedingt starben, starben an einem Herzinfarkt oder am Ersticken in der Gasmaske.
Kibbuzkindheiten und Kindergasmasken
Micka mochte diese Gasmaske, weil sie oft schulfrei hatte, wenn sie sie aufsetzen musste. Im Golfkrieg 1990/91 hatte sie die Maske jeden Tag bei sich und es war cool, die bemalten oder mit ausgeschnittenen Comics, Stoffen und Plastik verzierten Kartonschachteln, in denen die Masken aufbewahrt wurden, in der Schule zu tauschen.
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Oded kann sich an seinen neunten Geburtstag damals erinnern, sein Kuchen hatte die Form einer Rakete und er Angst, dass niemand kommen würde. Die Kinder kamen, alle mit ihren Gasmasken. "So it became some kind of theme party", lacht er.
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Micka verbrachte die ersten sechs Jahre ihres Lebens im gemeinschaftlichen, dorfähnlichen Kibbuz.
Einem sozialistischen Gedanken entsprungen, schliefen die Kinder dort im Kindergarten und nicht bei ihren Eltern. In jedem Schlafraum gab es eine Person, die die Kinder über ein Mikrophon mit ihren Eltern verbinden konnte. "Bevor die dann kamen, ist man aber meistens eingeschlafen oder hat darauf vergessen."
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Ihre Eltern waren jung und haben sie gerne groß gezogen, also sind sie jeden Abend vorbei gekommen, haben sie ins Bett gesteckt und Geschichten erzählt. Micka hörte trotzdem dem Vater des Kindes aus dem Nachbarbett zu. Weil der viel spannender erfinden konnte, Spione und so.
Erinnerungen auf der Haut
Die 23-jährige Fotografin Tamir hat drei davonfliegende Vögel auf ihrem Unterarm tätowiert. Als ihre Mutter die sah, begann sie zu weinen. "Ich sollte ihr versprechen, dass ich mich nie wieder tätowieren lasse. 'In Auschwitz haben sie das mit uns gemacht, ich kann nicht glauben, dass du dir jetzt freiwillig so etwas in Deinen Körper stechen lässt', hat sie gesagt."
Als mir meine ältliche Nachbarin Hava zum ersten Mal begegnet, zeigt sie mir ihre auf den Arm tätowierte Nummer aus Auschwitz. Sieht mich an und sagt, sie könne sich ihre Telefonnummer nie merken.
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Ihr Mann begann mit 48 Jahren, Gips- und Tonskulpturen zu schaffen, weil er seine Fantasie als Büroangestellter nicht ausleben konnte. Sie lebt in einem dunklen Halbstock zwischen Unter- und Erdgeschoss. Weil es da so dunkel ist, schenkte ihr ihr Mann eine in eineinhalbjähriger Arbeit hergestellte weiße Mosaikwand vor dem Fenster.
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Sie lebt umgeben von den Gesichtern der Skulpturen, auch im Gartenhäuschen stehen Selbstbildnis und Porträt des Sohnes neben der gepolsterten Sitzgarnitur. "Ich mochte ihn. Liebte ihn eben. Ich bin nicht sehr objektiv", sagt Hava.
Am liebsten ist mir der Ort, an dem man spürt, dass die Menschen, die in ihm leben, ihn sich ausgesucht haben.
Gleichzeitig liegt in Israel in dieser Ortswahl die ganze Dramatik.
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