Erstellt am: 13. 9. 2009 - 23:24 Uhr
Fußball-Journal '09-85.
Das sonntägliche Bundesliga-Spitzenspiel zwischen Rapid und Salzburg war nicht nur dramatisch und spannend, sondern auch ein Lehrbeispiel. Vor allem das, was Rapid da im Laufe der 90 Minuten an unterschiedlichen Proben aufs Spielfeld stellte, was ein Musterbeispiel für das Funktionieren von Systemen.
Zu Beginn nämlich traute sich Peter Pacult (der von seiner Struktur her ein Wenigwager ist) über seinen Schatten zu springen: Er stellte sein Rapid-Team für den Schlager in einem 4-5-1, also mit nur einer echten Spitze auf.
Das ist beim Großteil der Fans, Beobachter und Medienmenschen nicht so gut angeschrieben, weil es als zu vorsichtig gilt, weil an der Anzahl der Stürmer gern die Qualität einer Aufstellung gemessen wird. Das ist populistischer Fehlglaube, purer Unfug.
Pacults Grundaufstellung enthielt nämlich eine offensive Mittelfeldreihe mit echten offensiven Flügelspielern und einem Freigeist in der Zentrale. Und zwar Steffen Hofmann.
Pacult läßt Hofmann spielen
In dem herkömmlichen 4-4-2, das Pacult sonst immer aufs Feld schickt, muss Hofmann auf der rechten Seite spielen.
Bloß: Hofmann ist kein Flügel, er ist ein Einfädler und Regisseur, den es immer ins Zentrum zieht, egal wo er nominell spielt. Wenn man ihn also rechts aufstellt, muss man damit rechnen, dass es dann eben kein Flügelspiel über rechts gibt.
Deshalb ist das Rapid-Angriffsspiel auch sehr leicht ausrechenbar: Es geht über links und durch die Mitte, manchmal kommt von rechts was aus dem Halbfeld.
Weiteres Problem: Es gibt keine Offensivzentrale, keine zweite Welle, die hinter den Spitzen in die Löcher geht.
Zuletzt in Birmingham stellte Pacult sein Team erstmals nach Ewigkeiten so auf, wie es ihm entspricht: 4-5-1, also genauer gesagt 4-2-3-1, mit drei rein Offensiven hinter der Spitze. Das Resultat ist bekannt: Rapid spielt in der Euro-League.
Nun hat sich Pacult heute erstmals auch in der Meisterschaft über diese Verbreiterung des Mittelfelds drübergetraut, das aus einem einseitigen, linkszentrierten, unrunden Ding ein diversifiziertes System macht.
Herzhafte Offensive, trotz "nur" einer Spitze
Die dergestalt neu aufgestellte Rapid-Mannschaft marschierte los wie die Feuerwehr: Herzhafte Offensive, Chancen über links (Drazan mit Katzer), über rechts (Thonhofer und Dober) und die Zentrale (Hofmann mit Pehlivan) und vorne kommt Jelavic nicht zur Ruhe. Rapid spielt wie aus einem Guss und über alle Seiten, zieht ein echtes Flügel- und Longpassspiel auf, und hat mit Hofmann in der Mitte einen extrem gut freigespielten Jolly Joker, der alles darf und lustvoll agieren kann.
Die ersten 35 Minuten des Spiels kommt Salzburg, kein Pimperl-Gegner, nicht aus dem Staunen raus. Rapid Wien bietet die wohl beste Leistung einer Mannschaft in dieser Saison.
Natürlich hat das auch mit dem grässlichen Fehlcoaching von Huub Steevens zu tun, der mit Afolabi und Pokrivac zwei uneingespielte Neue just in der defensiven Zentrale, also der heikelsten Zone des Spiels, die nichts als Ruhe und Sicherheit ausstrahlen darf, stellt, und damit diese Rapid-Orgie des Wohltuns mitermöglicht.
Die zwei überflüssigen Gegentore, die sich Rapid einfing, war Resultat exakt dieser Unsicherheit in der Zentrale (vor allem der rechte Innenverteidiger von Rapid, au weia) und schockte das Team für den Rest der 1. Halbzeit.
