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Pinguin

Hinweise zur geistigen Selbstverteidigung in Wirtschaftsfragen. Hauptwohnsitz: Zeitschrift Malmoe

8. 9. 2009 - 12:33

Zelteln an der Börse

Im Finanzzirkus-Zelt ist die (Börsen-)Welt noch heil.

Just im Moment ihrer größten Krise verspricht jemand Einsichten in die "Zukunft der Geldanlage". Bemerkenswert, denn in einem Umfeld, wo angesichts des angeschlagenen Images der Finanzwelt Banken in ihrer Selbstdarstellung damit wetteifern, wer konservativer und langweiliger ist, haben es Hedgefonds schwer. Obwohl sie keine prominente Rolle in der jüngsten Krise gespielt haben, gelten sie als Inbegriff jener Finanzwelt, die uns die Misere beschert hat.

Da heißt es behutsam sein: Das Riesenzelt, mit dem der österreichische Hedgefonds derzeit durch Städte in Österreich und Deutschland zieht, lockt folglich auch nicht mit vordergründiger Werbung, sondern präsentiert sich als Bildungsveranstaltung: Im "Investment World"-Zelt soll das Finanzwissen der Bevölkerung gehoben werden. "Finanzwissen ist der Schlüssel zum nachhaltigen Ausweg aus der Krise bzw. zur Verhinderung der nächsten Blase" – diese Wortspende kommt von Ex-Vizekanzler Erhard Busek anlässlich der Präsentation der "Bildungsoffensive" Ende August.

Offensive Bildung

"Finanzbildung" galt in den Jahren vor der Krise als das Zauberwort für die Beantwortung der Frage, wie auf die fortschreitende Ausbreitung komplizierter Finanzprodukte im Alltag zu reagieren sei. Dahinter steckt die reichlich naive Vorstellung, durch ein paar Schnellsiedekurse könnten KonsumentInnen in die Lage versetzt werden, irreführenden Beratungen und falschen Versprechungen etwas entgegenzusetzen. Die jüngste Krise hat eindrücklich gezeigt, dass sogar Profis entweder nicht genügend Wissen oder nicht genügend Zeit, Muße oder Anreize haben, um viele der neuen Finanzprodukte zu verstehen, mit denen in den letzten Jahren gigantische Geschäfte gemacht wurden. Deshalb waren die Bücher der Banken und Fonds voll mit Ramschpapieren, die sich in der Krise als wertlos entpuppten.

Während Bildung wenig nützt, um die Überlegenheit der Anbieter von Finanzdienstleistungen auszugleichen, so ist sie dennoch für etwas anderes sehr nützlich, zumindest aus Sicht der Finanzinstitute: Sie macht die Geschulten mit einer Welt vertraut, der sie vorher vielleicht skeptisch gegenüber gestanden sind und stärkt ihr Selbstvertrauen. Sprich: Macht sie zu einer willigen Kundschaft. Es geht also um Werbung.

Erlebnis Börse

Die "Geld-Erlebniswelt" ist imposant: Die Zeltverkleidung ist mit Zahlen geschmückt: "220 qm multimediale Erlebniswelt", "27 Fenster zur Finanzwelt", "über 150 Märkte bedeutet Handeln mit Verstand", "35 Minuten die ihre Sichtweise verändern".

Wer das Zelt betritt, erhält ein Kreditkarten-Lookalike, das Zugang zu diversen Spielstationen in der "Investment World" eröffnet. Eine Schautafel zeichnet das historische Auf und Ab der Börse nach und will augenscheinlich nahelegen, dass die Gesellschaft mit Finanzkrisen leben lernen muss. Allerdings: Hoffnung auf individuelle Rettung besteht durchaus – Wissen könne helfen Fehler nicht zu wiederholen, so die Botschaft im Zelt. Und zwar indem man verstehe, wie nicht bloß mit steigenden, sondern auch mit fallenden Kursen Gewinne zu machen sind. Dieses Versprechen führt ins Herz des Geschäftsmodells von Hedgefonds. Als mögliche Objekte solcher Anlagestrategien laufen etwa Rohstoffe auf einer Modellbahn vorbei, die sich naturgemäß im Kreis dreht.

Rohstoffbörse-Anzeigetafel aus weniger dynamischen Zeiten

flickr

Mit Käufen zum richtigen Zeitpunkt oder Leerverkäufen (also dem Verkauf des Lieferversprechens zu einem Zeitpunkt, wo man die Ware noch nicht besitzt, in der Hoffnung, man könne die versprochene Ware zum Lieferzeitpunkt billiger einkaufen, als man sie zuvor verkauft hat, weil sie mittlerweile im Preis gesunken ist) lässt sich an den Preisschwankungen von Rohstoffen und andere Waren verdienen. Weil diese Geschäfte im Verdacht stehen, etwa für die Schwankungen selbst und vor allem den Anstieg der Rohstoffpreise in letzter Zeit mitverantwortlich zu sein, haben die US-Behörden im Sommer Einschränkungen für Leerverkäufe auf diesem Markt verordnet.

Solcherlei Anrüchigkeit wird im Zelt mit inszenierter Alltagsverbundenheit kaschiert. Zwei Obsthändler-Puppen machen Futures-Geschäfte mit Orangen im Wiener Dialekt. Wer es abstrakter liebt, kann die Portfoliotheorie – eine mathematische Ausarbeitung des Lehrsatzes, nicht alles auf eine Karte zu setzen – anhand einer Maschine verstehen lernen. Diese Theorie war die zentrale Grundlage für die Bastelei mit komplizierten Finanzprodukten auf Basis von US-Immobilienkrediten mit zweifelhafter Kreditwürdigkeit, die die nunmehr zusammengebrochene jüngste Finanzmarktblase beflügelt hat. Wenn man ganz viele verschiedene Kredite zusammenbündelt und die Gläubigerrechte in Anteile aufteilt, die man in der ganzen Welt verkauft, dann ist damit das Risiko einzelner Zahlungsausfälle so breit verteilt, dass das Gesamtrisiko kleiner wird - so der Grundgedanke. Leider wurde dabei übersehen, dass es für die KäuferInnen von Kreditforderungs-Bündeln, in denen unzählige Kleinanteile unzähliger Kredite stecken, praktisch unmöglich wird zu überblicken, was sie da kaufen. Folglich ließ sich ganz gut Ramsch in das Bündel schmuggeln, ohne dass es auffiel. Und das wurde exzessiv getan – bis die Blase platzte.

wb

Von diesen Dingen erzählen die Obsthändler und Schautafeln im Zelt leider nichts. Wer bei den Obsthändlern auf gewinnträchtige Futures gesetzt hat, muss den Gewinn am Eingang abgeben. Der Veranstalter verspricht, die abgelieferten Beträge zu verdoppeln und für gemeinnützige Zwecke zu spenden. Vielleicht für Lebensmittelhilfe in Afrika, wenn die Börsenpreise für Reis, Weizen etc. wieder explodieren?