Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Der sicherste Ort der Welt ist das Bett"

Martina Bauer

Geschriebenes und zu Beschreibendes. Literatur und andere Formate.

3. 9. 2009 - 15:05

Der sicherste Ort der Welt ist das Bett

"Ich bin 'ne im Bett-Liegerin", ließ mich Frau Berg einst im Interview wissen auf die Frage, ob sie eine Wegfahrerin oder Zuhausebleiberin sei. Das Reisen liege ihr eigentlich gar nicht so. Und eben dieses Empfinden steckt auch in ihrem neuen Roman "Der Mann schläft".

Die Protagonistin fühlt sich am wohlsten, wenn sie sich liegend "ein Nest in seinen Bauch" bauen kann und ihr größtes Unglück bricht folgerichtig dann herein, als sich das Paar fernab der Heimat auf einer chinesischen Insel befindet. "Wir sollten verreisen (…) das war ganz sicher der dümmste Gedanke, den ich im meinem ganzen Leben gehabt habe."

Verlag Hanser

Im neuesten Bergwerk geht es (wie schon so oft) um die Abwesenheit der Liebe. Aber auch: um ihre Anwesenheit sowie eine damit verbundene Verlustangst. Plus: die Auswirkungen des Nicht-Mehr-Besitzens.
"Der Mann schläft" bewegt sich auf diesen drei Gefühlsebenen - in den dazugehörigen, sich abwechselnden Zeitebenen. Operiert wird diesmal nicht mit einem Personenkarussell, sondern mit nur einer Hauptperson. Der Frau. Die wiederum in den verschieden Gemütsverfassungen so unterschiedlich wirkt, als wäre sie viele.

Ohne Liebe

Handlungsstrang eins präsentiert uns die Frau als – so würde zumindest ich es bezeichnen – Verbitterte. Eine in die Jahre gekommene Person, die jüngeren Männern hinterher jagt, wohl wissend, dass sie sich dabei lächerlich macht. Gleichzeitig aber glaubt, es nicht besser verdient zu haben. Ihre Meinungen sind gefühlskalt, festgefahren. Die Welt und die Menschen findet sie erbärmlich und uninteressant. Mich hat diese Frau geärgert, manchmal beinahe angekotzt. Wie eine alte Schreckschraube kommt sie daher, die mir ihre Ansichten aufzwingen will - vielleicht nicht das Schlechteste, was man von einem Buch behaupten kann: dass es einen aufregt.

Voll der Liebe

Handlungsstrang zwei ist eine wunderbare Liebesgeschichte. "Wir umarmten uns, und ich wusste, dass ich aus diesen Armen und von dem festen runden Leib nicht mehr weg wollte."
Sowohl Frau als auch Mann bleiben bis zuletzt namenlos. Was wir von ihnen erfahren ist, dass sie Gebrauchsanweisungen verfasst, er sich im Holzgeschäft verdingt. Sie scheint zart, eher klein zu sein, denn er wird als Bär, doppelt so groß und Rotschopf beschrieben.
Es ist eine bedingungslose Liebe, von der hier erzählt wird. Man nimmt einander wie man ist, freut sich daran, dass der andere ist, will nichts verändern an ihm. Eine Liebe frei von krachender Leidenschaft, vielmehr ein herrliches Schweigen, ein Sich-Nebeneinander-Wissen.
Unkitschig schön.

Schriftverkehr

Und wo wir schon bei der Liebe sind, denke ich bei mir, muss ich Frau Berg jetzt was fragen. Und weil das Interview leider ins Wasser gefallen ist, tippe ich in den Computer: Wenn so ein neues Buch in den Läden steht, was ist das für ein Gefühl? Vielleicht in etwa so, wie wenn man guten, alten Freunden eine neue Liebe vorstellt?
Sie: "Es ist leider viel schlimmer. Auf eine neue Liebe ist man stolz. Man ist von ihr überzeugt, und man ist vor allem nicht allein, wenn man den Freunden gegenübersteht. Ein Buch im Laden hat für mich immer etwas Jämmerliches. Ein-zwei Jahre Arbeit für etwas, das zwischen Tausenden seiner Art steht. So recht überzeugt davon ist man auch selten, es sei denn man ist ein Idiot."

Autorin Sibylle Berg

Katja Hoffmann, Berlin

Und wie würde Frau Berg die abgedroschen schöne Floskel Liebe = ... auffüllen? Sie schreibt, "wie eine kleine Melodie aus einem französischen s/w Film (…) dieses kleine Lied. Es wärmt, es macht traurig, weil man weiß, dass wir vergänglich sind."

Nach der Liebe

Und vom Entschwinden erzählt Handlungsstrang drei. Der Mann und die Frau im Urlaub (auf besagter chinesischer Insel), als er eines Tages weg ist. Die Frau gerät außer sich. Zuerst sucht sie, dann siecht sie, dann gibt sie sich beinahe auf. Dieser Strang war mir in seinen Zustands- und Situationsbeschreibungen etwas zu redundant. Insgesamt kommt er beinahe surrealistisch daher, birgt dabei aber Tiefgehendes. Etwa, wenn einer vom Tod seiner Partnerin spricht: "Das ist der schlimmste Moment jetzt, irgendwann zu Bett gehen zu müssen. Zu wissen, es ist leer, es ist da niemand, es ist wie allein auf einem Boot ohne Ruder auf hoher See."

Verlag Hanser

"Der Mann schläft" von Sibylle Berg ist bei Hanser erschienen

"Der Mann schläft"

ist sehr bergisch und auch wieder nicht. Die Liebesgeschichte auf diese Art ist zwar neu, passt aber perfekt ins Bild. Die gewohnten Tiraden über die Gesellschaft und ihre Stereotypen, das Anschreiben dagegen finden sich natürlich auch. Allein, manchmal kam es mir dabei so vor, als würde sich der Altersunterschied zwischen Frau Berg und mir gerade in einer Schieflage befinden. Ich war nicht ganz zuhause. Es ratterte sprachlich auf andere Weise - nicht ganz so heranwachsend?
Frau Berg zum Thema Vehemenz: "Ich bin weniger wütend als früher. Ich will die Welt nicht mehr retten. Nicht mehr laut schreien: Wacht auf. Das ist ein Unterschied, ansonsten hat sich wohl nicht viel geändert. Ich werde weiter versuchen, die Welt als absurdes, komisches Monstrum zu schildern, und ich werde vermutlich immer versuchen, es unterhaltsam und komisch zu tun."

...vielleicht bin ich derzeit noch zu wütend.