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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

24. 8. 2009 - 18:56

Journal '09: 24.8.

Wir sind gläsern. Privatheit war gestern. So ist das halt in der Kommunikationsgesellschaft. Wie wär's jetzt mit Mund abputzen und kreativ damit umgehen anstatt weiter nur overprotective sein?

Voll arg ist das, sagt die U-Bahn-Zeitung, und zittert erregt: immer mehr Chefs nützen "das Internet" um "uns" (also die potentiellen Leserbriefschreiber, die das gesunde Volksempfinden repräsentieren), auszuspionieren. Und zwar bei unseren Selbstdarstellungen im Internet. Urgemein, oder?

Klar, diese Headline kostet mich einen kurzen Lacher im Vorbeigehen.
Es mischt sich zwar das Schlimmste, was österreichische Mentaltität vermag: das Weinerlich-Wehleidige mit dem Intelligenz & Fortschritts-Verachtend-Reaktionärem. Und benutzt eines der vielen mit den Chiffren "Angst!" und "Sicherheit!" besetzten Themen, um ihre Version der Security-Demokratie voranzutreiben.

Aber man kann und darf sich nicht über jede aufgewärmte Blähung erregen, damit erfüllt man nur die Rolle des Verbreiters - so wie jetzt alle, die sich über den antisemitischen Wahlkampf-Rülpser des Vorarlberger FP-Chefs Egger erregen: sie machen damit genau das, was die Strategen, die solche Sager entwerfen, damit bezwecken.
Auch hier wäre es wichtiger sofort auf die Meta-Ebene zu gehen und diese Taktik (die darauf abzielt das starke antisemtische Potential in diesem Land für die Wahlentscheidung zu aktivieren) genau offenzulegen, anstatt ernsthaft auf der rein inhaltlichen Ebene auf blanken Blödsinn einzugehen und damit - als Reagierer, nicht als Agierer - die zweite Geige zu spielen.
Es wäre wichtig offensiv zu agieren, nicht defensiv.

Uj, das Internet spioniert uns aus! Voll arg!

Gefährliches Spionage-Internet in Social Networks und überhaupt! - sagen (den Boulevard lass ich einmal aus) die AK, der Kurier und der Standard.

Zurück zu meinem U-Bahn-Beispiel.
Es ist deswegen einen Gedanken mehr wert als ein spöttisches Abtun einer heißluftigen Skandalwarnung des populistischen Boulevard.

Denn hier mischen sich die Interessen und die Zielgruppen. So wie beim EU-Thema, wo ja auch stramme Rechtsaußen, Populisten aller Sorten, dogmatische Linksaußen aber auch eine Gruppe Besorgt-Bewusster eine groteske Koalition der angstvoll-hysterischen Ablehnung bilden.

Die Koalition derer, die tatsächlich mit Angst vor dem Ausspioniertwerden durch "das Internet" durchs Leben läuft, ist nämlich ähnlich aufgebaut: die Strammen und die Dogmatiker, die, die Angst haben Neues in ihr Leben zu implemetieren, also die üblichen Pferdekutscher der Dampflok-Ära, dazu die Populisten, die im Mühle-Auf-Mühle-Zu-Spiel immer einen Aspekt finden, den sie "aufdecken" um damit Angst machen und gleichzeitig Schutz bieten zu können.

Und wieder die Gruppe der Besorgten und Bewussten, die noch dazu eine ordentliche und sinnhafte Geschichte vorzuweisen haben: denn die Kehrseite der Kommunikationsgesellschaft, die hysterische Sicherheitsgesellschaft, ist selbstverständlich eine krakenhafte Gefahr für den Einzelnen, vor allem für den, der "anders" ist, und das betrifft eben alle widerständisch Denkenden und Handelnden.

Das Geschäft mit der Angst und der Overprotectivness

Aber, ganz großes Aber: ich denke, auch das ist gegessen.

Die Entwicklungen sind unumkehrbar, jedes Zurück wäre ein Retour in eine Prädigitale Welt, und das geht sich abseits des Wagenburg-Platzes, und wahrscheinlich nicht einmal dort, nicht mehr aus.

Deswegen ist der "Umgotteswillen! Spionagemöglichkeiten beim Facebook und überhaupt!"-Ansatz so unwürdig und so strunzdumm.

Das ist ein Scherz, der vorsichtig auf eines der nächsten Journale, das sich wieder mit In Treatment beschäftigen wird, hinleiten soll.

Er ist das letzte, in seiner Naivität sehr sehr verzweifelte Konstrukt, das ein Akzeptieren der Realität noch verhindert - Therapeuthen haben für sowas Klassisches sicher einen lässigen Begriff (das Freudsche "Verdrängen" allein ist mir zu wenig genau) - ich schreib' Gabriel Byrne, der weiß das sicher.

