Erstellt am: 9. 9. 2009 - 14:00 Uhr
Journal '09: 9.9.
Ingrid Brodnik ist Redakteurin bei der Wiener Stadtzeitung Falter und blogt unter brodnig.org über Politik und Medien. Mit dem Generationen-Problem vor allem im Journalismus befaßt sie sich schon seit längerem.
Ingrid Brodnig sagt: "Ich habe es satt, als Mittzwanzigerin für alle Probleme in der Gesellschaft verantwortlich gemacht zu werden."
Rebelliert halt selbst, ihr alten Säcke!
Rechtsradikale, Komasäufer, Schulversager. Wer sind die heute 20- bis 29-Jährigen überhaupt? Über meine Altersgruppe habe ich mir schon viel anhören müssen: dass wir alle so unpolitisch sind, so konservativ. Dass wir lieber in klimatisierten Hörsälen hocken als in besetzten Häusern. Dass wir unsere Überzeugungen für einen hübschen Lebenslauf geopfert haben und doch nur in der Praktikaschleife steckenbleiben. Dass wir stille Mitläufer sind, die dann auch noch Heinz-Christian Strache wählen.
Zuletzt klagte FM4-Oldie Martin Blumenau über meine Generation und zeichnete das Bild von 20- bis 29-Jährigen – die sind feige Jasager. Als Beweis zitierte er die Thesen der jungen deutschen Journalistin Meredith Haaf über die ängstlichen unter 30-Jährigen. Wenn die ihre Generation beschimpft, muss das doch stimmen. Meine Altersgruppe ist der Fußabstreifer, an dem man sich abputzen kann, wenn einen etwas an der Gesellschaft stört. Da finden sie schnell einen Schuldigen und fühlen sich gut dabei. Früher war sowieso alles besser.
Der Mythos von der rechtextremen Jugend
Zur Erinnerung: Als Jörg Haider 1999 bei der Nationalratswahl 27 Prozent einfuhr, durfte ich noch gar nicht wählen. Und die meisten von uns 20- bis 29-Jährigen auch nicht.
Es ist ein Mythos, dass die Jugend so viel rechtsextremer wäre. Der Eindruck entstand, weil Zeitungen gerne von den milchbübigen Strache-Wählern berichten. Der Kurier schrieb zum Beispiel von einem „Marsch nach rechts“. Doch die Studien der Politologen und Meinungsforscher belegen diese Behauptung nicht. Die Jungwähler tendieren nicht mehr nach rechtsaußen als die Gesamtbevölkerung.
Mag schon sein, dass viele von uns unpolitisch, verdrossen oder gar demokratieskeptisch sind. Eine ähnliche Tendenz zeigt sich aber auch bei den Älteren. Jeder fünfte Österreicher sehnt sich nach einem starken Mann, der sich nicht um das Parlament kümmern muss. 1999 taten das nur 15 Prozent.
Rebellentum als Vorwand
Der Vorwurf der Politikverdrossenheit ist amüsant, wenn er von einer so abgestumpften Gesellschaft kommt. Wer das als verlogen bezeichnet, hört ein Totschlagargument: Der Idealismus, das Rebellentum gehöre halt zum Jungsein dazu.
Wirklich? Vielleicht ist das für Ältere nur ein Vorwand, die Füße hochlegen und selbst nicht aktiv werden zu müssen. Die strenge Unterscheidung zwischen Jung und Alt funktioniert nicht mehr. Wir Jungen sind pragmatischer geworden, die Alten wollen nicht erwachsen werden. Also hängen sich 40-Jährige Freitag-Taschen um, besuchen Gürtellokale und hören Bands, deren Mitglieder halb so alt sind wie sie.
Geht es dann plötzlich um politischen Widerstand, ist das wieder unser Job.
Demonstrieren soll die Jugend, wir haben schon einmal!
Unkritische Stubenhocker?
Dabei sind wir ja nicht alle unkritische Stubenhocker. Zwei Studentinnen haben die Lichterkette gegen rechte Hetze organisiert. Im heurigen Frühjahr gingen 25.000 Schüler auf die Straße. Sie wollten in der Bildungsdebatte ebenso mitreden.
Ich selbst war dabei, als im Museumsquartier hunderte junge Menschen mit Bierdosen, Gitarren und Soundblastern aufmarschierten. Wir wehrten uns gegen die Verreglementierung des öffentlichen Raums und das Verbot von mitgebrachtem Alkohol. Erfolgreich übrigens.
Gerne wird über solche Proteste gelacht. Aus der Schülerdemo machten Journalisten einen Wettbewerb, wer den dümmsten O-Ton findet. Beim Museumsquartier hörten wir: „Typisch, wenn es ums Saufen geht, seid ihr plötzlich politisch.“ Aber das ist schnell dahingesagt, wenn man selbst gut verdient und ohne Blick ins Geldbörsel einen Aperol-Spritzer nach dem anderen bestellen kann.
Über uns Junge wird dann auch philosophiert. Schon schlimm, das mit dem Komatrinken.
