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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

7. 9. 2009 - 19:16

Wacky Werner rules the Lido

Wieso Werner Herzog immer noch einer der besten Regisseure der Welt ist. Und wieso seine Filme die Konkurrenz am Lido in den Schatten stellen. Eine Liebesgeschichte.

"Ridicule is nothing to be scared of" heißt es im schönen "Prince Charming" von Adam and the Ants: ein Regisseur, der diese Lektion bis ins kleinste Detail verstanden hat, ist Werner Herzog. Seit vierzig Jahren dreht der bayerische Visionär Filme wie sonst kein anderer: leidenschaftlich, exzessiv, bildgewaltig, naturmystisch sind diese Spaziergänge durch und Flüge über die menschlichen und gesellschaftlichen Seelenlandschaften, die sich im Werner-versum unweigerlich verbinden mit dem, was um "uns" herum passiert.

Werner Herzog

Kalibos

Werner Herzog, 2007

Gerade ist Herzog 67 Jahre alt geworden, sieht aber immer noch aus wie ein junger Wilder, nur halt mit grauen Haaren. Als wäre seine, ich mag hier nicht mit Superlativen sparen, beispiellose Karriere nicht ohnehin schon reich genug an Anekdoten und Geschichten - von denen viele nicht absolut wahr, aber "ecstatically true" sind -, ist dem Regisseur jetzt in Venedig eine weitere Sensation geglückt: als erster Filmemacher in der Geschichte nimmt er gleich mit zwei Arbeiten am offiziellen Wettbewerb eines A-Listen-Festivals teil. Und, wen überrascht’s, beide sind einzigartig, wahnwitzig, also herzogianisch bis ins kleinste Detail.

Als Festivalkritiker darf, kann und will ich nicht nur meinem persönlichen Gusto folgen, sehe demzufolge Filme aus vielen Genres, die ich privat nicht zu meinen Lieblingsgangarten zählen würde, traue mir also zu, einen Überblick zu haben, wenn es so etwas in einer digitalen Kunstproduktionswelt überhaupt noch geben kann. Aber es hat mir (ja, es wird schmalzig) die Tränen in die Augen getrieben, es hat meinen ganzen Körper, mein Hirn unter Strom gesetzt, diesen Haudegen und Renegaten des Weltkinos, den noch bis vor kurzem noch fast alle abgeschrieben und - aufgrund seiner diversen Spleens - lächerlich gemacht haben, so triumphal ins Rampenlicht zurück kehren zu sehen.

The Bad Lieutenant

Entgegen monatelangen Spekulationen und einer brodelnden Gerüchteküche ist "The Bad Lieutenant: Port of Call New Orleans" keine Renovierung von Abel Ferraras fast gleichnamigem Psychodrama-Meisterwerk mit Harvey Keitel. Und mal ehrlich: wer auch nur irgendeine Ahnung davon hat, wie Herzog funktioniert, denkt und arbeitet, hätte wissen müssen, dass er kein Remake drehen wird.

Nicolas Cage in "Bad Lieutenant: Port Of Call New Orleans"

Splendid/Fox

Nicolas Cage spielt darin den Lieutenant des Titels und damit die Rolle seines Lebens: weil der deutsche Regisseur jeden Schauspieler nicht nur physiognomisch, sondern auch charakterlich passend zur Rolle aussucht, spielt Cage - für mich schon seit geraumer Zeit eines der unvergesslichen Gesichter Hollywods, vor allem seit er begonnen hat, vorwiegend in B-Filmen aufzutreten - manisch, depressiv, schwitzend, exzessiv, körperlich. Wie ein Gespenst schleppt er sich durch Herzogs fiebriges Paralleluniversum eines kaputten New Orleans nach dem Hurrikan-Desaster, das im Zentrum der kaputten USA wie ein Herz auf Speed schlägt.

Nicolas Cage in "Bad Lieutenant: Port Of Call New Orleans"

Splendid/Fox

Der verrückte Cop nimmt Kleindealer hoch, lässt sich von einer jungen Frau den Crack-Rauch in die Kehle blasen, bevor er Schüsse in die Luft feuert und lachend von dannen zieht. Im Zentrum seiner irrlichternden Ermittlungen steht der Mord an einer sechsköpfigen senegalesischen Immigrantenfamilie: je mehr er darüber herausfindet, desto schneller lösen sich die durchlässigen Grenzen der Vernunftwelt auf.

