Erstellt am: 28. 8. 2009 - 12:31 Uhr
Der Großmeister
Utopien für Millionen
Martin Scorsese restauriert verschollen geglaubte Filme und stellt sie ins Internet.(Artikel von Markus Keuschnigg)
Es gibt da einen Satz, der tausendfach zitiert wurde und dennoch nichts von seiner Gültigkeit verloren hat. Jean-Luc Godard legt ihn in seinem Film "Pierrot Le Fou" dem Regisseur Sam Fuller in den Mund. "Ein Film ist wie ein Schlachtfeld, auf dem sich Liebe, Hass, Action, Gewalt und Tod abspielen. Mit einem Wort: Gefühlsäußerungen."
Besser kann man das Werk von Martin Scorsese wohl nicht beschreiben.
Von "Taxi Driver" und "Raging Bull" bis hin zu "Good Fellas", "Gangs Of New York" und seinem überfälligen Oscar-Triumph "The Departed" erweist sich dieser Regisseur meist als Chronist urbaner Minenfelder.
Scorseses Figuren, ob es sich um gebrochene Rettungsfahrer, durchgeknallte Gangster, größenwahnsinnige Tycoons oder getriebene Polizeispitzel handelt, kämpfen oft verzweifelte Kriege gegen den Moloch Großstadt, gegen soziale Zwänge und vor allem gegen sich selbst.
Sie winden und schinden sich durch Geschichten, die von Isolation, Leiden und Erlösung handeln, denen aber jede Wehleidigkeit fehlt und so gar nichts Sprödes anhaftet. Ganz im Gegenteil, Martin Scorsese lässt die Emotionen explodieren. Er verwandelt dringliche Gefühle immer wieder in überwältigende Kompositionen aus grellen, kraftvollen Bildern und pulsierender Tonspur.
Filmmuseum
Ich erinnere mich an eine TV-Dokumenation über Scorsese, in der man sein Büro sieht, das mitten am New Yorker Times Square liegt. Dort befindet sich das Archiv des Regisseurs, der jedes Drehbuch, jeden Notizzettel und jede bekritzelte Serviette aufhebt. Ein eigener Videothekar zeichnet für ihn ununterbrochen Filme auf und katalogisiert sie.
Dann Aufnahmen von Scorsese beim Schnitt eines seiner Filme. Sogar bei dieser hoch konzentrierten Arbeit lässt er ständig einen Fernseher im Hintergrund laufen, mit einem seiner geliebten alten Klassiker.
Schon bald wird klar: Dieser Mann denkt, atmet, lebt Film. "Ich glaube, ich werde hinter einer Kamera sterben", sagt er an einer Stelle.
Trotz dieser Akribie und Manie ist Martin Scorsese aber kein Nerd, der primär von seinem angeeigneten Wissen profitiert. Er gehört noch nicht, wie seine durchaus faszinierenden Nachfolger Quentin Tarantino oder Paul Thomas Anderson, zur vollends postmodernen Generation, die ihr Gespür für Emotionen aus dem Kino selbst zieht, aus Büchern, Songs, Comics und Videoclips.
Auch wenn sich das jetzt these days schrecklich altmodisch anhört, für Scorsese spielt das richtige, raue Leben, die Welt außerhalb der Filmreferenzen, die sich wiederum aus anderen Filmreferenzen speisen, eine zentrale Rolle.
Filmmuseum
1942 in New Yorks Little-Italy-Viertel geboren, ist Martin Scorsese dort als Jugendlicher von all den Charakteren umgeben, die er später in seinen Filmen verarbeiten wird. Kleinganoven, Hochstapler, Mafiosi.
Neben der Straße als realer Heimat wird der Film zum fiktiven Ort, an den sich der schüchterne Asthmatiker flüchtet. Die Erzählungen aus der Traumfabrik vermengen sich mit den realen Storys in der Nachbarschaft.
Scorsese möchte zuerst Maler und dann Priester werden, bevor er sich in eine Filmklasse einschreibt. Mitte der Sechziger bringt sein Spielfilmdebüt "Who's That Knocking On My Door?" erstmals die Welt von Little Italy authentisch auf die Leinwand. Später, in Meisterwerken wie "Mean Streets" und dem atemberaubenden Mafiadrama "Good Fellas", wird er immer wieder hierher zurückkehren.
"Taxi Driver", 1976, gilt für viele immer noch als der ultimative Scorsese-Film. Der moderne Film Noir über Einsamkeit und Amoklauf im Asphaltdschungel Manhattans, über einen verstörten Vietnamveteranen, dem die Sicherungen durchbrennen, katapultiert einen gewissen Robert DeNiro endgültig in den Schauspieler-Olymp.
Im Spätwerk des Regisseurs nimmt Leonardo Di Caprio eine ähnlich zentrale Rolle ein, verwandelt sich im brachialen Historienepos "Gangs Of New York" wie im unterschätzten Howard-Hughes-Biopic "The Aviator" in das Alter Ego von Scorsese. Die Kollaboration mit dem jungen Star bringt ihm 2006, für das fiebrige Remake "The Departed", endlich den Oscar.
Demnächst kehren der Regisseur und seine männliche Muse in dem Hochspannungs-Thriller "Shutter Island" zurück, weitere gemeinsame Projekte sind bereits in Planung.
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In seinem bislang letzten Film "Shine A Light" geht Scorsese einer anderen Leidenschaft nach, die sich mehr oder minder durch sein Schaffen zieht: seiner Obsession für Pop in allen Varianten. Mit einem Team der besten Starkameramänner des Planeten klebt er bei einem intimeren Gig der Rolling Stones ganz dicht an deren Gesichtern.
Mick Jagger und Co. untermalten zuvor bereits viele Schlüsselmomente von Scorsese-Klassikern, neben großartig ausgewählten Soul-, Funk- und Rock'n'Roll-Stücken. In "No Direction Home: Bob Dylan" nähert sich der Meisterregisseur einer amerikanischen Musiker-Ikone mit einer virtuosen Collage.
Und es gibt noch einen ganz anderen Martin Scorsese. Einen Regisseur, der subtile Melodramen wie "The King Of Comedy", "The Age Of Innocence" oder "Kundun" dreht. Filme, die auf den ersten Blick weit weg sind vom Hexenkessel Little Italys oder auch den grellen Verlockungen der Popkultur.
Das Österreichische Filmmuseum zeigt vom 28. August bis 5. Oktober sämtliche filmische Arbeiten von Martin Scorsese.
Dabei zieht sich etwas Gemeinsames durch alle Scorsese-Streifen: seine eigene Psyche. Kino wird hier zur Seelentherapie. Katholisch erzogen und gläubig bis zum heutigen Tag, verstrickt Scorsese seine Figuren in Widersprüche zwischen Schuld und Sühne.
Dass ein derart scharfsinniger Kinotitan tief religiös ist, können viele Kritiker nicht verdauen. Religiöse Fundamentalisten wettern wiederum gegen die Gewalt in Scorsese-Streifen. Pseudo-Progressive tadeln ihn als konventionellen Geschichtenerzähler, und der Kommerzmaschine von Hollywood ist er oft zu anspruchsvoll.
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Wir Kinofans dagegen, wir gehen beten in die Streifen von Martin Scorsese.