Erstellt am: 31. 8. 2009 - 17:31 Uhr
Flüstern war gestern
Die Einstürzenden Neubauten toben im Inneren eines Brückenpfeilers und bearbeiten barbarisch ihre Indrustrieschrott-Instrumente, daneben schüttelt sich eine Gruppe wild gewordener Sektenmitglieder zu den Tönen von Sonic Youth den Teufel aus dem Leib und ein paar Schritte weiter zelebrieren The Velvet Underground auf einem Psychatriekongress einen sadomasochistischen Peitschentanz:
Linz09
Im Rahmen vonLinz 09
Schönen Nachmittag! Die verstörend-faszinierenden Stücke in der Ausstellung "See this Sound - Versprechungen von Bild und Ton" sind ein Teil der lose miteinander verwobenen Forschungsobjekten, denen sich die Schau im Linzer Lentos widmet. Statt in andächtiger Stille durch eine weiße Museumshalle zu traben, darf hier nun bis Jänner 2010 getobt werden. Zu Industrialgewitter und experimentellen Filmperformances von Throbbing Gristle, gedreht von Derek Jarman zum Beispiel auch.
Popkultur vs. Museum
FM4/ Alexandra Augustin
Da stellt sich natürlich für viele ersteinmal die Frage nach einem "Wieso". Wieso Videos von The Velvet Underground und Performances von Throbbing Gristle und den Neubauten auf eine leere Museumswand projezieren? Subkulturelle Relikte im sterilen Museumskontext auf Podeste gepappt wirken meist deplatziert. Das haben schon
einige davor erfahren müssen.
Aber es handelt sich bei der Ausstellung "See this Sound - Versprechungen von Bild und Ton" glücklicherweise nicht um einen konstruierten Versuch, ein Abbild einer Ära schaffen zu wollen. Und der Ausflug in die Popkultur, in der Bild und Ton für Augen und Ohren des Betrachters nachvollziehbare und (nicht zuletzt durch das Fernsehen längst) gewohnte gemeinsame Wege beschreiten, ist nur nur ein Teil und der Anfang einer Reise durch eine Vielzahl an Möglichkeiten, wie sich akustische und visuelle Welten seit dem frühen 20. Jahrhundert miteinander verschränken.
In acht Bereichen werden in der Schau sämtliche Stationen erforscht, an denen sich KünstlerInnen mit Sound, Komposition und visueller Darstellung gleichsam beschäftigt haben und Querverbindungen zwischen Popkultur und bildender Kunst sichtbar gemacht. Das beginnt bei den ersten filmischen Klangvisualisierungen der 1920er Jahre und geht bis zur Techno- und VJ-Kultur.
Drone-Marathons und Psychatriekongresse
Verstrickungen und Verbindungen werden sichtbar, wenn sich neben der Videobox mit einem Screening der allerersten The Velvet Underground-Performance überhaupt auf einem Psychatriekongress ein sogenanntes "Dream House" befindet.
Velvet Underground-Mitbegründer John Cale war einst auch im Minimal Music-Ensamble "The Dream Syndicate" des Komponisten
La Monte Young mit an Board. Heftige, stundenlange Drone-Marathons wurden zelebriert. Eine Zusammenarbeit, die dem Musiker nicht zuletzt auch als Inspiration für den weiteren musikalischen Weg mit The Velvet Underground dienlich war.
La Monte Young wiederrum schuf gemeinsam mit seiner Partnerin Marian Zazeela in Form dieser Dream Houses audiovisuelle Ausnahmewelten, in denen verstörender Sound- und eigenwillige Lichtkompositionen regieren.
Wer Lust hat, sich seine Lichter kurz auszuknipsen, darf nun so ein solches Dream House im Lentos Museum besuchen.
FM4/ Alexandra Augustin
Und in einem Dream House schaut es in etwa so aus, wie man sich das Wohnzimmer von Herrn David Lynch wohl vorstellt:
Grelle lila Beleuchtung und heftiger, wummernder Drone: Ein Overload, der einem ordentlich die Gehirnwindungen durchputzt und einem auf eine äußerst windschiefe Wahnnehmungsebene befördert. Am besten soll es ja sein, wenn man möglichst lange in diesen Räumen verweilt. Die Rede ist hier nicht nur von ein paar Minuten, sondern bitte sehr ganze Tage, Monate, Jahre! So wie La Monte Young und Marian Zazeela es zelebiert haben: Direkt über einem solchen Haus haben sie gewohnt und sich tagaus-tagein mit diesen Sinustönen beschallt. Drone schon zum Frühstück, Mahlzeit!