Herzog und Mark Ishams pumpender Score-Teppich lösen – beinahe unmerklich – das Unbegreifliche aus dem scheinbar Alltäglichen heraus, stellen die Absurdität, Wahnsinnigkeit und schiere Demenz dessen aus, von dem das die humanitäre Katastrophe im post-Hurrikan New Orleans nur ein, aber ein für die westlich Welt deutlich verständliches Symptom ist. Der irre Leutnant, der bei seinen Ermittlungen auf Iguanas und winkende Krokodile trifft, ist ein Produkt seiner Umgebung, die Umgebung ist ein Produkt seiner Psyche. Herzog castet brillant, lässt Göttin Fairuza Balk in einer unvergesslichen Sequenz als Highway-Polizistin, Xzibit als Unterwelt-Gentleman, Eva Mendes als Edel-Prostituierte auftreten, während Cage schnupft, spritzt und inhaliert, was immer er finden kann. In einer klimaktischen Sequenz dieses mäandernden Meisterwerks gibt es einen Schusswechsel in Zeitlupe: am Ende steht der Cop in der Ecke, auf dem Boden tanzt ein farbiger Gauner Breakdance. Cage schreit: "Shoot him again! His soul is still dancing!"

My son, my son, what have ye done?

Ähnlich unfassbar ist Herzogs zweiter Wettbewerbsfilm "My son, my son, what have ye done?", der von David Lynchs neuem “Absurda”-Label (unter dem grad auch Jodorowsky dreht) finanziert worden ist. Basierend auf einer wahren Geschichte (eine Tatsache, die Mythomane Herzog vielleicht in einem Anflug von Selbstironie groß auf die Leinwand schreibt), spielt der großartige Michael Shannon einen jungen Mann, der mit seiner Mutter (die wundervolle Grace Zabriskie) in einem kleinen Haus in San Diego lebt.

Michael Shannon, Chloë Sevigny und Grace Zabriskie in "My Son, My Son, What Have Ye Done"

Kinowelt

Grace Zabriskie, Michael Shannon und Chloë Sevigny und in "My Son, My Son, What Have Ye Done"

Im Garten stehen seine beiden Flamingos, im Haus finden sich hunderte Bilder, Zeichnungen und Anspielungen auf die rosaroten Vögel. Herzog zeigt auch ihn, wie Cage im anderen Film, als Produkt seiner gebauten und künstlichen Lebenswelt, von der er sich erst losreißt, als er mit einigen Freunden bei einem Kanu-Ausflug in Peru ein spirituelles Erweckungserlebnis hat. Fortan bemerken seine Freundin (Chloe Sevigny) und der Regisseur des Theaterstücks, in dem der junge Mann eine Rolle hat (Udo Kier), Verschiebungen in seiner Persönlichkeit.

Michael Shannon und Willem Dafoe

Kinowelt

Michael Shannon und Willem Dafoe

„My son, my son, what have ye done?“ eröffnet am Schauplatz eines Verbrechens: Willem Dafoe untersucht den Fall eines Mannes, der seine Mutter mit dem Samurai-Schwert erstochen hat. Herzogs Film baut sich – wer hätte es gedacht? – nicht chronologisch auf, erinnert insgesamt an frühere Filme des deutschen Regisseurs: Wiewohl die Geschichte grundsätzlich weiter formuliert wird, fressen sich immer wieder poetische, anarchische Moment-Sequenzen durch und man sieht laufende Straußvögel („Dinosaurs in Drag“, wie sie Brad Dourif nennt), einen Zwerg, der auf dem größten Baumstumpf der Welt tanzt oder Udo Kier, dessen Brille von einem Tier gefressen wurde.

Die Zeit wird schon wieder zu knapp: ich werde mich bemühen, beim nächsten Mal noch einige meiner Höhepunkte in den Text zu quetschen, etwa den HK-Film "Accident", den famosen Kontemplationsfilm "Between two worlds" aus Sri Lanka, oder Shinya Tsukamotos "Tetsuo 3".