Erstellt am: 13. 9. 2009 - 17:56 Uhr
Außerirdische Apartheid
Wir kennen das aus unzähligen Science-Fiction-Streifen: Wenn der Tag X eintritt und tatsächlich ein außerirdisches Raumschiff auf der Erde landet, dann fast immer nur auf amerikanischem Terrain.
New York, Washington oder bisweilen auch Los Angeles sind die offensichtlichen Lieblingslokationen extraterrestrischer Besucher, egal, ob sie es in zerstörerischer Absicht auf die entsprechenden Skylines abgesehen haben oder, seltener, den friedlichen Kontakt suchen. Klar, denn Hollywood zieht die klischeehaften Fäden.
"District 9" ist nicht nur in dieser Hinsicht die eigenwillige Antithese zum gängigen Spektakelkino. Im Spielfilmdebüt des jungen Regisseurs Neill Blomkamp landen die Aliens ausgerechnet im südafrikanischen Johannesburg. Oder besser, sie stranden dort, in einem gigantischen UFO, das bedrohlich über der Stadt schwebt.
Sony
Bereits im Jahr 1981 hat dieses unfassbare Ereignis im Paralleluniversum dieses Films stattgefunden, seit damals vegetieren die weder offensichtlich aggressiven noch putzig-niedlichen Besucher aus dem All in grindigen Notcamps herum.
Hunger, extreme Armut und Verfall regieren im District 9, dem riesigen Ghetto der zwei Millionen Prawns, wie man die krabbenartig aussehenden Asylanten from outer space verächtlich nennt. Überall lagern Berge von Müll, werden kriminelle Deals verhandelt, betteln insektoide Wesen um Nahrung.
Als es immer öfter zu Gewaltausbrüchen kommt und die Unruhe in der einheimischen Bevölkerung dramatisch zunimmt, beschließt die Regierung die Deportation der Aliens in ein entferntes Konzentrationslager.
Die Leitung der gigantischen Umsiedelungsaktion übernimmt ein privates Sicherheits- und Militärunternehmen. Und hier kommt der (Anti-)Held des Films ins Spiel. Der linkische Bürokrat Wikus marschiert von Hütte zu Hütte und erklärt den Prawns ihr neues Schicksal. Dabei enden Verweigerer schnell im Mündungsfeuer einer begleitenden Söldnertruppe, die glitschigen Eier der Außerirdischen werden unter großem Gaudium abgefackelt.
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Diese erste Hälfte von "District 9", die Neill Blomkamp als wilde Collage aus fingierten Dokus, TV-Ausschnitten und verwackeltem Reality-Material inszeniert, erschlägt einen im besten Sinn mit Bildern und Ideen.
Man ist fasziniert von all den politischen Bezügen des Films, die weit über die alibihaften Anspielungen anderer Streifen hinausgehen. Dem gebürtigen Südafrikaner Blomkamp, der mittlerweile in Kanada lebt, gelingt nicht nur eine radikale Parabel auf die Ära der Apartheid. "District 9" erweist sich letztlich als ganz grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem diffizilen Thema der Fremdheit und Integration.
Dabei geht der Regisseur nicht den simplen Weg des humanistischen Zeigefingers und schlichter Botschaften. Sondern er setzt auf eine verstörende Ambivalenz.
Offensichtlich entlarvt Blomkamp zwar zum einen die faschistoiden Mechanismen, mit denen der Staat und diverse Konzerne auf die Alien-Immigranten reagieren. Auf der anderen Seite macht er einem das Mitgefühl mit den Prawns nicht gerade leicht. Denn die außerirdischen Besucher evozieren einfach Ekel, Gefahr, Albträume.
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Diese bewusste inhaltliche Zerrissenheit, die viele Fragen provoziert und an sarkastische Genreklassiker wie "Dawn Of The Dead", "Robocop" oder "Starship Troopers" erinnert, wäre eigentlich schon ungewöhnlich genug im geglätteten Gegenwartskino.
Aufregend ist aber auch die formale Machart des Films. Mit dreißig Millionen Dollar, was nicht mal dem Marketingbudget eines Michael-Bay-Machwerks entsprechen dürfte, schafft Neill Blomkamp einen der tricktechnisch überzeugendsten Streifen seit Ewigkeiten.
Während sich der im Vorprogramm laufende Trailer zum heiß erwarteten James Cameron-Filmwunder "Avatar" als ästhetisch armselig entpuppt, feiert die CGI-Technologie mit "District 9" einen Triumph ohnegleichen.
Die atemberaubende visuelle Ebene des Films, zusammen mit der brachialen Action, die gegen Ende überhand nimmt, dürfte auch Schuld an seinen gewaltigen Einspielergebnissen sein. Blitzschnell katapultierte sich der knochenharte, bitterböse und mit völlig unbekannten Gesichtern besetzte Polit-Schocker nämlich unlängst an die Spitze der US-Kinocharts.
Dabei verdankt sich das Phänomen "District 9" neben den leidenschaftlichen Machern auch einem ebensolchen Mentor. Peter Jackson, der neuseeländische Genreguru mit "Lord Of The Rings"-Legendenstatus, ließ seinen Einfluss spielen, nachdem er einen Kurzfilm von Neill Blomkamp gesehen hatte.
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Anknüpfungspunkte für verschiedene Sequels, die nun angesichts des enormen Erfolgs geplant sind, gibt es genug. Denn in der zweiten Hälfte, auch das sollte bei aller Begeisterung angemerkt sein, zerfällt "District 9" dramaturgisch in fast zu viele Richtungen.
Im faszinierendsten Strang, der den zwiespältigen Protagonisten Wikus (wunderbar vom Schauspielnovizen Sharlto Copley auf den Punkt gebracht) auf einen wahren Höllentrip schickt, blitzt der Body Horror des David Cronenberg auf. Andere Plotentwicklungen weichen die Konsequenz des Films etwas auf oder führen zu Leerläufen.
Aber egal. Und vielleicht gerade weil dieser Zufalls-Blockbuster mit sämtlichen Mustern der Konkurrenz bricht, weil er die üblichen Spannungskurven ignoriert, weil er gängige Identifikations-Angebote einfach nicht bietet und sich damit auch hitzigen Emotionen verweigert, aus all diesen Gründen ist "District 9" eine kleine Sensation.