Wir sind gläsern.
So ist das.
Punktum.
Finde dich damit ab.
Get over it.
Schluss mit der abgestandenden Overprotectivness.

Wer sich einer Überprüfung durch böse Menschen entziehen will, sollte nicht twittern, Fotos auf Flickr stellen, seinen Tagesablauf auf Facebook, seine Musik auf MySpace abladen.
Aber: wieso sollten Menschen, die andere googlen was gegen ein Gegoogeltwerden haben? Und: das tut jeder, der PC-Zugang hat. Jeder.
Was soll also das Gebrabbel von der Privatsphäre? Gilt die immer nur für einen selbst, und nie für die anderen?
Scheinbar schon. Dieser Denk-Trugschluss ist dann, wenn man die Äußerungen der Populisten ernstnimmt, auch logisch. Die argumentieren nämlich immer genau so.

Die Sache mit den Privat-Fotos

Jüngst machte ja die medial als Peinlichkeit verkaufte Geschichte des nächsten MI6-Chefs die Runde. Die Frau des obersten Geheimdienst-Chefs hatte ihre Urlaubsfotos auf Facebook gestellt.

Wahnsinn, dieser Umgang mit sensiblen Daten, war man sich einig, weil Frau Sawers Bilder von Herrn Sawers in Badehose nicht auf den Freundeskreis beschränkt, sondern für alle offen hatte. Die ganz normalen Tücken der Social Networks halt. Aber sowas auch.
Als ob die Spione der anderen diesen Filter nicht cracken können würden. Oder auch so rausfinden würden, wo der Boss urlaubt.

Letzte Woche hab ich dann zufällig von einem anderem, einem historisch bedeutsamen Badehosen-Foto gelesen. Dem von Friedrich Ebert, dem ersten deutschen Reichpräsidenten (von 1919 - 25).

Der SPD-Politiker ließ sich im Mai 1919, kurz vor der ersten freien Wahl nach der Monarchie und seinem Amtsantritt anläßlich eines Ostsee-Aufenthalts in der Badehose fotografieren. Mit dem Versprechen des Fotografen das Bild nur für private Zwecke zu benutzen. Was natürlich nicht geschah. "Die Veröffentlichung des Fotos löste einen Skandal aus; rechte Kreise nutzten das Bild jahrelang zur Diffamierung des Reichspräsidenten und der Republik."

Ebert, der aus der bewusst den Körper nicht mehr versteckenden Arbeiterbewegung kam, die sich in klaren Gegensatz zu den in jeder Hinsicht keuschen Monarchisten und den reaktionären Nationalen stellte, schätzte die Folgen falsch ein.
Als Staatschef wünscht sich die in ihrer Tendenz da doch gerne den starken Mann herbeisehenden Bevölkerung ja immer noch eher ein Image als einen Menschen. Das ist heute so, und war damals viel stärker. Und dieser Vorfall trug auch zur Zerstörung der Weimarer Republik und dem anschließenden Nazi-Terror bei.

Wir 21. Jahrhundert-Menschen sind eben gläsern - so what?

Offenbar hat sich auch sonst wenig geändert.
Mächtige Männer in Badehosen ist immer noch ein Pfui; für die, die starre Bilder und stramme Routen brauchen.
Und natürlich gab es auch damals eine Moral-Debatte ob man Privat-Fotos öffentlich machern dürfe, welchen Schutz öffentliche Personen benötigen würden etc.

So gesehen ist das Ebert-Badehosen-Foto, das mithalf die Republik zu kippen, nichts als ein vorweggenommenes Facebook-Skandälchen. Und selbstverständlich ist nicht das Foto, oder das Medium oder der Veröffentlicher oder das Ausspionierer schuld an irgendwas, sondern die verstaubten Moral-Vorstellungen dahinter.

Wer aus von früher, aus den Abwehrkämpfen gegen die kalten Krieger, angelernter Übervorsichtigkeit so lange "privat!" schreit, bis sich auch der letzte Typ, dem alles eigentlich wurscht gewesen wäre dafür interessiert, versteht die heutige Kommunikations-Kultur nicht.
Privat ist das, was nicht abgebildet und besprochen wird.
Und nachdem es das, was nicht abgebildet und besprochen wird, eigentlich gar nicht gibt, in der Kommunikationsgesellschaft, ist diese feine Grauzone doch recht deutlich determiniert.

Alles andere ist öffentlich.
Alles andere wird besprochen.
Die Schlauen nutzen das bereits und streuen die Informationen so, dass sie meist die erreichen, die sie erreichen sollen.
Und wenn der Chef oder das Love-Interest einen googelt oder deine Twitter-Einträge durchliest, dann steht da schon das drin, was drinnenstehen soll. Von mir aus auch mit Badehose.