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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

4. 9. 2009 - 18:13

Journal '09: 4.9.

Final Words zu "In Treatment", Staffel 1. Und: warum "Zeichen" nichts können und immer erst im nachhinein angeblich so deutlich lesbar waren.

Heute läuft die letzte Folge der ersten Staffel von In Treatment, der famosen, weil so ernsthaften und deswegen so dramatischen "Shrink"-Serie. Als Süchtler hab ich sie, den unglaublich konsequenten Abschluss einer in sich wie der Montblanc ruhenden Menschen-Portrait-Galerie, längst auf irgendeiner hintertaiwanesischkoreanischen Site gesehen.

Interessanterweise hat diese Reihe über einen Therapeuten, seine Patienten und sein Umfeld, gerade weil sie sich so konzis an der klaren Form der Therapie-Stunde angehalten hat und gerade weil sie sich ins Allerintimste, ins Arzt-Patienten-Gespräch eingeklinkt hat, bei den Praktikern nicht beliebt.
Mit Praktikern meine ich Menschen, die selber zur Therapie gehen und sich deswegen auskennen, ablaufmäßig. Ich war mir gar nicht bewusst, dass ich da mehr als nur eine Ausnahme kenne, und wie durchaus selbstverständlich derlei im heutigen Alltag ruht.

Die Praktiker jedenfalls mochten "In Treatment" nicht.

In Therapie

Das lag auch daran, dass sie nur auf Fehler und Abweichungen schauen und Vergleiche suchen, anstatt die Serie auch (oder: vordringlich) als das zu nehmen, was sie ist: ein Vehikel für die Zeichnung menschlicher Seelenlagen, Emotions-Zustände und die Veränderung, die mittels Reflexion möglich ist.
Dass sich dafür eine (selbstverständlich nicht echte, selbstredend überzeichnete, natürlich teledramaturgischen Kniffen unterzogene) Therapie sehr gut eignet, overrult aber meiner Meinung nach die Bedenken der Professionisten.

Ich weiß, ich würde jede Radio-Serie, in der lächerliche Logiksprünge und falsche Arbeitsbedingungen herrschen würden, in der Luft zerreißen. Außer sie schafft es über die Darstellung einer speziellen Realität hinaus etwas Größeres abzubilden. Zum Beispiel, das was zwischen Menschen so passiert.
Das ist hier, bei "In Treatment", sag ich, gelungen - und muss die Praktiker schmollend zurücklassen, auch wenn sie im Detail noch so recht haben mögen.
Klar rufen sie mir nach, dir gefällt das, weil da Themen bearbeitet werden, die du im Speziellen aus deiner durchaus auch von einigen als Therapie benutzten Mitternachtssendung kennst. Das stimmt, auch da gibt es Spiegelungen, jugendliche Selbstmord-Kandidaten und Beziehungsgeflechtereien.
Aber letztlich sind das alles Dinge, die jeden von uns jederzeit und egal wo, erwischen können.

Der anstrengende Alex

Die Folge, über die ich am meisten nachgedacht habe, war eine ganz unspektakuläre, es war die letzte Stunde, die Dienstags-Alex beim Doc hatte. Am Freitag derselben Woche war er tot (in der Echtzeit-Simulation, die "In Treatment" so perfid betreibt, klappt das perfekt), Fliegerunfall.

Weil ich so doof oder so schlau war die Synopsen der Reihe (samt der Ausgangs-Position für Staffel 2) zu überfliegen, hatte ich eine ungefähre Ahnung der Entwicklung, die die Dinge nehmen würden.
Im konkreten, im Alex-Fall etwa, wusste ich, dass er bei einem Trainingsflug umkommen würde; und ich wusste auch, dass der Therapeut (und in späterer Folge auch der Vater des Toten) dahinter Selbstmord vermuten werden.

