Erstellt am: 10. 9. 2009 - 17:48 Uhr
Triathlon im Selbstversuch
Da stehe ich nun, im Strandbad Klosterneuburg, und schaue auf das Wasser der Donau. Rote Badehauben mit aufgemalten Startnummern tanzen an der Oberfläche. 10, 9, 8,… - wie bei der Fütterung im Piranha-Becken zappeln sie plötzlich los. 1,5 km Stromab- und wieder –aufwärts. Profi-Triathleten, die die nächsten paar Stunden ihren Körper schinden werden. Das Einzige, worin ich gerade Profi bin, ist im Klogehen. Lampenfieber. Ich muss schon wieder, weil mir einfällt, warum ich da bin.
marilang
Zum ersten Mal nehme auch ich an einem Triathlon teil. Beim XTerra in Klosterneuburg bin ich für die leichteste Klasse angemeldet: 0,3 km Schwimmen, 7 km Mountainbiken und 3 km Laufen. Die Gruppe, die mit mir am Steg steht, besteht vor allem aus Kindern. Das beruhigt und verunsichert mich gleichzeitig. Wir tragen alle gelbe Badehauben. Abgesehen davon, bin ich in meinem blauen Badeanzug ziemlich underdressed. Die meisten haben sich in professionelle Triathlon-Montur geworfen oder haben einen Neopren-Anzug an.
Im Wasser, das wärmer als erwartet ist, sind alle Stylefragen vergessen. Selbst an Teri Hatcher, die mich heute Nacht im Traum verfolgt hat, denke ich nicht mehr. Die Desperate Housewife nimmt demnächst auch an einem Triathlon teil. Trainingsbilder kursieren im Netz - Teri Hatcher in hautengem Laufdress, mit weitem Ausschnitt am Fahrrad und in professionellem Schwimmdress und einem Lächeln im Gesicht. Nach Lächeln ist mir jetzt nicht zumute. Wie eine verzweifelte Hausfrau tuckere ich im Oma-Bruststil dahin und japse nach Luft.
marilang
Alles was mir mein persönlicher Trainer und Profi-Triathlet Max Renko vor ein paar Wochen beigebracht hat, ist vergessen. „Ruhig Luft holen, untertauchen, mit den Beinen rudern, gleiten,…“ Verdammt, ich kann einfach nicht sportlich schwimmen. Schon in der Volksschule bin ich am Freischwimmer-Abzeichen gescheitert. Ich bin froh, dass ich irgendwie vorankomme.
Triathlon ist in den letzten Jahren zu einer Art Trendsport geworden. Selbst der Iron Man, die Königsdisziplin und Mutter aller Triathlon-Bewerbe, ist nicht mehr ausschließlich für Spitzensportler reserviert. Zwei meiner bis dahin normal sportlichen Freunde trainieren seit knapp einem Jahr. Fast täglich schwimmen, laufen und fahren sie mit dem Rad. R. hat außerdem mit dem Rauchen aufgehört und trinkt keinen Alkohol mehr. Auch nicht am Wochenende beim Fortgehen. Ich verstehe ihn nicht mehr. Es gibt Tage, da isst er nur Kohlenhydrate, keinen Zucker, kein Fett. In seinem Urlaub war er eine Woche auf Sardinien. Trainieren. „Ich will mir selbst etwas beweisen“, sagt er und wirkt dabei ganz entspannt. H. ist vor eineinhalb Jahren auf den Triathlon reingekippt. „Ich hab zuerst völlig untrainiert bei einem Mini-Triathlon mitgemacht, und dann den vollen Kick bekommen weiterzumachen. Das Tolle ist, jeder, der will, kann es durchziehen.“ Genau um das herauszufinden, stehe ich an diesem kalten Herbsttag auf einer Wiese in Klosterneuburg und binde hektisch meine Schnürsenkel zu.
