Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Bald (nicht) im Kino"

Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

4. 9. 2009 - 18:09

Bald (nicht) im Kino

Die ersten Tage des Filmfestivals von Venedig servieren Kannibalen, Wikinger und andere Monster.

Es ist ein immer häufiger zu beobachtendes Phänomen auf Filmfestivals, dass man hier als akkreditierter Besucher Sachen zu sehen bekommt, die dann, in extremen Fällen auch für immer, aus der Öffentlichkeit verschwinden. Ich traue mich aber zu sagen, dass die Schere zwischen der Produktion eines Films und seiner Veröffentlichung selten bis nie so groß gewesen ist wie im Moment. Beinahe jeder nationale Verleiher, der bei Festivals für seinen Katalog scoutet, fährt eine beinharte Risikovermeidungspolitik: Damit meine ich nicht, dass keine formal oder inhaltlich experimentellen Filme mehr in die Kinos kommen, diese Zeit ist vorbei, die Idealisten sind (fast) ausgestorben. Nein, ich meine damit, dass mit bekannten Schauspielern besetzte Multimillionen-Dollar-Produktionen, die eine reguläre Kinoveröffentlichung brauchen würden, um einen Eindruck im Kulturgewe(r)be zu hinterlassen, oftmals nur mehr auf DVD veröffentlicht werden.

Ich bin kein Technikflüchtling, sehe mittlerweile auch mehr Filme digital als analog und im Kino: aber was mir aufstößt, ist die groteske Situation, dass man als Film(festival)journalist in Berlin, Cannes, Venedig, wo auch immer sitzt, diese Kunst vollkommen zu Recht feiert, (hoffentlich) mit Feuer und Eifer versucht, die jeweiligen persönlichen Favoriten und Entdeckungen in die Welt hinaus zu schreiben und dann bemerkt, dass kaum jemand die Gelegenheit haben wird, diese Filme zu sehen. Im Kino. Auf der großen Leinwand. Es ist kein Zufall, dass ich meinen kurzen Zwischenbericht von den Filmfestspielen von Venedig so eröffne: denn von den Arbeiten, die mich hier bisher am meisten beeindruckt haben, die meiner Meinung nach unbedingt und unweigerlich ein größeres Publikum bräuchten, wird, meinen Schätzungen zufolge im besten Fall einer in den österreichischen Kinos laufen.

The Road

Ein Film mit Viggo Mortensen, Robert Duvall und Guy Pearce, basierend auf einem Roman des Schriftstellers Cormac McCarthy, inszeniert vom australischen Ausnahme-Regisseur John Hillcoat. The Road hat meine hohen Erwartungen übertroffen: Mit einer bemerkenswerten Beiläufigkeit und Ruhe erzählt das existenzialistische Thriller-Drama von einer Welt nach dem Ende, von einem Seinszustand. Es geht um das ziellose (denn was gibt es noch, nachdem nicht mehr ist?) Wandern auf der Titel gebenden Straße: ein Witwer (Mortensen) und sein Sohn versuchen im ewigen Grau aus toter Welt und Ascheregenfällen zu überleben, essen Insekten, sammeln Regenwasser, steigen in die Häuser, durch die Leben der Toten, um dort von dem zu zehren, was liegen geblieben ist. Produziert wird nichts mehr, weder von der Natur noch vom Menschen: der Stand der Dinge liegt vor einem und verwest. Es kommt nichts Neues hinzu.

Straße

2929/Dimension Films

Viggo Mortensen und sein Sohn unterwegs im Nirgendwoland USA. "The Road" ist ein Meisterstück, das es vielleicht nicht in die österreichischen Kinos schaffen wird.

Hillcoat begreift McCarthys dunklen Roman vollkommen, biegt ihn nicht zur Allegorie um, geht mit keinen überflüssigen Bedeutungen schwanger. Alles, was man sieht, IST einfach und es ist so hinzunehmen. Vater und Sohn müssen sich verstecken vor den umherziehenden Hyänenmenschen, die mit rostigen Flinten und Messern Jagd machen auf die Schwachen und Kaputten. Finden sie dich, dann töten, dann fressen sie dich. In einer Sequenz geht man durch ein Haus: Ein Klavier, ein Tisch, Teller, Besteck liegen herum wie Artefakte aus einer vergangenen Zeit. Im versperrten Keller vermutet man Vorräte, hinunter gestiegen, landet man in der Hölle. Abgemagerte, Blut verschmierte Menschen, schreiend, brüllend, grunzend. Einer hält seinen blutigen Stumpen in die Kamera: Sein Unterschenkel ist ihm abgetrennt und verspeist worden. Man ist in einer Vorratskammer. Dann hört man Geräusche. Die Kannibalen kommen nach Hause.

