Erstellt am: 14. 9. 2009 - 13:23 Uhr
Judith Hermann unterwegs mit "Alice"
S. Fischer Verlag
Fünf Männer, der Tod und eine Frau – das ist das Beziehungsdreieck, in dem sich Judith Hermanns neuester Erzählband bewegt. Und da die titelgebende Alice Protagonistin aller Geschichten ist, könnte man eigentlich auch das Wort Roman in den Mund nehmen. Aber lassen wir das.
Erzählungen sind nun mal Frau Hermanns Zuhause. 1998 erscheint ihr Erstling "Sommerhaus, später". Hoch gelobt und mehrfach ausgezeichnet trägt er der damals noch nicht einmal 30jährigen Autorin den Titel "literarisches Fräuleinwunder" ein.
Erst 2003 werden wir aber wieder neues von ihr lesen. Judith Hermann tourt ausgiebig (für sie selbst: Kräfte raubend) mit dem Debüt, will irgendwann Buch zwei in Angriff nehmen und stellt fest, dass sie schwanger ist. "Da habe ich aufgehört zu rauchen und demzufolge auch aufgehört zu schreiben", sagt sie in einem Interview.
"Nichts als Gespenster": Rezension von Zita Bereuter
Schreiben und Rauchen waren untrennbar
Dann ist "Nichts als Gespenster" aber doch da. Einige Geschichten dieses zweiten Erzählbandes werden 2007 fürs Kino verfilmt. Unter anderen mit August Diehl, Fritzi Haberlandt und Stipe Erceg. Der Film fängt die Atmosphäre des Buchs durchwegs gut ein: Es geht um die Liebe und ihre besonderen Zustände. Solche wie schwebend, flirrend, missverständlich, nicht ganz greifbar oder im Hier seiend.
Auch "Alice", das heuer im Mai erschienen ist, versammelt wieder leichte, leichtfüßige Geschichten, die durch ihren Ton in luftige Höhen getragen werden. Der Stil hier wie ein Gegensatz zum Thema: die Schwere, Bodenständigkeit des Sterbens, das alles erdrückt, zerstampft, dumpf macht. Insgesamt eine sprachliche Schönheit, die ergreift, manchmal nur sehr knapp am Pathos schrammt.
Cordula Giese
Beklemmend gewichtslos
In fünf Geschichten begegnet Alice ebenso vielen Männer, die wiederum dem Tod begegnen bzw. begegnet sind. Manche Beziehungsverhältnisse sind unklar, andere sehr nah.
Richtige Trauer kommt dennoch kaum auf. Alice scheint oft wie beinahe nicht involviert, zumindest aber distanziert. Als würde sie generell nicht so ticken, nicht zu innig mit den Menschen zu sein. Und so spürt man in einer Erzählung wunderbar ein Gefühl des Sommers, obgleich sie von Krankheit handelt. In einer anderen geht es um Micha, einen Ex-Freund. Alice begleitet seine letzten Tage, weil die jetzige Lebensgefährtin sie um Hilfe gebeten hat. "Alle Worte bekamen plötzlich eine zweite Bedeutung", schreibt Hermann hier. Und so ist vom Krankenhaus selbst wenig die Rede, beschrieben werden Verrichtungen und Erlebnisse abseits davon, sie geben der Geschichte ihr Timbre. Die für mich übrigens die wahrscheinlich beste dieses Bandes ist, mit einem Sog, der nicht loslässt, bis nach 50 Seiten wieder alles vorbei ist.
S. Fischer Verlag
Hier die Deutschland-Termine der Autorin
"Er sagte (…), also ich habe das Telefon bei mir, wir sind auf dem Dach heute, grillen und so weiter, ich denke, ich trinke auch mal ein kleines Bier. Oder zwei. Es wird nichts sein heute. Vielleicht morgen. Ich glaube, morgen wird es vorbei sein. Aber du kannst mich anrufen, wenn du mich brauchst. Er sagte, wenn du bei ihm sitzt, wenn du ihn berührst, dann merkt er das. Er merkt das alles."
Die Hermannsche Prosa lebt von der Atmosphäre, die sie erzeugt, von den Kleinod-Sätzen, die es schaffen, diese Atmosphäre zu erzeugen.
Wie gesagt, mitunter sehr gefühlsbetont, nicht kitschig, aber man muss dennoch einen Zugang dazu haben. Es sind Beobachtungen von Innerlichkeiten, die durch Äußeres ausgedrückt werden. Dabei betreibt Hermann keine Nabelschau, es ist ein Welt-Anschauen. Eines, das zum Nachdenken bringt... denn wie hat die Buchhändlerin meines Vertrauens einmal gesagt: "Aus dem Traurigen im Leben lernen wir meistens mehr."
Judith Hermann liest aus „Alice“, erschienen bei S. Fischer, am Dienstag, 15. September 2009, 19:00 Uhr, in der Hauptbücherei am Gürtel, 1070 Urban-Loritz-Platz 2a.