Facebook und Drogen
Doch welche Altersgruppe schüttet sich am meisten zu? Die 30- bis 39-Jährigen. Sie konsumieren am Tag durchschnittlich 32 Gramm Alkohol, bei den Männern sind es sogar 48 Gramm. Dagegen sind die 14- bis 19-Jährigen Waserln (17 Gramm). Trotzdem lesen wir viel über Kids, die ins Spital müssen, und wenig über Erwachsene, die den dritten Entzug hinter sich haben.
Es geht nicht darum, meine Generation zu glorifzieren. Ich frage mich aber: Wenn die 30-, 40- oder 50-Jährigen so schlimme Zustände in der Gesellschaft erkennen, warum -werden sie nicht selbst aktiv? Tatsächlich sind viele Ältere genauso dämlich wie wir, nur reden sie klüger daher.
Beispiel Martin Blumenau. In seinem Webjournal käut der 48-Jährige die Thesen der 26-jährigen Meredith Haaf wieder. Da kommt auch Facebook vor. Auf diesem Onlineportal können User die Beiträge anderer kommentieren oder mit einem Mausklick loben. Dafür gibt es den „Daumen nach oben“-Knopf. Der sagt: „I Like“. Einen „Daumen nach unten“-Button gibt es nicht.
Daumen nach unten!
Für Haaf und Blumenau ist das ein Anzeichen für die fehlende Kritikfähigkeit der 20- bis 29-Jährigen: Wenn uns etwas gefällt, Thumbs up! Wenn etwas unangemessen oder problematisch ist – Schweigen.
Ich bekenne: ich habe mehr Facebook-Leute als Brodnig Twitter-Follower (459)!
Das Tolle an dieser These: Martin Blumenau ist selbst auf Facebook. Und zwar mit 556 Freunden. Aber für ihn gilt diese Kritik natürlich nicht. Er kann das Onlineportal offenbar nutzen, ohne zum Jasager zu werden. Das ist wohl die Gnade der frühen Geburt.
Dieser Kommentar erschien im Falter 37/09. Geschrieben von Ingrid Brodnig, Dienstag 8. September 2009, 14:25. Kommentare (4) |
Auch interessant, weil weit weniger mimosenhaft, sondern analytisch und, ja, wütend: Tom Schaffer zum Thema
5 Anmerkungen dazu
von Martin Blumenau:
1) Nicht "das Facebook" ist böse oder blöde, es ist immer die Nutzung. Die "„Daumen nach oben"-Funktion hab ich etwa noch nie verwendet (doch, halt, zweimal, ironisch...).
2) So zu tun, als würde ich einfach einmal Frau Haaf hernehmen um sonstwen abzuwatschen, das ist eine groteske Verkürzung.
Das Generationen-Problem zieht sich seit Jahren durch mein (täglich erscheinendes) Webjournal, wurde in jeder erdenklichen Form und aus vielen Blickwinkeln abgehandelt.
In der Mehrheit in einer Verteidigungshaltung für die/vor den Jungen. Vor allem nach der letzten NR-Wahl.
Beispiel: Das aktuell bejammerte jugendliche Wahlverhalten und Vom abstrakten Nazi, der Vergesslichkeit und dem spielerischen Ausprobieren, wo ich die von Brodnig zurecht (warum nicht auch damals im eigenen Medium?) kritisierte Jugend-Bashing analysiert habe.
3) Von wegen "Alle Anlaßfälle hernehmen um die Brodnig-Generation in die Pfanne zu hauen": mein Senf zum angesprochenen MQ-Protest erkennt andere Schuldige und Probleme.
Einzelne Aussagen, so unangenehm sie einem sein mögen, schlicht hochzurechnen, um eine einfache Antwort geben zu können, ist nicht genug.
4) Dass die Reaktion auf die Haaf-Thesen (die immerhin im SZ-Magazin wochenlang für alle lesbar erschienen sind) in Österreich erst dann daherkommt, wenn ich das thematisiere, dann ist das durchaus ein Armutszeugnis. Und zwar für mangelnde Selbstreflexion; einer Journalisten-Generation.
Diese Debatte gehört längst und länger geführt, auch ohne Haaf und vor allem ohne mich.
Tut es aber leider nicht.
Also: don't kill the messenger.
5) Das zentrale Problem hat Frau Brodnig durchaus richtig zusammengefaßt: "Tatsächlich sind viele Ältere genauso dämlich wie wir, nur reden sie klüger daher."
Stimmt total.
Meine Konsequenz wäre a) sich weniger dämlich anstellen (zb weniger oberflächliche Rezeption) und b) klüger daherreden.
Ob eine beleidigte Replik allein das schafft, möchte ich bezweifeln.
Eine sinnhafte analytische Auseinandersetzung, die sich nicht darin genügt es jetzt einem bösen Typen ordentlich gesagt zu haben und sich dann wieder im Ablenkungs-Alltag verliert, sondern tiefer bohrt - das wäre klug.
Martin Blumenau am 09.09.2009 12:11.