Mann mit Bart

thewrap.com

Geruch der nackten Angst: Vater und Sohn auf der Flucht vor den Menschenfressern

„The Road“ ist seit über einem Jahr fertig gestellt, Regisseur Hillcoat arbeitet mit seinem guten Freund Nick Cave bereits an einem neuen Projekt. Er wurde zwischen Prouduktionsfirmen hin und her geschoben. Jetzt ist er da und keiner weiß viel damit anzufangen. „The Road“ ist kein kommerzieller Film, sein Potenzial an der Kinokasse beschränkt. Österreichischen Verleiher hat der Film keinen, wird er auch keinen mehr bekommen, sollte nicht noch ein Wunder passieren.

Wikinger

www.filmofilia.com

Valhalla Rising

Noch weniger Chancen darauf, von einem breiteren Publikum wahrgenommen zu werden, hat „Valhalla Rising“: Der dänische Genre-Avantgardist Nicholas Winding Refn (Pusher, Bronson) entwirft darin Bilder von der Reise einer Hand voll Nordmänner gen „Paradies“, zeigt diese Christen-Ritter, die im Heimatland die Heiden reihenweise abschlachten und verbrennen, als Barbaren, strukturiert seinen Film in sechs Kapiteln als eine von einem auf- und abschwellenden Rock-Score angetriebene Höllenfahrt. Die Bilder sind farbreduziert auf eine schattierte Umwelt, aus der aufgebrochene Schädel, Gehirn und Gedärm heraus leuchten. Alles steuert auf eine Auflösung des Individuums im historischen Bewusstsein hinaus: Die Wikingermänner steuern ihr Boot (sie wollen nach Jerusalem) durch einen undurchdringlichen Geschichtsnebel, saufen Salzwasser, haben Höllenvisionen. Angekommen in der Neuen Welt folgt die Massakrierung durch „die anderen Wilden“. „Valhalla Rising“ ist ein undurchdringlicher Stimmungsbastard von einem Film, eine Arbeit, die man in der derzeitigen Produktionslandschaft eigentlich gar nicht mehr für möglich halten würde. Refn schiebt avantgardistische und exploitative Ästhetiken unvermittelt ineinander. Sein Film wirkt beizeiten wie eine Landschaftsstudie von James Benning, wie ein Sprechtextfilm von Straub/Huillet, wie ein Wikingermassaker von Lucio Fulci.

Nicht nur geiler Spannungsfilm

Eindeutiger in seiner Ausrichtung ist "REC2", die Fortsetzung zum spanischen Erfolgsschocker von vor zwei Jahren, wieder inszeniert von den katalonischen Kapazundern Jaume Balagueró und Paco Plaza. Er startet Sekunden nach der Handlung des ersten Teils: Das Fernsehteam, das eine Gruppe von Feuerwehrleuten bei einem vermeintlichen Routineeinsatz in ein Wohnhaus begleitet, dessen Bewohner von einem mysteriösen Virus in Zombies verwandelt worden sind, wird ersetzt durch eine SOKO-Einheit, die ihren Einsatz zu Dokumentationszwecken mitfilmt. Eine Zeitlang läuft die Fortsetzung auf den erwartbaren Spannungsbahnen entlang, aber spätestens in der Mitte, wenn die Hauptfiguren plötzlich wechseln und vollkommen neue Figuren ins Spiel eingeklinkt werden, hat man eine Ahnung davon, wo das Regie-Duo hin will. Sie haben wenig Interesse daran, ihre Erfolgskuh zu melken: Sie treiben die Geschichte in eine andere, eine fantastischere Richtung, behalten aber die Intelligenz des Originals bei. Denn das war nicht nur ein geiler Spannungsfilm, sondern auch ein schlauer Kommentar zur gegenwärtigen Bildproduktion, wie eine Kamera vom voyeuristischen Instrument zum Hilfsmittel zum Überlebenstool werden kann. In "REC2" erhält der Apparat sogar metaphysische Dimensionen, wenn die von den Monstren Bedrängten feststellen, dass sie nur in vollkommener Dunkelheit, durch das Einschalten des Nachtsichtmodus zur Wurzel des Übels vordringen können.

Zombie

image.net

REC2

Drei Filme, die für eine lange Zeit bei mir bleiben werden, über die ich reden und schreiben, die ich empfehlen, für dich ich werben werde. Weil ich will, dass sie jeder sehen kann, dass sie bekannt werden. Und es macht mir sehr traurig und wütend zu wissen, dass dem nicht so sein wird. Weil das Kino seine beste Zeit schon hinter sich hat.