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Burstup

Physische Welt, virtuelle Realität. Politik und Kultur.

6. 9. 2009 - 10:37

Budapest Dignity

Parade hinter Gittern: Der ungarische Pride March blieb friedlich - unter exorbitantem Polizeischutz.

Faustgroße Steine, die von Neonazis auf lesbische und schwule DemonstrantInnen geschossen werden: Solche Szenen haben sich in den letzten zwei Jahren auf der "Budapest Pride Parade" bei unserem Nachbarn Ungarn abgespielt. Die Parade ist der jährliche Höhepunkt eines schon seit einigen Jahren existierenden, einwöchigen LBGT-Kulturfestivals. Rechtsextreme Gruppen hatten auch heuer wieder angekündigt, die schwulesbische Abschlussdemo verhindern oder angreifen zu wollen. Das hat einerseits dazu geführt, dass viele Menschen aus Ungarn nicht mehr teilnehmen wollten - andererseits dazu, dass die internationale Solidarität mit Ungarn größer geworden ist.

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Heuer hat auch die Stadt Budapest auf die rechte Gewalt der letzten Jahre reagiert: Der Pride March, kurzfristig in "Budapest Dignity" umbenannt, war von Tausenden Polizisten und mit kilometerlangen Zäunen und Gittern geschützt - so gut, dass es schon äußerst schwierig bzw. sogar unmöglich war, überhaupt zur Parade zu gelangen: Es gab nur einen einzigen Eingang am Budapester Heldenplatz. Mein Taxi blieb 300 Meter davor stehen, Polizisten und Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht versperrten den Weg.

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Obwohl der Veranstalter ausdrücklich davor gewarnt hatte, alleine und zu Fuß zum Eingangsbereich zu spazieren, musste ich das tun, vorbei an einer Gruppe von Nazi-Skinheads mit weißen Schuhbändern - die waren allerdings von doppelt so vielen Polizisten eingekreist.

Am Versammlungsort höre ich viele englisch- oder deutschsprachige Stimmen. "Solidarity Works" steht auf T-Shirts und Buttons. Eine schwedische Gruppe trägt "We march for those who can't".

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Selten habe ich eine Pride Parade so international erlebt. Aber wo sind die Ungarn? Eine Berlinerin, die mit ihren Freundinnen angereist ist, sagt: "Wir waren gestern in einem Gay Club hier in Budapest. Die Leute dort haben uns davor gewarnt, hierher zu kommen und gesagt, dass sie auch nicht kommen. Die Leute haben Angst, auf die Straße zu gehen - das zeigt, dass das gesellschaftliche Klima hier in Ungarn am Kippen ist." Gemeint sind damit nicht nur Gruppen rechtsradikaler Steinewerfer - auch seitens der konservativen Opposition hatte es im Vorfeld der Parade homophobe Äußerungen über die "Gefährdung der Moral" durch Budapest Pride gegeben. Justizminister Tibor Draskovics hingegen berief sich auf die Verfassung des Landes und versprach den Teilnehmern bestmöglichen Schutz: "Die Polizei wird starke Maßnahmen ergreifen, dass Lesben und Schwule ihre Meinung und ihre Zugehörigkeit zu einer Community ausdrücken können, geschützt durch die ungarische Verfassung."

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Andy Harley, Betreiber einer englischen News-Website, zeigt sich zufrieden über das Engagement der Regierung, die Parade heuer zu gut wie möglich zu schützen: "Ich denke, die Regierung fühlte sich in den letzten zwei Jahren blamiert durch das, was hier geschehen war. Sie hat heuer - nicht zuletzt auch aufgrund des Drucks der EU - alles getan, um die Demonstranten zu beschützen. Nur wird es deshalb heuer keine Zuschauer geben."

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Das Gitter wird geöffnet und die wartenden Menschen werden auf die prunkvolle Andrássy út eingelassen - ein
langwieriger Vorgang, denn jeder Rucksack wird kontrolliert.

Wir müssen sogar - vor Ordnern und Polizisten - einen Schluck von mitgebrachten Getränken nehmen. Es herrscht auch Angst vor Molotovcocktails, die letztes Jahr von Rechtsextremen in die Menge geworfen wurden.

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Jetzt zeigt sich, dass tatsächlich auch die gesamte Prunkstraße, auf der die Parade statfinden wird, mit Polizisten gesäumt ist. An Straßenkreuzungen wurden die Absperrgitter Hunderte Meter in die Seitenstraßen gestellt, um Rechtsradikalen keine Chance zu bieten, Steine und Flaschen in die Parade zu werfen.

Auf dem einzigen Lastwagen der Veranstaltung halten ungarische und internationale BürgerrechtsaktivistInnen kurze Ansprachen. Man dürfe dem Druck rechter Gewalt nicht nachgeben. Es gehe nicht nur um Ungarn, sondern um Menschenrechte in der gesamten EU. Der LKW setzt sich in Bewegung: DJ Vektor spielt zornige, harte Musik: Techno und Breaks, es ist Musik, die dich tanzen und gleichzeitig "Fuck You, Nazis" sagen lässt.

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Hin und wieder winken Menschen aus Fenstern angrenzender Wohnhäuser. Kellner und Gäste schauen neugierig aus angrenzenden Straßencafés herüber. Viele der jüngeren Polizisten wippen mit den Beats und lächeln. Die Stimmung ist jetzt etwas weniger nervös als zu Beginn, doch die ganze Situation hat etwas Groteskes: Fröhlichkeit mischt sich mit Traurigkeit über die Isolation des Pride Marches.

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Ein junger ungarischer Demonstrant drückt die Hand seines Freundes und zeigt auf ein Fenster, aus dem Menschen herunterwinken. "Ich glaube, dass es viel mehr Sympathisanten gibt, als man annimmt. Aber wegen ein bis zwei Tausend rechtsextremer Idioten sind viele nette Menschen heute nicht hier bei uns. Ich denke aber, dass wir in Zukunft wieder eine echte Parade haben werden."

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Nach Ende des Pride Marches am Elisabeth-Platz verschwindet ein Großteil der Teilnehmer rasch in den ebenfalls stark abgesicherten Metro-Stationen. Steine- und flaschenwerfende Demonstranten sah ich während der ganzen Parade nicht, allerdings meldete die Polizei Auseinandersetzungen zwischen steinewerfenden Nazis und Einsatzkräften, hasserfüllte Sprechchöre und das öffentliche Verbrennen einer Regenbogenfahne.

Dass eine Gay Pride Veranstaltung 2009 in der EU durch exorbitante Sicherheitsmaßnahmen geschützt werden muss, zeigt, dass LBGT-Bürgerrechte ständig eingemahnt werden müssen.

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