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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

29. 8. 2009 - 20:15

Journal '09: 29.8.

Die Resilienz und die Rückkehr des Generalisten.

Im diesjährigen Journal-Projekt sind Listen durchaus keine Seltenheit. Listen, die manchmal Anforderungen beschreiben, manchmal sowas wie To-Do-Listen sind, manchmal aber auch nur Sammlungen von Möglichkeiten darstellen. Das Thema fast immer: Die neue Situation, in der sich die Medien befinden und vor allem der Umgang mit dem Netz.

Bislang war es so, dass diese unabsichtliche Serie zumeist aus Blogs gespeist wurde. Kein Zufall, weil unabhängiges Denken letztlich nur in einem Forum stattfinden kann, in dem Subjektivität kein Vorwurf, sondern anzustrebendes Ziel ist.

Aus dem Mainstream, den Medien, kam zu alledem bislang praktisch nichts. Das hat - neben den dortigen starren Strukturen - auch mit einem österreichischen Spezifikum zu tun: einem Fehlverständnis des Begriffs der Objektivität.
Während das weltweit als Annäherungswert betrachtet wird, den man mittels so schlauer Fakten-Sammlung und Verknüpfung umkreist, versteht man das hierzulande als "Es jedem recht machen" miss.

Raus aus der PR-Ära

Journalistische Objektivität hat aber nichts mit Äquidistanz und einem ubiquitären Einbringen sämtlicher Positionen zu tun - das beschreibt eher den staubtrockenen akademischen Ansatz und kommt dem biederen Copypaste-Journalismus unserer PR-Ära entgegen - sondern bezeichnet nichts als die Offenheit für Interessantes. Gleichwohl aus welcher Ecke, von welcher Seite oder mit welchem Ansatz.
Insofern spiegelt das Netz, dessen Philosophie diese Grundsätze enthält, dieses schillernde Denken auch viel mehr wider als die alten Medien.

Umso überraschter war ich ausgerechnet in einem Medium, das letztlich gleich doppelt Old School ist, etwas zu finden, was sonst nur in Blogs kursiert.
Das Medianet startete als werktägliche Fach-Zeitung für den Media/Werbe-Bereich und war, wie viele Projekte, in der ersten Phase recht ambitioniert, wurde später dann aber zunehmend eine Präsentationsfläche für PR, wie die meisten sogenannten Medien-Fachblätter.
Mittlerweile erscheint man zweimal die Woche, nennt sich Wirtschafts-Fachtageszeitung und enthält diverse Beiblätter (im Zeitungsgewerbe nennt man das "Bücher"), mit schönen Namen wie retail oder financenet, wo sich Firmenberichte neben entsprechenden Inseraten tummeln.

Meta-Trend Resilienz

1. Neuer Urbansimus.
Die Resilienz führt dazu, dass sich vor allem städtische Gesellschaften nach Krisen recht problemlos wieder in die Normalität zurückfinden. US-Beispiel: New York nach 9-11. Berlin trotz Dauerkrise. Gegen-Beispiel: New Orleans. Die zentrale Frage ist, ob man die Opferrolle verlassen kann, wie gut das soziale Netzwerk der Kommunen klappt.

2. Survival.
Die Outdoor-Industrie ist, durch die Krise verstärkt, zu einer Survival-Industrie geworden. Es geht also nicht mehr nur um lässige Jacken, sondern um das gute alte Bunkern.

3. Tauschen.
Auch so ein Krisen-Kind: wo weniger Geldfluss stattfindet, steigt der Tauschhandel. Das wird ebenso von neuen dörflich-urbanen Strukturen als auch durch die Tauschbörsen im Netz unterstützt.

4. Kontrolle übers Essen.
Ich will statt ich darf. Kontrolle statt andauerndem Mißtrauen. Hohes Bewusstsein, was Nahrungs-Qualität betrifft. Klingt, vor allem für Junge, ganz selbstverständlich, war aber vor 10 Jahren noch unbekannt - zumindest im Mainstream.

5. Selbstüberwachung.
Die neuen Medien machen vielleicht süchtig, bieten aber auch Selbstüberwachung durch Selbstverpflichtungstools. Gilt für Facebook-Zeitverschwendung ebenso wie für Gewichtsprobleme.

6. Robuste Technik.
Einfache Bedienungs-Standards, neue Robustheit (wie wärs etwa mit einem Handy, das länger als ein Jahr überlebt?). Das, was bislang nur in Entwicklungsländer exportiert wurde (das hässliche, aber langlebige Zeug), ist die Zukunft. Beispiel: Fixies, die neuen City-Bikes.

7. Kredibilität.
Nicht mehr der, der am meisten Risiko durch das größte Posing eingeht, ist vorne, sondern der mit der höchsten Kredibilität, der geringsten Abhängigkeit.