Gegenmodell zur Realitätsverleugnung von früher
Trotz alledem ist dieses System mit einem flexiblen Hofmann hinter einer Spitze und neben zwei echten Flügeln (vielleicht wäre ein echterer als Thonhofer noch besser; Kavlak zeigte, wie es gehen könnte, Trimmel kann das...) richtig. Das zeigte Birmingham, das zeigten die ersten 35 Minuten.
Dass ein Team, das so lang in einem unsinnigen, die Realitäten verleugnenden 4-4-2-Konstrukt gefangen war, sich beim zweiten Versuch nicht nur (wieder) super anstellt, sondern das Spiel auch noch schnell nach Hause fährt, das ist zuviel verlangt.
Bester Beleg dafür: Der - inhaltliche - Rückfall in der 2. Halbzeit. Da kam Salihi als zweite Spitze, statt Thonhofer, für den wieder Hofmann (nominell) rechts rüber musste, es gab also wieder das nur auf dem Papier funktionierende 4-4-2.
Resultat: Kaum Flügelspiel, gar nichts über rechts, keine Gefahr, wenig durch die Mitte, planlose hohe Passes, nur zwei Halbchancen - das pure Gegenmodell zur furiosen 1. Hälfte.
Das Anschlusstor: ein Direktfreistoß von Hofmann, aus der Zentrale erzielt.
Ein Zeichen von Qualität
Das war also letztlich gar nichts.
Rapid hat Substanz genug, sich auch mit diesem Konstrukt eines 4-4-2 über die Zeit zu retten, ins Spiel zu bringen, schwache Gegner zu dominieren und Gegner in Augenhöhe zu fordern.
Ein richtiger unique selling point, etwas besonderes ist das aber nicht.
Das kam erst wieder, als Pacult in der 83. Minute die "Hollywood"-Variante des neuen offensiven Systems riskierte, nämlich ein 4-1-3-2.
Da kam mit Kavlak ein offensiver Rechter, was Hofmann wieder die Chance gab, sich in der Mitte freizuspielen. Im zentralen Mittelfeld war nur noch Pehlivan, Heikinnen ging in die Abwehr zurück (aus der Eder rausrotiert wurde).
Das macht alles unglaublichen Sinn.
Natürlich ist es Zufall, dass das 2:2 just nach diesem Wechsel fiel. Dass aber der Rest des Spiels wieder an die furiosen 35 Anfangsminuten anschließen konnte, ist kein Zufall.
Das ist eine Folge des Systems, das Kräfte freisetzt, die im herkömmlichen, bisherigen Rapid-Spiel der letzten paar Jahre eben nur selten zu erkennen waren.
Das ist ein Zeichen von Qualität.
Kurzsichtigkeit vs. Nachhaltigkeit?
Da die Verantwortlichen, allen voran Peter Pacult, eine sehr konservative Herangehensweise haben, und Kurzfristigkeit über Nachhaltigkeit stellen, ist allerdings zu befürchten, dass das schiere Ergebnis (und schließlich war es "nur" ein Remis) über die spielerische Erfahrung gestellt wird und Rapid bereits im nächsten Match wieder auf die Werkseinstellung zurückfährt und den rechten Flügel vorgibt (wie bereits die letzten Jahre) - was vor allem international immer in die Hose ging.
Im übrigen sollte man nicht vergessen, das auch das tolle Spiel in Birmingham verloren wurde (da reichte ein 1:2 eben zum Aufstieg) - die Taktik, das System waren trotzdem richtig. Man war damit auf dem Weg raus aus einer Schimäre, rein nach Europa.
Rapid war heute auch auf dem Weg, Österreich seinen Stempel aufzudrücken. Was wegen der übergroßen Vorsicht der Austria, den Coaching-Fehlern bei Salzburg und der leicht geringeren Substanz bei Sturm nichts anderes als die strategische und systemische Vormachtstellung im Lande wäre.
Ob die Zuständigen das erkannt haben, ob sie sich da drübertrauen, bezweifle ich mehr, als ich es erwarte.