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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

15. 9. 2009 - 10:30

Patti & Jim

Zum Tode des Punk-Poeten Jim Carroll

Hier ein Link zum Nachruf von Karl Fluch im Standard mit allen chronologischen Daten und Fakten zu Leben und Werk von Jim Carroll

"I´ll die for your sins if you live for mine"
(Fear Of Dreaming. Selected Poems)

An einem regenreichen Nachmittag nach Jim Carrolls Tod in Manhattan hält ein Yellow Cab an der Houston Street, Ecke Lafayette. Ich bin zufällig da und entgehe nur knapp der Gossendusche, die der heranbremsende Taxifahrer verursacht. Aus dem Cab springt, ja schnellt wie eine Feder, Kim Gordon von Sonic Youth. Sie strahlt übers ganze Gesicht und sie ist wunderschön. Ich meine nicht schön in der cool verrauchten Postpunk-Interpretation des Wortes, sondern in ihrer makelosen Erscheinung an diesem Tag.

Dunkler Edelzwirn mit Lederpatches, knallroter Lippenstift, milchfarbene Haut. Fast wie eine Lady aus der Upper East Side. Ungewöhnlich gut gelaunt ist sie auch noch. Wie ein strahlender Engel in Schwarz verwandelt Kim Gorden das Regengrau in Schafswölkchen.

Sie kommt wohl gerade von einem Event der New Yorker Fashion Week, denke ich. Doch schon zieht mich meine Liebe über die von Baustellen und Schlaglöchern verwüstete Lafayette Street weiter.

Patti Smith & Jim Carroll

CameraLucida

Patti Smith & Jim Carroll

Regen auf New Yorks Straßen means permanenter Gosseduschalarm. "Das war Kim Gordon", sage ich. Die Liebe nickt.

Warum ich diese kleine Anekdote erzähle? Jim Carroll ist für mich ein Schattenwesen, einer von den wenigen "heiligen Irren der Bowery" (also Punks, Alt-Beats, Künstler und Schriftsteller der 60er/70er Downtown Szene), mit denen ich mich eher weniger beschäftigt habe. Carroll, den Poeten und Musiker, kenne ich in erster Linie vermittelt über Referenzen oder längst vergilbte Erinnerungen an einzelne Verse, Anekdoten oder Songs.

Klar, die Basketball Diaries weiß ich von ihrer Bedeutung her einzuordnen (ohne sie je gelesen zu haben). Klar, ich kenne die Verfilmung mit einem sehr jungen Leonardo Dicaprio (und war deshalb gegen spätere, "Titanic related", Verunglimpfungen immun). Und als Sprössling zutiefst katholischer Landen war mir ein Song wie "Catholic Boy" Katharsis und Befreiungstheologie in einem und wesentlich näher als das berühmtere (auch weil "E.T." geeichte) "People Who Died".

Aber eine intensivere Beschäftigung, wie etwa mit seinen peers (Reed, Ramones, Patti Smith, Richard Hell, Johnny Thunders oder CBGB´s Gründer Hilly Kristal) stand bei mir nie wirklich an - außer über die oben angesprochenen Referenzen und Berühungspunkte zu anderen Artists. Und an dieser Stelle kommt erneut Kim Gordon ins Spiel: ihr Ehemann und Sonic Youth-Mitbegründer, Thurston Moore, veranstaltet über sein Musik-Label Ecstatic Peace regelmäßig Poesie-Vorlesungen in der Lower East Side und im East Village. Und wenn das noch immer so ist, wie das letzte Mal, als ich dort war, finden diese ab und dann in der St. Mark's Church In The Bowery statt, einer ehemaligen Kirche, die in den 60er Jahren (neben den Black Panthers) auch den St. Marks Poets eine Heimstatt war, in der u.a. der damals bereits etablierte Carroll gelesen hat und seiner part time Freundin Patti Smith einige Auftritte verschaffte.

Referenzen also. Eine Besondere habe ich heute beim Blättern in der New York Punk Fibel No. 1, der von Legs McNeil und Gillian McCain kompilierten oral history "Please Kill Me", gefunden. Es ist ein Statement von Patti Smith, die sich auch heute zum Tod ihres Ex-Lovers, Förderes und Mitbewohners zu Wort gemeldet hat.

Diese Passage hat noch lange nach der Lektüre in mir weitergeglüht und ich musste sofort an diese Zeilen denken, als ich vom Tod Carrolls erfahre habe. Sie ist weniger ein retroromantischer Rückblick "auf wilde Zeiten", sondern vermittelt in wenigen, scharfen Worten die Drastik, Intensität und Konsequenz, mit der Carroll sein Leben gelebt hat.

Der damalige Account liest sich etwas creepy, da er aus den späteren 90ern stammt und bereits wie ein Nachruf klingt.

Die Vorgeschichte dazu: Jim Carrol sollte gemeinsam mit Patti Smith bei den St. Mark's Poets lesen. Doch der junge Dichter besuchte einen Freund am Land und wurde von der Polizei bei einer Drogen-Razzia festgenommen, wodurch er die Lesung am Abend verpasste (der Freund war übrigens ein in den "Basketball Diaries" beschriebener Charakter).

Patti Smith über dieses Ereignis, über Carroll im Allgemeinen und über ihre Vorstellung von wahrhaftiger Dichtung:

The St. Mark´s poets are so namby-pamby, they're frauds, they write about, "Today at 9:15, I shot speed with Brigid …" They're real cute about putting it in a poem, but if Jim Carroll comes into the church stoned and throws up, that's not a poem to them - that's not cool. If you could play with it in your poetry, that's okay, but if you're really with it, that's something else - they don't want to face it. Jim Carroll was the St. Mark's Poetry Procject's chance to have something real among them. Jim Carroll is one of America's true poets. I mean, he is a true poet. He's a junkie. He's bisexual. He's been fucked by every male and female genius in America. He's been in prison. He's a total fuck-up. But what great poet wasn't? It kills me that at twenty-three Jim Carroll wrote all his best poems - the same year of life as Rimbaud did. He had the same intellectual quality and bravado as Rimbaud. But they blackballed him because he fucked up. He didn't come to his poetry reading. He was in jail. Good for him.