Erstellt am: 27. 8. 2009 - 10:15 Uhr
No-one Cares Till We Fall Over The Edge
Levon Helm, Garth Hudson, Robbie Robertson, Rick Danko. Wem diese Namen vielleicht nichts sagen, also wohl eher den Spät(er)geborenen unter uns, Milo Cordell von The Big Pink wüsste Abhilfe. Cordell, neben Robbie Furze, eine Hälfte des Londoner Duos The Big Pink, ereifert sich beinahe, wenn es um das Thema Pophistory geht. Es sollte ein eigenes Schulfach sein, schlägt Milo Cordell vor, schließlich sollte jeder von den Stones, den Stooges oder The Band hören. Letztere waren Bob Dylans Buddies, die mit ihrem Debut "Music From The Big Pink" 1968 einen Album-Klassiker schufen.Soviel zu Popgeschichte als möglichem Unterrichtsfach und zum Bandnamen von The Big Pink.
Robbie Furze spielt Gitarre bei The Big Pink und singt, Milo Cordell spielt Keyboards, ist für das Computer-Programming zuständig und schreibt zumeist die Texte der Band, die nicht ausschließlich als Studioprojekt agiert, sondern auch als komplette Band.
"I´ve been too long at war with the sun, show me where teardrops run", heißt es etwa im Stück "At War With The Sun", einem der Highlights auf dem Debutalbum von The Big Pink, das den - schon wieder geschichtsbegeisterten - Titel "A Brief History Of Love" trägt.
Big Pink
"No-one cares till we fall over the edge, into the dark and out of this world."
Ob "At War With The Sun" wohl Milo Cordells älterem Bruder gewidmet ist? "Were you close?" - "Yes, we were very close. But I don´t talk about that", kommt es leise aber bestimmt vom anderen Ende der Telefonleitung. Tarka Cordell, benannt nach dem britischen Roman "Tarka The Otter", war eine charismatische englische Künstlerfigur, die mit den Londoner Stars abhing, in L.A. Hollywood-Drehbücher schrieb und in New York modelte, mit Liv Tyler ausging und zusammen mit Lemonhead Evan Dando musizierte. Nachdem Tarka Cordell in tiefe Depressionen verfallen war, seiner künstlerischen Erfolglosigkeit wegen und nicht zuletzt auch durch Drogenmissbrauch, beging er im April letzten Jahres Selbstmord - zuhause in Notting Hill, einem der besten Londoner Stadtteile. Lilly Allen, Sienna Miller, Sophie Dahl und Ex-Freundin Kate Moss weinten bittere Tränen bei den Trauerfeierlichkeiten für Tarka Cordell.
"Blow a kiss and burn it down, together we live and turn to dust... Don´t let go! Don´t let go!"
Diesen Big-Pink-Song "At War With The Sun" muss Milo Cordell mit Sicherheit für seinen tragischen Bruder geschrieben haben, und Robbie Furze verdient Lobpreisung für die sensible Darbietung. Robertson "Robbie" Furze kommt ja eigentlich aus der Noise-Ecke - Merzbow und richtiger Noise eben.
Bevor die herrlich großen Hymnen kommen auf dem Album von The Big Pink - MGMT, move over! - müssen wir aber erst durch "Dominos", mit seinen Textzeilen: "These girls they fall like dominos, dominos, dominos." Ähm, was? Mädchen, die wie die Dominosteine reihenweise umfallen? Gar etwa wegen Buben wie Robbie und Milo? Ja klar, grinst der eben noch melancholische Milo Cordell hörbar durch die Telefonleitung. Man(n) ist eben ein junges Rock'n'Roll Duo, da darf es schon mal um Girl/Boy-Dinge gehen, auch in den Songtexten. Aber eigentlich wollten The Big Pink mit "Dominos" ja eine Art neue Version von "It´s Raining Men" von den Weather Girls machen, redet sich Milo Cordell so ein wenig um Kopf und Kragen, bevor er kühn behauptet, die Band hätte schon mal in Österreich gespielt. Aber das war wohl Zürich, Switzerland. "Oh my God, I´m sorry, that´s bit thick!" Jetzt läuft Milo Cordells Kopf ein wenig rot an, da kann auch eine Telefonleitung nichts verbergen. Und das für einen ex-Public-School-Boy? War er doch einer, oder nicht? Da wären wir wieder bei der Familiengeschichte von Milo Cordell, der sich, nicht nur mit seiner Musik, distanziert vom berüchtigten Londoner Primrose-Hill-Party-Set, das seinem Bruder nicht das ersehnte persönliche Glück gebracht hatte. So wie Milo Cordell überhaupt seinen Background nicht an die große Glocke hängt - ganz britisch klassenbewusst, schließlich bringt in der englischen Popmusik die Arbeiterklasse- oder untere Mittelschichts-Herkunft nach wie vor einen gewissen Bonus mit sich.
Big Pink
Milo Cordell war erst Sprayer und Graffiti-Künstler, dann Indielabel-Betreiber von Merok Records, wo der Sohn einer britischen Adeligen und des legendären englischen Musikproduzenten Denny Cordell ein quasi goldenes A&R-Händchen bewies: die Klaxons oder Crystal Castles gingen erst durch seine Hände bevor sie dann größere Aufmerksamkeit erfuhren.
4AD
"A Brief History Of Love" von The Big Pink ist bei 4AD Records in London erschienen.
Wenn Milo Cordell aber von seinem Vater spricht, dann leuchten seine Augen, auch durch die Telefonleitung hindurch: "Dad hatte erst wie ein Rockstar gelebt, im Chateau Marmont Hotel in Hollywood, und dann wurde er Farmer in Irland. Er spielte mit den Männern vom Dorf im Pub Karten. (...) Manchmal kam Besuch zu uns, wenn ich in den Ferien nicht bei meiner Mutter in London, sondern bei Dad in Irland war, und ich wusste erst nicht, dass das die Rolling Stones waren, die uns besuchen kamen."
Milo Cordell liebt Popmusik in all ihren Spielarten - populäre und undergroundige. Er liebt sie leidenschaftlich und ohne Zweifel: The Band, die Stones, die Stooges, The Velvet Underground, Suicide, The Jesus & Mary Chain, Primal Scream, Oasis, Blur, The Libertines, und Hip Hop sowieso. He´s a good British boy at heart, yes he is, und sein Debut mit The Big Pink ist großartig.
P.S.: "If you really love him, tell him that you love him again", heißt es im Song "Love In Vain", bei dem Richard Ashcroft und The Verve, genau gesagt ihre "Bittersweet Symphony", freundlich um die Ecke winken.