marilang
Beim Triathlon, einer seit neun Jahren olympischen Disziplin, geht es vor allem um Zeit, und zwar nicht nur um die, die man für die drei Sportarten braucht, sondern auch um die Wechselzeit. Der Weg vom Wasser in die Wechselzone, wo Fahrrad, Helm und sonstige Utensilien warten, und die Zeit fürs Umziehen wird in die Gesamtzeit mit einberechnet. Socken oder eine Laufhose sind Bequemlichkeiten, auf die man verzichten kann. Blasen nimmt man, nehme ich heute, in Kauf. Wie von der Tarantel gestochen, setze ich meinen Radhelm auf, schwinge ich mich aufs Mountainbike und fahre los. Es geht vom Strandbad Klosterneuburg in Richtung Stadt, zuerst auf Schotterwegen durch den Wald, dann über die Straße und unter einer Brücke durch. Mitten durch den Bach. Meine Schuhe sind nass, alles ist nass. Schweiß tropft mir von der Stirn. Ich überhole die Kinder einer Bekannten und freue mich über den ersten kleinen Erfolg. Einige der Fahrer, die am „richtigen“ Triathlon teilnehmen und 1000 Höhenmeter vor sich haben, überholen mich. An einer Weggabelung steht ein Feuerwehrmann, aber kein Pfeil, der die Wegrichtung weist. „Wo geht’s weiter?“ Der Ordenshüter zuckt mit den Achseln. Um nur ja keine Zeit zu verlieren, entscheide ich mich für links, fahre ein paar Meter bergab. Falsche Abzweigung. Alles wieder retour. Stress pur. Meine Oberschenkel brennen, als ich zur Wechselzone zurückkomme.
Im Hintergrund spielt Musik, Familien mit Kindern essen Würstel und beklatschen die sich nähernden Sportler. Das alles nehme ich nur verschwommen wahr. Ich habe keine Ahnung, wie schnell oder wie langsam ich im Vergleich zu den anderen Teilnehmern in meiner Klasse bin, aber mein Wettkampfgeist ist plötzlich sehr motiviert. Ich will gewinnen - trotz zu wenig Training, schlechter Ausrüstung und viel zu wenig Ahnung. Ich kann nichts dafür, bin Opfer irgendwelcher Hormone, und Adrenalin ist mit Sicherheit dabei.
marilang
3 km Laufen liegen noch vor mir. Langsam laufe ich mich ein. Erst nach ein paar Metern fällt mir auf, dass ich noch immer den Fahrradhelm am Kopf habe. Ein Fotograf steht am Wegrand, und ich geniere mich in Grund und Boden. Ich fühle mich wie jemand, der in Unterwäsche einkaufen geht. Jetzt ist es raus, dass ich eine absolute Anfängerin bin und nur ein bisschen so tue als ob. „Nicht langsamer werden. Du schaffst das“, höre ich eine Stimme hinter mir. Die Startnummer 208 hat mich eingeholt. Sie läuft in meiner Klasse, ist meine Motivatorin und Kontrahentin gleichzeitig. Ich verdränge meinen inneren Style-Kodex und gebe Gas. Helfer stehen mit Bechern am Wegrand. Ich trinke und schütte mir dabei die Hälfte übers Gesicht. Laufen und trinken gleichzeitig ist eine Kunst für sich. Wieder was gelernt. Die Geräusche aus dem Zielbereich kommen näher. Endspurt. Doch es ist nur der Wind, der den Lärm herüberträgt, näher als er eigentlich ist. Noch immer ein halber Kilometer. Ich keuche. Ich kann nicht mehr. Ich kann wirklich nicht mehr.
Selbstüberschätzung. Kurz vor der letzten Biegung zur Zielgeraden bleibe ich stehen. Ein 10-jähriger zieht an mir vorbei. „Nur noch ein paar Schritte“, höre ich wieder die Startnummer 208, die mich langsam überholt und mir damit die fehlende Motivation gibt. Denn Zweite werden geht so kurz vor dem Ziel wirklich nicht mehr. Ich krame also in den tiefsten Untiefen meines Körper und kratze den letzten Rest Energie zusammen. Ich laufe, ich rase, ich schwebe. Ich überhole, und bin fertig. In doppeltem Sinn. Und, ja, ich werde es wieder tun. Aber nur solange ich am Wochenende trotzdem noch auf den Putz hauen kann.
marilang