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Clara Trischler Jerusalem

Erzählt an dieser Stelle über israelische Alltagsbeobachtungen.

21. 9. 2009 - 11:18

Das erste Meer

Kinder aus dem meerlosen Westjordanland am israelischen Strand.

"Bat Yam" heißt
"Tochter des Meeres"

Eines Morgens im August fahre ich ans Meer von Bat Yam.
Auf den leeren, blau-gemusterten Strohstrandmatten liegt eine Sammlung aufgeblasener Schwimmreifen in allen möglichen Größen und neonfarbenen Mustern. Es ist acht Uhr früh.

Gestapelte Strandstühle

Clara Trischler

Weiße Sonnenmilch, orangene Flügel

Die palästinensischen Kinder laufen auf die schattigen Strandlauben zu, manche Burschen posieren mit ihren angespannten Muskeln vor meiner Kamera. Sie werden mit hellblauen Bechern Wasser begrüßt und von ihren Müttern umgezogen. Nach dem Eincremen bleibt noch ein weißer Sonnenschutzfilm auf der Haut, dann werden viele orangene Schwimmflügel auf Kinderärmen aufgeblasen.

ein palästinensisches Kind mit weißem Sonnenschutzmittel auf der Haut

Clara Trischler

Im Sommer wird von der israelisch-palästinensischen Bewegung "Combatants for Peace" jede Woche ein Tagesausflug mit palästinensischen Kindern und Müttern aus dem meerlosen Westjordanland an den israelischen Strand organisiert.

Viele der Kinder haben in ihrem Leben noch nie das Meer gesehen, weil sie für die Ausreise nach Israel eine spezielle Genehmigung brauchen.

Familien erreichen den Strand

FM4 / Clara Trischler

Salz auf der Haut...

Erstaunte erste Blicke, das Gefühl des warmen Wassers am Bein. Es hat etwas sehr Persönliches, Kinder bei dieser ersten Begegnung zu beobachten, als würde ich ihnen dabei zusehen, wie sie zum ersten Mal ohne Stützräder Fahrrad fahren.
Der hyperaktive kleine Macho, der im Wasser erst sehr verspielt Menschen anspritzt, läuft mit Salzwasser in den Augen tränend aus dem Meer. Das aufmerksam blickende kleine Mädchen mit Haarreifen in ihren kurzen Locken fürchtet sich und spielt im blauen Planschbecken zwei Meter vor dem Ufer.
Ein 13jähriges Mädchen lernt das Schweben auf dem Wasser von Becky, einer jungen amerikanischen Freiwilligen, die sie erst auf der Wasseroberfläche trägt.

Spritzschwimmender Bub

FM4 / Clara Trischler

... und der Wunsch nach Schnee

Später werden die Kinder nach ihren Wünschen gefragt. Zwei wollen Frisör werden, andere chemischer Ingenieur oder Braut und Bräutigam. Manche wünschen sich das Meer, Strand oder die Befreiung Palästinas. Ein Kind wünscht sich seinen Vater aus dem Gefängnis zurück, ein anderes Schnee und einer malte ein Herz um den Namen einer jungen Freiwilligen und sich, "Ofra + Muhammad".

Racheli ist eine der israelischen Frauen um die fünfzig, die diese Treffen am Leben halten. Sie findet es schade, diese Kinder aus einer abgesperrten Zone wie dem Westjordanland zu holen und den Schwimmbereich dann mit Bojen abgrenzen zu müssen, damit die Kinder nicht außerhalb des seicht-sichtbaren Bereichs kommen.
Bemerkenswert viele versuchen auch, über diese Grenzen hinauszuschwimmen.

Israelische Freiwillige im Wasser mit palästinensischem Burschen

FM4 / Clara Trischler

Einwegkameras und das stille Reden

Die Freiwilligen kommunizieren mit den Kindern und Müttern durch Gesten, Grimassen und Berührungen. Das passiert still, man zieht einander an den Schwimmreifen mit, spritzt sich gegenseitig an, lächelt, dreht sich an den Händen im Kreis oder versucht, nacheinander Worte in der Sprache des anderen nachzusagen.

Eine der Mütter hat eine Einwegkamera gekauft und macht Bilder, die bald zu Erinnerungen werden. Einige wenige lassen sich selbst, vollständig angezogen, in großen Schwimmreifen im Meerwasser treiben.

Mütter im Meer

FM4 / Clara Trischler

Es ist leicht, süße Fotos von palästinensischen Kindern zu machen. Politisch aussagekräftig ist es nicht.

Weil es einfach ist, sich aus diesen Bildern und Gehörtem sein einseitiges, selbstgefälliges Weltbild weiterzuspinnen. Es ist bemerkenswert, dass diese Art von Friedensarbeit von israelischen Frauen gemacht wird. Und durch einen Dialog im Meer mit Racheli wird mir klar, dass sie nicht gegen Israel kämpfen, sondern genau wissen, warum sie existieren.

Aufarbeitung in Österreich?

Touristenstrandfrauen

FM4 / Clara Trischler

Strandbesucherinnen

Racheli spricht mich im Meer völlig unvorbereitet darauf an, ob der Holocaust in Österreich unterrichtet werde? Ihre Mutter hat ihn überlebt und reist oft nach Deutschland, wo SchülerInnen sehr viele Fragen zu ihrer Geschichte stellen. Bei den wenigen Einladungen in Österreich war das ganz anders.

Das ist etwas, das mir vor meinem Leben in Israel nicht klar war - wie groß der Unterschied zu Deutschland ist, das sich gleich nach dem Krieg seiner Schuld stellen musste. Wie viel später in Österreich auch nur mit Restitutionszahlungen begonnen worden ist. Oder warum jedeR junge Israeli mit der Schule nach Auschwitz fliegt, im österreichischen Unterricht Mauthausen-Besuche aber vom Engagement der LehrerInnen abhängen?

Strandsonnenstuhl im Sand

FM4 / Clara Trischler

Am Tag in Bat Yam wird es schließlich spät, der Kleinste, der immer noch Sonnenschutzmilch an der Wange hat, ist in seinem gelben Schwimm-reifen eingeschlafen, die Bustüren schließen sich und die luftleer im Sand verstreuten, vernachlässigt verteilten Schwimmreifen, die bleiben.