Erstellt am: 24. 8. 2009 - 19:03 Uhr
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1989-2009
Der Schwerpunkt auf FM4
20 Jahre ist es her, als der fünfköpfige Ondrusova-Klan im November 1989 mit einem Zug Richtung neue Heimat aufbrach. Über den Heimatbegriff und AusländerInnen-Definitionsmacht habe ich mich hier schon ausgelassen. Im Zuge der 1989-Feierlichkeiten findet nun allerorts die große Aufarbeitungen der Flucht-Ereignisse statt. Auch bei mir. Meine Familie hat es im Vergleich zu anderen noch leicht gehabt. Wir Kinder (ich 9, meine Schwestern 11) wurden in keinem Gepäcksstück über die Grenze geschmuggelt, wir waren nicht stundenlang zu Fuß unterwegs, wir hatten keine Schlepper zur Hilfe, wir hatten Urlaubsgenehmigungen und gültige Pässe. Wir hatten Zugtickets. Wir wurden abgeholt und von Bekannten nach Traiskirchen gebracht. Dort waren wir nicht ein Jahr sondern wenige Tage. Dort brach nicht die große Kultur-Panik aus, sondern das große Umdenken.
Ich erinnere mich, dass ich mich auf den anstehenden Echtzeit-Crashkurs im Erlernen der neuen Sprache gefreut habe. Eine Tatsache, die mich verdrängen ließ, dass ich nun vier Zugstunden entfernt von meinem alten Freundeskreis und nächsten Familienangehörigen wohnen sollte. "Auswandern" war mir ein Fremdwort.
Die Zeit hinterm eisernen Vorhang erlebte ich als Kind. Das Anstellen vor Geschäften war lustig und organisiert. Was gefehlt hat, wurde nicht hinterfragt. Noch heute ärgere ich mich manchmal über Shopping-Ohnmacht anbetracht tausender Joghurtsorten und es bleibt ein nostalgisches Erinnern an Milchpackungen im Plastikbeutel. Das erste Mal Kiwi kosten und das Gesicht verziehen. Die LehrerInnen haben wir mit "Frau/Herr Genossin" angesprochen, im Englischunterricht hab ich gebeten meinen Fanbrief an Michael Jackson übersetzen zu lassen. "Dear" dürfte wohl mein erstes Englischwort gewesen sein.
Was es sonst noch zu sagen gibt? Nach zwanzig Jahren ist zwischen neuer und alter Heimat kein großer Unterschied mehr. Ich bin EU-Bürgerin. Politisch kann ich mich heute über beide Länder grün und blau ärgern. In einem Interview, das Lou Reed in den 90ern mit Vaclav Havel geführt hat, kam auf die Frage warum Havel das Land nicht verlassen habe, die Antwort: "Ich konnte nicht, es war meine Heimat!" Dass meine Eltern 1989 dieselbe Frage für sich und uns Kinder nicht genauso beantworten konnten wie Havel – damit habe ich mich spät aber doch abgefunden.
1989 hat meine Mutter (*1958) einen Brief an ihre Eltern verfasst, ein paar Wochen nach unserer "Flucht" oder "Übersiedlung": Nüchtern und pragmatisch liest sich die Übersetzung. Wer mich kennt, wird jetzt vielleicht eine Erklärung für einen meiner Wesenszüge haben. Ein Auszug davon soll hier aber auch als Anregung auf die Homebase vom 25.8. dienen. Diese wird sich dem Thema "89/09 Flucht" widmen.
apa
Ich beginne gleich mit der Abfahrt. Der Zug hatte ungefähr 45 Minuten Verspätung, also haben wir im Warteraum gewartet. Die Mädchen wollten nicht schlafen und haben sich auf die Reise gefreut. Sie hatten die Sitze auseinandergeklappt, sodass sie die ganze Reise über schlafen konnten. Erst am Zoll sind sie aufgewacht. Die Beamten haben uns überhaupt nicht kontrolliert, ich habe es bereut, dass wir zumindest nicht das Lego mitgenommen haben.
Am Bahnhof in Wien sind den Mädchen die Augen fast raus gekullert, als sie die verschiedenen Stände mit Obst, Spielzeug usw. Gesehen haben. T. ist uns bald abholen gekommen und wir sind mit ihm in sein Hotel gefahren. Dort haben wir die Koffer gelassen und dann hab ich es den Mädchen gesagt. Zuerst konnten sie es nicht verstehen und haben zum Weinen angefangen, aber ich habe sie schnell beruhigt.
So schnell, dass ich mich selber gewundert habe, wie mir das gelungen ist. Ich habe ihnen 1968 erklärt und das wars.