8. Der neue Generalist.
Spezialisten schön und gut - aber nur der Generalist hat den Überblick.

Auf den Seiten 4-5 der letzten Dienstagsausgabe fand sich so eine Liste, unter dem völllig irreführenden Titel "Halbzeit" (hier im pfd nachzulesen). Man hat das Gefühl, dass da versehentlich etwas ins Blatt gerückt ist, weil es von einem Schweizer PR-Manager namens Alain Egli (vom Duttweiler Institut) kommt, und etwas Verheißendes, nämlich "Trends" betrifft.

Dann kommt ein zentraler Begriff, in diesem Fall der der Resilienz, der dann für 8 Meta-Trends unserer Tage verantwortlich gemacht wird - nichts Neues unter dem Himmel, aber insofern interessant als man daran erkennen kann, woran sich die selbsternannte "Kreativ"-Industrie, also die Werber in der nächsten Zeit orientieren werden, an deren inhaltlichem Gängelband wiederum die Großkunden, also die Wirtschaft zappelt, die wiederum unser Konsumverhalten definiert.

Die Resilienz, aktuell durch einen US-Bestseller drüben im Gespräch, bezeichnet die Qualität der relativen Unzerstörbarkeit, also eine sehr menschliche Grundeigenschaft, eine Human-Elistizität.
Ich sehe darin auch eine Qualität des "Sich-Zurücknehmens".

Die Vernachlässigung des Gesamtsystems

Egal ob es dabei jetzt um Basics wie Nachhaltigkeit und größeres Bewusstsein geht, was Nahrung, Vorsorge, Technologie, Tausschwirtschaft betrifft, oder um eine neue Einstellung, die sich hauptsächlich über den Gegensatz zur Poser/Prasser-Ära versteht, die für die Krise verantwortlich war.

Ich kann nicht jeden der acht Punkte nachvollziehen (vor allem Punkt 1 ist mir zu schwammig), möchte aber vor allem auf den letzten eingehen und den Schweizer Trend-Menschen zitieren: "Heute leben wir effizienzgetrieben. Das führt zu Spezialisierungen, denn Spezialisten optimieren die Funktionen innerhalb ihrer klar definierten Bereiche. Allerdings vernachlässigen sie dabei das Gesamtsystem, weil es per definitionem nicht in ihrem Blickpunkt ist."

Nicht nur das: Den Blick aufs Gesamte zu richten gilt seit Jahren, seit der Zunahme der angesprochenen Spezialisierung, sogar als verpönt. Weil wir das Kastl-Denken gewohnt sind, verlangen wir von jedem, der etwas Generalistisches anmerkt eine umfassende Expertise, die er nicht leisten kann aber auch nicht leisten soll.

Dieses unser zunehmend unsinniges Denken, das Experteneinfordern, wenns um ein Überblicken geht, wirkt sich etwa auf die Rolle der Politiker aus. Die sind per se eher Generalisten denn Experten. Und wurden dafür, für das vernetzte Denken, fürs Erkennen von Möglichkeiten durch interdisziplinäres Wissen, geschätzt und gewählt.
Das allerdings ist in Zeiten des Expertismus nicht viel wert.

Die Instabilität des Expertendenkens

Egli bringt andere Beispiele aus der Medizin oder das der kürzlich zusammengebrochenen Finanzmärkte: "Eine fehlende Gesamtschau macht krisenanfällig. Systeme, so wird klar, ertragen nur ein bestimmtes Maß an Spezialisierung. Sonst werden sie instabil."

Wenn nämlich alle Spezialisten nur in ihrem kleinen Bereich denken, arbeiten und leben, kann dabei kein umfassendes Gesamtwohl herauskommen. Zudem wird damit systematisch Verantwortung fürs Miteinander abgegeben - was sozial extrem problematisch ist. Faschistoide Gesellschaftsformen versuchen genau das hinzubekommen, weil es der Nährboden für die Installation ihrer strammen Systeme ist.

Insofern ist der Turnaround weg von einer problematischen, sich sehr freiwillig in diese Ecke begebenden Struktur mehr als wichtig. Sie forciert nämlich nicht nur Wurschtigkeit und Gehorsam, sondern ist auch Mitschuld am Frust der nie ins Generelle, sondern immer nur ins Spezialistische eingezogenen Jungen (für die sich gesellschaftspolitisch ja nur Platz an thematischen Rändern findet). Same for Migranten.

"Robustheit setzt Redundanz voraus.", sagt der Schweizer PR-Mann, dessen Papier sich da irgendwie ins Medianet verirrt hat. "Und es braucht Generalisten: der einzelne muss vom homo oeconomicus wieder zum homo sapiens werden."

Nicht wirklich. Jede/r soll der homo sein, der er oder sie sein mag. Wichtig ist nur, dass die Akzeptanz für den Generalisten wieder steigt.
Und wenn da als Nebenprodukt ein besseres Image für Politiker, diese General-Generalisten abfällt, stört mich das im Zeitalter der Demokratie-Destabilisierung auch nicht.