Auch bei Brion Gysins Dreammachine steht Bewusstseinserweiterung am Speiseplan, ein paar Meter weiter im Lentos:
Lentos Museum
Eine Lampe mit Schlitzen versehen auf einen Plattenspieler gestellt, schnelle Drehbewegungen, Augen zu und fertig ist der neue Geisteszustand. Heutzutage erledigen das ja vielleicht Stroboskopanlagen in Großraumdiscos, damals Ende der 50er Jahre war das aber eine einzigartige Maschinerie.
Den Beatpoeten William S. Burroughs hat es zum Schreiben animiert, Andy Warhol hat sich auch gerne davor hingesetzt, genauso wie der avantgardistische Video-Künstler, Filmemacher & Musiker Tony Conrad. (Und auch Tony Conrad war wiederrum Mitglied beim Dream Syndicate, so schließt sich der Kreis)
Nicht auszudenken, welcher Output gar nicht erst Zustande gekommen wäre, wenn nicht sämtliche Kinder der 60er Jahre eine solche Dreammachine im Wohnzimmer stehen gehabt hätten!
(Bauanleitung: hier!):
Gleich neben der Dreammachine läuft passenderweise der Film
"The Invasion of Thunderbird Pagoda" von 1968. Traumsequenzen unter Opiumeinfluss und eine Portion Schamanenrituale. Da schlägt das Psychedelikerherz höher!
Abseits von neuen Wahnehmungsweisen gibts aber noch einiges mehr zu entdecken:
Vom Fluxus-Künstler Nam June Paik die bekannte Tonbandskulptur Random Access. Zerlegte Tonbänder an die Wand gepickt, die man mit einem umgebauten, flexiblen Tonkopf abfahren darf und sich so seine individuelle Komposition zusammenreimen kann. Klingt ein wenig nach DJ-Gescratche und ist nicht nur zum Anschauen, sondern eben zum Mitmachen gedacht.
FM4/ Alexandra Augustin
Fluxus und Kunstwodka
Rodney Graham
Auch die avantgardistischen Fluxusarbeiten von Nam June Paik stoßen im musealen Kontext - ähnlich wie die popkulturellen Arbeiten etwas an ihre Grenzen. Eine Problematik, der sich Kuratorin Cosima Rainer durchaus bewusst ist und die durch andere Arbeiten, etwa durch die des Künstlers
FM4/ Alexandra Augustin
Rodney Graham gleich nebenan abgefedert und eben hinterfragt werden: Den Idealismus und die Versprechungen der vogelfreien Kunst der 60er Jahre, die schnell ihren Weg in die Museen gefunden hat, nimmt Rodney Graham auf die Schippe: In der 16mm-Schwarz/Weiss-Videoarbeit "Lobbing Potatoes at a Gong 1969" von 2006 wirft der Künstler im karierten Hemd letargisch und gelangweilt in einer fiktiven, ins Absurde gleitenden Fluxusaktion Kartoffeln auf einen Zen-Gong. Um danach Wodka aus ihnen zu brennen.
Brennmaschinerie inklusive befüllter Flasche sind als ironischer Seitenhieb auf einem Sockel und in einer Glasvitrine zu bewundern:
FM4/ Alexandra Augustin
Datenwüsten und Kettensägenmassakermelodien
Wem am Ende der Schau noch immer nicht die Ohren und Augen schmerzen, darf sich dann noch am zgodlocator versuchen. Was nach einer finnischen Metalband klingt, hört sich auch ebenso an: Kettensägenmassaker-Melodien treffen auf einen Datenfriedhof der anderen Art, dabei soll das alles gar ein Musikinstrument sein, wie der Künstler Herwig Weiser erklärt.
FM4/ Alexandra Augustin
Zu Staub zermahlene Computerfestplatten auf eine Platte gehäuft. Zwei Controller daran angeschlossen, mit denen man Strom durch die Platte jagen kann, fast so als würde man gerade mit der Playstation spielen. Der metallische Staub reagiert auf den elektromagnetischen Strom und bildet eigenartige, sich blitzschnell bewegende, unheimliche (Lebens-) Formen.
Skurril. Wie das ganze aussieht und sich anhört schaut man sich am besten, so wie die anderen Exponate auch, aber selber an:
See this Sound - Versprechungen von Bild und Ton findet bis 10.01.2010 Im Lentos Kunstmuseum Linz statt.