Am Abend hat uns T. nach Traiskirchen gebracht. Am Tor hat er erklärt, dass wir Flüchtlinge aus der CSSR sind und die Polizisten haben uns Papiere gegeben und gesagt, dass wir ins Gebäude Nr.2 gehen sollen. Dort waren ca. 3 Räume mit Bänken und Stühlen. Voll mit Menschen und verraucht. Jetzt haben wir nicht gewusst, wo wir hingehen sollen und wo wir schlafen werden. Es waren keine Beamte im Dienst also mussten wir bis zur Früh warten. Ich habe die Decken am Boden ausgebreitet und so haben wir geschlafen. In dem Raum waren Slowaken, junge Männer. Sie haben getrunken und hatten Musik aufgedreht und geraucht. Man konnte aber nirgends anders hingehen. In der Nacht bin ich aufgewacht, wusste aber nicht wie spät es ist. Ich habe von draußen Glocken läuten gehört und mitgezählt. Z. ist aufgewacht und wollte an die frische Luft gehen. Also sind wir vor das Gebäude gegangen, es war kalt und wir sind schnell wieder rein. Ich habe immer gedacht, dass es halb sieben Uhr sein wird aber letztendlich war es erst drei Uhr früh. Mit Z. bin ich noch dreimal hinaus gegangen.
traiskirchen.at
Die Zwillinge haben geschlafen. Später sind wir alle um halb sieben aufgewacht. Dann hat niemand gewusst was wir tun sollen. Dort waren Russen, Türken, Rumänen und sogar zwei Flüchtlinge aus Ghana. Wir sind spazieren gegangen aber es war so kalt - also wieder zurück. Gegen acht Uhr ist ein Beamter gekommen, wir sind gerade ins Gebäude rein und er hat hinter uns abgesperrt. Später haben sie die Pässe eingesammelt und wir sind zum Interview gegangen (Name, Geburtsdatum ect.) Ein Polizist hat uns in ein anderes Gebäude geführt wo wir Besteck, zwei Teller, Polster, Decke, Bettwäsche, Toilletenpapier, Seife und eine Essenskarte bekommen haben. Sie haben uns aufs Zimmer geführt und wir hatten Glück, denn wir haben das Zimmer mit zwei jungen Ehepaaren geteilt und ihren Kindern. Im Stockwerk, waren noch ca 15-20 Zimmer, in manchen waren bis zu 20 Personen am Zimmer. Es gab vier Toiletten, ein großes Waschbecken in der Größe einer Tränke mit fünf Wasserhähnen und eine Dusche die mit Platten zugedeckt war. Zweimal täglich haben sie alles gewaschen, alles mit Wasser abgespritzt und die Becken und Toilleten gereinigt aber in Kürze war alles wieder dreckig und die Waschbecken verstopft.
Zum Mittagessen mussten wir ins Erdgeschoss. Im Essraum war eine Schlange von ungefähr 600 Menschen aber es ging schnell voran. Das Essen war genießbar. Am Abend hat jemand an der Tür geklopft und ein Polizist ist reingekommen, dass wir in den zweiten Stock müssen, Fotos machen usw.
Dort haben sie unsere Fingerabdrücke abgenommen, sie haben uns wie Verbrecher mit Nummern fotografiert. Mir ist es komisch vorgekommen. Dann sind wir schlafen gegangen. In der Früh wieder Frühstück und dann zum Arzttermin. Röntgen und verschiedene Stempeln und Interviews. Überall waren viele Schlangen, also ist sich nicht alles an einem Tag ausgegangen, wie wir gedacht haben. Am Freitag haben wir die letzten Stempel bekommen.
Wir haben auf T. gewartet, damit wir unsere Koffer abholen und am Dienstag hat er uns also in dieses Gasthaus geführt. Es gibt hier nur ein paar Häuser in der Nähe und überall Wälder und Wiesen. Weiter unten im Dorf ist ein Geschäft, Kirche und Schule, Gasthäuser, Post und weitere Wohnhäuser. In die Schule gehen die Mädchen um 7:05, die Schule beginnt um 7:30. Sie gehen immer bergab ca. 10 Minuten. Am Heimweg dann steil bergauf. Ich glaub, die täglichen Spaziergänge tun ihnen gut.
Ich arbeite in der Küche mit einer weiteren Frau. H. hilft einstweilen im Haus und am Abend hilft er in der Bar aus. Großer Umsatz ist hier nur am Freitag, Samstag und Sonntag, dann gibt es Tanzabende. Gestern waren den ganzen Tag über drei Gäste hier. Ich werde hier alles abfotografieren und werde euch die Fotos schicken. Schreibt mir an die Adresse die Vater hat, sonst könnt ihr auch anrufen, aber das ist teuer. Ich werde jetzt aufhören. Macht es gut und grüßt Oma und alle anderen.