Alex ist ein anstrengender, überehrgeiziger, getriebener und von einer überdurchschnittlichen Intelligenz geplagter Kampfpilot, der nach einem Einsatz, bei dem er ein Massaker anrichtet, aus seiner mit viel Sorgfalt und enormer Gewalt und Wucht eingerichteten Lebensbahn (die ihn mit viel Mühsal durch seine komplexen Beziehungen mit Vater, Frau, Sohn, Army, schwulen Freunden etc steuert) gedrückt wird, und daraufhin langsam an seinen eigenen (den eigenen Leben gegenüber quasi neoliberalen) Ansprüchen scheiternd hin- und hergebeutelt wird.

Der selbstmörderische Alex...

Alex sucht Sinn und Erlaubnis, misstraut Autoritäten, ficht sie an, will aber Order - er ist ein furchtbarer Typ, eine Qual für jeden Gesprächspartner. Der Therapeut bleibt - meist - recht ruhig und räumt Alex in jeder Stunde die selbstgefällige und verlogene Selbstgerechtigkeit runter. Nur um dann später - bei seinem eigenen Counseling - die Qual mit diesem Menschen Stunden zuzubringen zu beklagen.

In seiner letzten Therapie-Stunde will Alex die Erlaubnis des Shrinks wieder fliegen zu können, die Bestätigung dafür, dass er psychisch fit dafür ist. Paul, der Arzt, sagt, dass er das nicht machen kann, weil er sich nicht sicher ist. Daraufhin sagt Alex: "Sie sagen aber nicht, dass Sie mir's untersagen!" und nimmt das, als Paul darauf nicht konkret eingeht, für sich als rechtfertigendes Okay. So funktioniert Alex, das wissen wir, nach dieser 6. oder 7. Woche.

Wer sich diese Folge, so wie ich, im Wissen um den bevorstehenden wahrscheinlichen Selbstmord ansieht, der zuckt bei dieser und bei etwa 10, 15, 20 anderen kleinen Szenen, Sprüchen, Anmerkungen, Zuckungen zusammen.
Weil überall die Ahnung drinhockt, weil jedes gedehnte Wort, jede zu düster geratene Metapher und jede Art von Abschiednahme zur Überinterpretation einladen.

... oder: die Chance das zu erkennen, lag bei Null.

Meine Test-Person, die die Folge ohne jegliche Beeinflussung sehen konnte, empfing all das nicht - es war bloß der übliche, anstrengende, alles auf sein Ego zentrierende Alex (eine brilliant gezeichnete Energieaufsauger-Figur), der manipulativ streunend Unsicherheiten austeilte.

Ich habe bei einem Rerun dieser Folge, nach der zehnten, im Wissen um sein Schicksal deutlichen Hinweis-Zeichen darauf mit der Stricherlliste aufgehört. Wenn man so will hat sich Alex in diesem Dialog sogar die Erlaubnis für seinen Selbstmord-Flug abgeholt.

Nun ist das alles keine neue Erkenntnis, wertvoll bleibt es trotzdem: dass nämlich "Zeichen" alleine völlig wertlos sind. Dass es erst der Bezugsrahmen ist, der sie sichtbar machen kann. Und dass es dringend nötig ist diesen Bezugsrahmen zu klären, also anderen zugänglich zu machen.
Weil die Zeichen sonst verpuffen.

Es gibt nichts Elenderes als nach einem Suizid, oder auch einem Amoklauf oder sonstwas ausheiteremHimmelpassierendem, die vielen nachgeschobenen Besserwisserein anzuhören. Plötzlich wird vorher nicht Beachtetes mit Bedeutung aufgeladen und - meist überdreht - hochgepitcht. Betroffene machen sich damit gerne noch zusätzlich fertig.

Das gilt nicht nur für Dramatisches, sondern auch den gern auf dieser Ebene abgehandelten Umgang zwischen den Geschlechtern.

So gesehen war die Alex-Episode in "In Treatment" auch ein vorgehaltener Spiegel, der zeigt, wie machtlos der Einzelne ist, wenn es um die Einschätzung des anderen Einzelnen geht.
Und wie sinnlos Andeutungen sind, wie wenig "Zeichen" können, wenn man keinen Decoder mitliefert.